Neues Album „Das ist los“ Herbert Grönemeyer singt gegen die Krise an

Berlin · Der 66-Jährige präsentierte in Berlin sein neues Werk „Das ist los“. Zu hören gibt es eine von Ratlosigkeit durchwirkte Ansprache zur Lage der Nation. Und einige herrliche Momente deutscher Liebeslyrik.

Herbert Grönemeyer - neue Album: Songs in der Einzelkritik
Infos

Das neue Album von Herbert Grönemeyers in der Einzelkritik

Infos
Foto: dpa/Annette Riedl

Komisches Bild: Journalisten und Musikindustrie-Mitarbeiter stehen verschämt in Hauseingängen, fragen „Mund oder Nase?“ und stoßen sich Wattestäbchen in die Körper. Der Grund: Sie wollen zu Herbert Grönemeyer, werden aber erst nach erfolgreichem Corona-Test vorgelassen. Der 66-Jährige möchte sich nämlich nicht noch einmal anstecken, nicht wieder kurz vor knapp Konzerte absagen müssen wie im vergangenen Jahr. Also zeigen alle stolz vor, dass da nur ein Balken zu sehen ist: Negativ ist positiv. Oder, dem Anlass gemäßer: „Momentan ist richtig, momentan ist gut.“

Herbert Grönemeyer – Stationen seines Lebens
14 Bilder

Herbert Grönemeyer – Stationen seines Lebens

14 Bilder
Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Herbert Grönemeyer präsentiert sein neues Album „Das ist los“. Er hat sich das Restaurant „Lovis“ an der Kantstraße in Berlin dafür ausgesucht. Ein ehemaliges Frauengefängnis, wo nun Gewürzkürbis mit Ziegenkäse und Schaum von der grünen Tomate serviert werden. Unverputzte Backsteinwände, von der hohen Decke schweben Leuchtplaneten und streuen Funzellicht. Aufs mächtige Fenster zum Innenhof wurde die Titelliste des Albums tätowiert. Ein Mitarbeiter der Plattenfirma sagt, Herbert sei motiviert wie nie, und das Publikum erwarte eine tolle und spannende Reise. Danach drückt jemand Play: „Das ist los“.

Fast fünf Jahre sind seit dem Vorgänger-Album „Tumult“ vergangen, und natürlich hört man eine neue Grönemeyer-Platte immer auch als Bericht zur Lage der Nation. Er ist der Mittelschicht-Flüsterer, er spricht vielen aus der Seele, und im Jahr 2023 hört sich das so an: „Hoffnung ist schwer zu finden / Ich suche sie“. Das sind die ersten Verse, sie stammen vom besten Stück der Produktion, es heißt „Deine Hand“.

Grönemeyer, der nach dem Abspielen des Albums den Saal betritt und eine leicht nervöse Heiterkeit ausstrahlt, erzählt, dass er die Musik mit seinem langjährigen Kompagnon Alex Silva in Italien und auf Gotland produzierte. Als sie zurück in Berlin gewesen seien, sei der Krieg ausgebrochen, und da habe er begonnen, die Texte zu schreiben. Grönemeyer trägt komplett schwarz, Sakko, Hose, Pulli, nur die Strümpfe sind weiß und pastellig geringelt. Er erinnert an „Mensch“, den besten Song, den er je geschrieben habe: Der sei zunächst als Uptempo-Nummer geplant gewesen, dann seien die Flugzeuge ins World Trade Center geflogen, und er habe den Song unter diesem Eindruck „runtergefahren“.

Inzwischen heißt es bei Grönemeyer: „Und immer wieder Neuanfang / Die Welt dreht sich im Krisengang.“ Und im Lied „Der Schlüssel“: „Taumeln, Trauma / alles grau und schal / andere Farben sind noch nicht da / Normal war einmal / Übrig bleibt endloses Leid / Kälte, Tränen, eine Nullzeit.“ Er halte sich an Dingen fest, die positiv stimmten, sagt er. Wie an jener Szene, als 2015 die Deutschen die Flüchtlinge an den Bahnhöfen begrüßten. Aber heute? Er wirkt ratlos: „Es braucht den nimmermüden / oh oh oh Aufschrei / rüber in die neue Zeit“, singt er in „Oh Oh Oh“.

Es gibt drei Grönemeyers: neben dem Einmischer auch den Partymacher und Schwärmer. Der Partymacher hält sich auf „Das ist los“ weitgehend zurück. Aber der Schwärmer sorgt für schöne Momente. Am besten ist er ja immer, wenn er eine Person direkt ansingt, am Piano mit Vollkontakt ins „Du“ geht und die Zunge nicht mehr zügelt. Es kommt dann zu dieser herrlichen Gaga-Lyrik wie in „Herzhaft“: „Du beschwingst zaubernd nach / Wenn Du Dich bewegst“. Der oder die Angesprochene weiß sicher, was gemeint ist. Auch sehr besonders: „Wir überkreuzten unsere Seelen“ und „Nimm mich in die Herzhaft“. Manchmal denkt man einfach nur „Mensch, Herbert“ oder sogar „Mensch Herbert“. Etwa bei diesen Textstellen: „Wirfst Wonnen weit um dich / Und triffst damit mich“, „Egal, wie’s um dich rum verzerrt / Du bist nie verkehrt“ und „Deine Stimme klingt so weit / Nach Weiterzeit“.

Grönemeyer hatte zuletzt die Tendenz, eher musikalisch unterlegte Pamphlete, Vorträge und Gedichte als Songs zu veröffentlichen. So ist es auf diesem Album auch: Die Textmassen lasten auf den Grooves, hemmen den Swing. Selbst Beats und Bässe, die Grönemeyer reichlich einsetzt, selbst das Saxofon in „Urverlust“ ordnen sich unter.

Diese Musikalben erscheinen 2023​
17 Bilder

Diese Musikalben erscheinen 2023

17 Bilder
Foto: dpa/Sven Hoppe

Grönemeyer erzählt, dass er das Texten als „einkleiden“ bezeichnet, er ziehe die Musik allmählich an. Er wühle sich dann „wie ein wildgewordenes Känguru in die Worte“, und wenn er eine Silbe brauche, nehme er jede Silbe und zur Not auch einen Artikel. Das dürfte auch für den Titelsong des Albums gelten, da heißt es im bereits von Billy Joel in „We Didn’t Start the Fire“ praktizierten Aufzählungsstil: „Avokado, Chiasamen / Hamsterräder, Großalarm / Hundert Jahre Eitelkeit / Urban, Le Pen, Raputin / Wer ist die nächste Killerqueen.“ Der Refrain endet so: „Das ist, was ist really los.“ Really?

Grönemeyer erzählt dann noch, dass während der Produktion in Italien eine Dame so umwerfend für ihn und Alex Silva gekocht habe, dass sie deren beste Rezepte nun als Kochbuch herausgeben. Irgendwie ist es gut, ihn zu haben, denkt man. Er nimmt das Leben in den Arm, er versucht es zumindest, obwohl auch er merken dürfte, dass sich die Zeiten immer schneller ändern.

Bis tief in die Nacht reicht dieser Abend, und je länger er dauert, desto deutlicher spürt man, wie aufregend das selbst für einen wie Grönemeyer sein muss, ein neues Werk ans Publikum zu übergeben. Er werde jetzt „Gesichter inhalieren“, sagt er.

Herbert Grönemeyer bei der Präsentation seines Albums in Berlin.

Herbert Grönemeyer bei der Präsentation seines Albums in Berlin.

Foto: dpa/Foto: Annette Riedl/dpa | Bearbeitung: RP

Auf dem Heimweg hat man die schönste Stelle dieser Produktion im Kopf: „Manchmal legt sich der Tau auf mich / Und dann werd ich leise traurig / Weil ich glaube nicht / Das alles so schön ist, wie es ist.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Björn Heuser stellt sein neues Album
„... un immer för et Hätz“
Liedermacher Björn Heuser erzählt vorm Konzert in Leverkusen über sein neues Albums „Janz besinnlich“„... un immer för et Hätz“
Aus dem Ressort