Totengedenken Allerheiligen im geistlichen Lockdown

Düsseldorf · In Corona-Zeiten werden Gräberumgänge abgesagt, sollen die Gläubigen die Gräber vielerorts selbst segnen. Das ist grundsätzlich erlaubt – und zugleich eine Chance.

 Allerheiligen - Ein Tag zum Innehalten. Traditionell führt er viele Menschen zum Friedhof.

Allerheiligen - Ein Tag zum Innehalten. Traditionell führt er viele Menschen zum Friedhof.

Foto: Kaiser, Wolfgang (wka)

Man könnte Allerheiligen als das Fest der Stunde bezeichnen: als die Feier der Stille, des Innehaltens, des Gedenkens an jene Menschen, die gestorben sind. Doch die Pandemie-Stille um uns herum ist keine Stille von Ruhe und Einkehr, sondern eine der Spannung, der Sorge um andere und auch um die eigene Existenz.

So hat uns das Coronavirus vielerorts in einen auch geistlichen Lockdown versetzt: Gräberumgänge werden abgesagt; es gibt Angebote für Gebete und Musik vom Band und Weihwasserfläschchen für die Angehörigen, damit diese die Gräber der Angehörigen selbst segnen können. Dies hatten jüngst die bayerischen Bischöfe den Gläubigen erklärt.

Im Süden der Republik ist der alte Brauch der Gräbersegnung durch einen Geistlichen sicherlich verbreiteter als im Rheinland. Doch suchen auch bei uns viele Hinterbliebene die Friedhöfe zu Allerheiligen und Allerseelen auf, weil es gute Tage sind, sich den Verstorbenen näher zu fühlen, verbunden auch mit der Hoffnung auf Auferstehung.

Von größeren Einschränkungen zu den Tagen Allerheiligen und Allerseelen will man im Erzbistum Köln erst einmal absehen. Sowohl die Gräbersegnung als auch die individuellen Besuche könnten beibehalten werden, „wenn die auch ansonsten geltenden Corona-Regeln – wie Mindestabstände, Mund-Nasen-Bedeckung und Handhygiene – beachtet werden, zumal dies im Freien stattfindet“, erklärte das Erzbistum auf Anfrage.

Allerdings: Wo es dennoch geraten scheint, auf zu große Versammlungen zu verzichten oder Gläubige sich aus guten Gründen einer Ansteckungsgefahr nicht aussetzen wollen, bestehe selbstverständlich wie bisher die Möglichkeit, die Gräber aufzusuchen und für die Verstorbenen zu beten. „Auch der Brauch, dabei die Gräber selbst mit Weihwasser zu besprengen, kann selbstverständlich beibehalten werden.“ Geeignete Gebete sowie Texte finden sich dazu im „Gotteslob“: die Nummern 680,8 und 655 oder auch im Internet auf der Seite des Erzbistums unter „Gebete in der Trauer“. 

Im Bistum Münster erreichte ein Schreiben des Generalvikars unlängst die Pfarreien. Darin heißt es: „Bei den anstehenden Segnungen der Gräber rund um den Allerseelen-Tag bitte ich dringend darum, darauf zu achten, dass ausschließlich die Gräber, nicht aber umstehende Gläubige mit Weihwasser besprengt werden.“

Auch im Ruhrbistum wird der Umgang mit Weihwasser kritisch gesehen. Schließlich habe man, so Bistumssprecher Ulrich Lota, gerade vor dem Hintergrund einer Ansteckungsgefahr auf Weihwasser in allen Kirchen verzichtet.

Im Bistum Aachen soll es für die Gemeinden zunächst keine zentralen Empfehlungen oder auch Vorgaben für die Gräbersegnung an Allerseelen oder am Nachmittag des Allerheiligentages geben. Das aber ist keine Art Freibrief, sondern vielmehr die Bitte, vor Ort selbst und verantwortlich zu entscheiden. „Es spricht natürlich auch nichts dagegen, dass Gläubige die Gräber ihrer verstorbenen Angehörigen selbst segnen. Dies wären dann private Gottesdienste“, heißt es.

Die Diskussion darüber ist der aktuellen Bedrohungslage geschuldet. Aber sie schärft auch unseren Blick auf das alte Ritual, das früher weitaus stärker als heute im alltäglichen Glaubensvollzug verankert war. Das heißt auch: „Den Segen kann jeder Mensch spenden. Er ist nicht an ein geistliches Amt gebunden“, so die evangelische Theologin Ulrike Wagner-Rau. Dass unser Leben immer voller Segenswünsche ist, zeigen nach ihren Worten heute noch viele, scheinbar neutrale, säkularisierte Grußformeln wie „Mach’s gut“.

In der christlichen Kirche hat sich das Segnen schon früh mit dem Kreuzzeichen verbunden – also mit dem Verweis auf Christus.

Allerheiligen und Allerseelen werden zu Beginn des Novembers als Auftakt der grauen, tristen Jahreszeit betrachtet. In Corona-Zeiten verstärkt sich das natürlich. Dabei können beide Totengedenktage – bei aller Stille und vielleicht auch frischer Trauer – Trost spenden, indem sie Hoffnung geben. Die Gräber der Toten werden besucht, Lichter angezündet, weiße Blumen aufs Grab gelegt. Aber das ist oft mehr als nur eine Geste tiefer Erinnerung; es verbindet sich darin auch der Wunsch, dass dem Verstorbenen ein Leben – in welcher Form auch immer – über den Tod hinaus vergönnt sei. Ein österlicher Gedanke ist es; und ursprünglich wurde Allerheiligen auch diesem Festtagskreis zugeordnet.

Es wird in diesem Jahr auf den Friedhöfen keine großen Feiern geben. Auch Seelsorger werden kaum zur Seite stehen. Vielleicht ist auch das eine Chance: das Ritual privat, im kleinen Kreis zu leben. Und dazu gehört dann auch das Segnen. Es ist ein „deutungsoffenes Ritual“, es ist körperbezogen und wird von Gebeten, Wünschen begleitet.

Jedes Segnen hat etwas mit Weitergabe zu tun, mit Vertrauen, mit Sorge. Ausgerechnet in der Nacht vor Allerheiligen wird mit Halloween dazu das Gegenprogramm geliefert. Das ist kein schlechter Scherz, sondern vielleicht auch eine sinnfällige Konfrontation von Vorstellungen eines verantwortlichen Lebens: sich selbst und der Gemeinschaft gegenüber.

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