Begegnung mit dem Werk des Literaturnobelpreisträgers „Das verlorene Paradies“ ist wieder lieferbar

Stockholm · Abdulrazak Gurnahs Roman „Das verlorene Paradies“ eignet sich als Einstieg ins Werk des aktuellen Literaturnobelpreisträgers. Es liegt jetzt wieder in deutscher Übersetzung vor.

 Abdulrazak Gurnahmit der Medaille des Nobelpreises für Literatur 2021.

Abdulrazak Gurnahmit der Medaille des Nobelpreises für Literatur 2021.

Foto: dpa/Matt Dunham

Keins seiner Bücher war mehr lieferbar. Und nicht zum ersten Mal rieben sich die Experten die Augen, als die Schwedische Akademie in Stockholm im vergangenen Oktober verkündete, dass der 1948 im Sultanat Sansibar geborene Abdulrazak Gurnah den Literaturnobelpreis erhalten werde. Hierzulande nahezu ein Unbekannter, der mit gerade mal zehn Romanen und zwei Erzählbänden dazu auch noch ein verhältnismäßig schmales Werk vorzuweisen hat.

Nacheinander bringt der Penguin Verlag jetzt Gurnahs Romane heraus. Den Anfang machte „Das verlorene Paradies“, sein vierter Roman von 1994. Von dem lag bereits eine deutsche Fassung aus dem Jahr 2010 vor, die überarbeitet und um ein Glossar ergänzt wurde. Der Roman schaffte es seinerzeit auf die Short List des Booker-Preises und eignet sich gut als Einstieg in Gurnahs Werk.

Die Geschichte spielt in Ostafrika Ende des 19. Jahrhunderts. Im Zentrum steht der junge Yusuf, der mit zwölf Jahren von seinen Eltern als Pfand weggegeben wird, um so für die Schulden zu bürgen, in die sie sich bei der Eröffnung eines kleinen Hotels geritten haben. So wächst der Junge bei einem Kaufmann an der Küste auf, von dem er glaubt, es sei sein Onkel, der von allen anderen aber nur „Seyyid“ („Herr“ oder „Meister“) genannt wird. Yusuf hilft dem wenig älteren Khalil im Laden aus, der auch von seinen verschuldeten Eltern weggegeben wurde, er lernt muslimische Händler und indische Geldverleiher kennen und begleitet seinen „Onkel“ auf einer Expedition ins Land jenseits des großen Sees, auf der viele Teilnehmer ihr Leben lassen.

Abdulrazak Gurnah beschreibt eine Welt im Umbruch. Die jahrhundertealten Handelsbeziehungen und Machtverhältnisse zwischen den afrikanischen und arabischen Stämmen zerbersten, seit die Europäer das Land zu Kolonien gemacht haben. Besonders die Deutschen gelten als grausam. Diejenigen, die den Kontinent seit Generationen bewohnen, finden sich auf einmal „in der Mitte von Nirgendwo“ wieder, wie es einmal heißt. Zwar ist die Sklaverei offiziell verboten, das aber was die Deutschen tun, die sich einfach nehmen, was sie wollen, ist im Grund nichts anderes.

Der Roman trifft mitten hinein in die postkolonialen Debatten um das Berliner Humboldt-Forum. Auch das Thema der Vertriebenen, das in allen Büchern des 1968 als Flüchtling nach Großbritannien gekommenen Gurnah spielt eine Rolle. Aber die einfache Sprache und die leblose Figurenzeichnung erinnern bisweilen an ein Jugendbuch. Gurnah schafft nur wenig Atmosphäre. Fast wie Kindermenschen muten die Afrikaner in seinem Buch an. Hätte ein Europäer es geschrieben, müsste er sich deswegen Vorwürfe gefallen lassen. Das ist das Manko, aber auch die Qualität des Romanes. Er nimmt eben nicht die Perspektive der Kolonisatoren ein, sondern die der Kolonisierten. Mag die der europäischen Einschätzung entsprechen, oder nicht.

Info Abdulrazak Gurnah: Das verlorene Paradies. Penguin Verlag, 334 Seiten, 25 Euro

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