Düsseldorfer Schauspiel Don Karlos im Bluthagel

Düsseldorf · Alexander Eisenach trifft mit seiner Inszenierung von Schillers „Don Karlos“ in Düsseldorf einen Nerv des 21. Jahrhunderts.

 André Kaczmarczyk als Marquis von Posa und knieend Jonas Friedrich Leonhardi in der Rolle des Don Karlos.  Foto: Thomas Rabsch

André Kaczmarczyk als Marquis von Posa und knieend Jonas Friedrich Leonhardi in der Rolle des Don Karlos. Foto: Thomas Rabsch

Foto: Thomas Rabsch

In fahlem Licht zeichnet sich ein ausladendes, mit Acrylglasscheiben gedecktes  Metallgerüst ab. Links daneben im Hintergrund ragt mehr ahn- als sichtbar ein düsterer Turm auf. Bis zur Pause des fast vierstündigen Theaterabends bietet dieses karge, kühle Bühnenbild den unterschiedlichen Temperamenten in Schillers „Don Karlos“ Möglichkeiten, ihre Dialoge kletternd durch immer wieder neue Posen zu unterstreichen: schreiend, beschwörend, unerbittlich oder tief traurig. Der aus Berlin stammende Regisseur Alexander Eisenach hat dieses „vollständig schauderhafte Gemälde des Despotismus“, wie Schiller es selbst nannte, im Central des Düsseldorfer Schauspielhauses inszeniert und damit in historischem Gewand ein Thema auf die Bühne gebracht, dem man nach dem Ende des Kalten Kriegs kaum noch eine Zukunft vorausgesagt hätte.

Eisenach tat gut daran, das breit angelegte Stück nicht auf diesen Aspekt einzuengen, sondern Schillers Charakteren und dem famosen Düsseldorfer Ensemble Raum zu geben. Denn Freiheitsträume und Intrigen, Vater-Sohn-Konflikt und Verrat, unglückliche Liebe und Machtbesessenheit vermischen sich in diesem  wortgewaltigen Stück zu einem Handlungsgeflecht, das den Zuschauern viel zumutet, sie aber auch reich beschenkt.

Schon die Frage, wer den Mittelpunkt bildet, lässt sich nicht leicht beantworten: Ist es wirklich die tragische Titelgestalt Karlos oder nicht doch dessen Jugendfreund, der Marquis von Posa? In Düsseldorf verleiht Jonas Friedrich Leonhardi seinem Don Karlos früh ein Gepräge, das ihn unverwechselbar macht: in seiner Wut ebenso wie in seiner Verzweiflung, in seinem unbändigen Bewegungsdrang und in seiner seltsamen Kostümierung.

Im dritten Akt, jenem, den die Theaterwelt oft als weltliterarischen Gipfel feierte, treffen die wichtigsten Gestalten und Haltungen aufeinander. Es geht um König Philipp II., der nicht nur über Spanien gebietet, sondern auch über die Niederlande. Mit seinem Sohn Karlos liegt er in mehrfacher Hinsicht über Kreuz. Er hat die Geliebte seines Sohnes geheiratet und weist Karlos brüsk zurück, als der seine Liebesenergie künftig den Unterdrückten in den niederländischen Provinzen zukommen lassen will. Der Marquis von Posa  – im Unterschied zu den anderen eine historisch nicht belegte, rein dichterische Person – unterstützt Karlos in dessen menschenfreundlichen Bestrebungen und fordert den König mit einem der berühmtesten Ausrufe der Theatergeschichte auf: „Geben Sie Gedankenfreiheit.“  André Kaczmarczyk tritt auch an dieser Stelle nicht aus seiner Rolle des in sich selbst Vertieften, bleibt leise und blickt hoffnungsvoll zur Seite, ins Publikum.

Lea Ruckpaul als Elisabeth, die ihrem Ehemann Philipp schon aus Staatsräson die Treue hält, Lou Strenger als Prinzessin Eboli, die in einer Brief-Affäre eine pikante Rolle spielt, und Alexej Lochmann als Beichtvater des Königs umkreisen das Geschehen. Zur Pause hin lässt die Spannung des Abends nach. Noch aber ahnt niemand, dass die Regie das Publikum danach erst wirklich aus den Sesseln reißen wird. Der Turm, der zuvor eine Randgestalt war, bildet jetzt den Mittelpunkt der Bühne. Von allen vier Seiten führt jeweils eine Rampe zu ihm auf halbe Höhe empor. Und während die Drehbühne Fahrt aufnimmt, hat manche Schauspielerin, mancher Schauspieler Mühe, in Dialogen die physische Balance zu halten.

Plötzlich hagelt es rote Bälle, Mord kündigt sich an. Denn Posas Plan, dass Karlos heimlich und gegen den Willen des Vaters nach Flandern aufbrechen und dort die Aufständischen anführen solle, ist aufgeflogen. Und da auch die Königin darin verwickelt ist, wird es bei einem einzigen Mord nicht bleiben können, wenn Philipp weiterhin durch Abschreckung regieren will, statt sich den republikanischen Idealen seines Sohnes zu öffnen.

Bald ist die Bühne nicht nur voller Bälle, sondern auch voller Blut. Karlos kniet neben seinem rot beschmierten Freund Posa, während von einer der Rampen Wolfgang Michalek als   gewaltbereiter, unbelehrbarer König in gespenstischem Licht die Strippen seines Machtapparats bis zum bitteren Ende zieht. Als er merkt, dass man ihn getäuscht hat, schickt er auch seinen Sohn und seine Frau in den Tod. Als er den Großinquisitor ruft, stellt sich heraus, dass der von vornherein über alle Schritte des Marquis im Bilde war und darauf zielte, diesen gefährlichen Freigeist auszuschalten.

Am Ende watet das Ensemble nachdenklich durch ein Meer aus Bällen und Blut.

Der Sieg des Despoten, so mag die Botschaft lauten, bleibt nicht das letzte Wort. Ist der Traum von der Gedankenfreiheit, von Gleichheit und Brüderlichkeit erst einmal in der Welt, lässt er sich nicht mehr aus dem Bewusstsein löschen. Zu König Philipps Zeit ebenso wenig wie heute in den Autokratien am Mittelmeer und überall sonst auf der Erde, wo die Menschen danach streben, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen.

Das Düsseldorfer Premierenpublikum beklatschte „Don Karlos“ ausdauernd und begeistert – großes Theater.

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