Berlin Künstler und Kämpfer: Kinofilm über Ai Weiwei

Berlin · Der Dokumentarfilm "Ai Weiwei - The Fake Case" ist hochaktuell: Gestern wurde Weiweis Anwalt verhaftet

Im Westen reißen sich die Menschen um seine Kunst, daheim zerreißt ihn sein eigener Staat. Mehr als 50 000 Menschen haben innerhalb weniger Wochen die weltweit größte Ausstellung von Ai Weiwei in Berlin gesehen. Nur der berühmte chinesische Künstler selbst darf immer noch nicht kommen. Und kurz vor dem 25. Jahrestag der Niederschlagung von Protesten auf dem Platz des himmlischen Friedens geht China offenbar verstärkt gegen Dissidenten vor. Weiweis Anwalt, der zahlreiche weitere Regierungskritiker vertreten hat, sei festgenommen worden, hieß es.

Jetzt gibt der dänische Dokumentarfilm "Ai Weiwei - The Fake Case" rückblickend Auskunft über das Schicksal des Künstlers. Es ist ein sehr persönliches Porträt - und zugleich ein erschütterndes Dokument über Gewalt, Willkür und Machtmissbrauch.

Regisseur Andreas Johnsen konnte den Regimekritiker in dem Jahr nach seiner Gefangenschaft intensiv mit der Kamera begleiten. Der Sohn eines bekannten chinesischen Dichters war 2011 von den Pekinger Behörden verschleppt und 81 Tage in Isolationshaft gehalten worden. Danach stand er ein Jahr unter Hausarrest, wurde auf Schritt und Tritt beobachtet und wegen angeblicher Steuervergehen verurteilt.

"Ich hatte fast unbegrenzten Zugang zu seinem Leben", erzählt Johnsen. "Mein Ziel war nicht, einen umfassenden, vielstimmigen Einblick in China zu geben. (...) Ich wollte sehen, was er sah, und hören, was er hörte." Konsequent verzichtet der Filmemacher auf eigene Kommentare, nur selten schaltet er sich mit Fragen ein. Dafür beobachtet er den oft fast kafkaesken Alltag von "Meister Ai" in Peking: das Spielen mit seinem kleinen Sohn Ai Lao, die Gespräche mit der Mutter, den Freunden und Unterstützern - und immer wieder die Begegnung mit den Verfolgern, Polizisten und Schlägertypen vor seinem Haus. Einmal bringt er selbst Webcams in seiner Wohnung an. "Ich helfe euch, mich 24 Stunden zu beobachten."

Ai Weiwei weiß nicht, was ihm vorgeworfen wird. "Zersetzung der Staatsmacht", heißt es anfangs mit Blick auf seinen regimekritischen Blog. Später soll er mit der Designfirma Fake, an der er gar nicht beteiligt ist, millionenschwere Steuerhinterziehung begangen haben. Davon hat der vor allem auf Englisch gedrehte Film seinen doppeldeutigen Titel: "The Fake Case" bedeutet mit Blick auf die tatsächlich existierende Firma "Der Fall Fake". Mit Blick auf die fingierten Vorwürfe gegenüber Ai heißt es aber auch "Der erfundene Fall".

Dem Künstler geht es zum Zeitpunkt der Dokumentation sichtbar schlecht. Er ist zermürbt von fast drei Monaten Einzelhaft, leidet unter Schlafstörungen und Gedächtnisverlust und findet nur langsam zu einer Art kreativen Wut, um mit seiner Situation umzugehen. Aber es wird deutlich, wie sehr für den Geächteten inzwischen der Kampf gegen das Regime seine Kunst bestimmt. "Immer öfter setzt er sich selbst in Szene, immer öfter ist er sein wichtigster Zeuge des Unrechts", schrieb etwa "Die Zeit" in ihrer Kritik der Berliner Ausstellung, für die Ai unter anderem seine einstige Gefängniszelle originalgetreu nachbaute. "Warum versuchst du immer, die Grenzen auszureizen?", will Regisseur Johnsen im Film wissen. "Ich reize keine Grenzen aus", antwortet Ai, "ich will nur ein paar meiner Rechte wahrnehmen."

(dpa)
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