50 Jahre Döner Ein großes Stück Deutschland

Düsseldorf · Vor 50 Jahren begann die Erfolgsgeschichte des Döner Kebab in Berlin. An seinem Aufstieg ist ein anderes Traditionsgericht der Deutschen nicht ganz unschuldig.

 Ein klassischer Döner

Ein klassischer Döner

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Es gibt diesen magischen Moment, wenn die Party vorbei ist. Wenn klar wird, dass man sich den letzten Drink hätte sparen sollen, wenn sich der Heimweg zu Fuß durch die Stadt hinzieht und das erste Morgengrauen seinen Namen gerade zu Recht verdient – und wenn dann plötzlich ein Duft in der Luft liegt: Döner. Zu keiner Stunde am Tag schmeckt er so wie in dieser, zu keiner Zeit tut er so gut. Die Kraft kehrt zurück in den Körper, der Sinn zurück ins Leben. Der Döner ist der einzige, der dich in diesem Moment versteht.

Ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seit die Klappstulle aus Anatolien sich anschickte, von Berlin aus Herz und Magen der Bundesbürger zu erobern. Inzwischen ist sie auf der ganzen Welt gewissermaßen in aller Munde. Der US-Multimilliardär Elon Musk etwa zählt den Döner zu seinen Lieblingsgerichten. Laut dem Verein Türkischer Dönerhersteller in Europa (ATDID), der fast 80 Produzenten in Europa vertritt, hat Kadir Nurman, ein Gastarbeiter, im Jahr 1972 die ersten Exemplare am Bahnhof Zoo verkauft. Damals lebten bereits etwa 40.000 Türkinnen und Türken westlich der Spree. Die ersten Läden mit Lebensmitteln aus ihrer Heimat öffneten. Mit dem vergleichsweise wenig gewürzten deutschen Essen wurde beileibe nicht jedermann warm.

Gleichwohl existieren mehrere Entstehungsmythen. In Reutlingen beispielsweise reklamiert Nevzat Salim für sich, die Kombi aus Brot und Fleisch schon 1969 auf einem Straßenfest verkauft zu haben. Ältere Semester werden sich gewiss daran erinnern, sogar schon vorher in der Türkei das ein oder andere Döner-Kebab-Sandwich zu sich genommen zu haben. Remzi Kaplan, Deutschlands bekanntester Dönerproduzent, aber hält Berlin schon deshalb für die Wiege des Döners, weil es Kadir Nurman zu verdanken sei, ihn als beliebtestes Streetfood der Deutschen vor 50 Jahren bundesweit bekannt gemacht zu haben.

Zwar hatten zwischen 1965 und 1970 in der Türkei bereits die ersten Kioske begonnen, Döner auf der Straße zu verkaufen, allerdings nur als Snack, nicht jedoch als vollwertige Mahlzeit. Traditionell war Döner Kebab („sich drehendes Grillfleisch“) ein Tellergericht, das am Tisch verzehrt wurde. Keinem Türken, der etwas auf sich hielt, und keiner Türkin wäre es seinerzeit eingefallen, damit kauend in der Gegend herumzuspazieren. Das eigentlich Neue am Döner, wie wir ihn heute kennen, war also, dass er als Sattmacher „to go“ angeboten wurde.

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Das sind unsere liebsten Döner-Läden in Düsseldorf

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Dem Döner zum Durchbruch verhalf dabei eine Fast-Food-Legende, die knapp zweieinhalb Jahrzehnte zuvor die Essgewohnheiten im Nachkriegsdeutschland revolutioniert hatte: die angeblich ebenfalls in Berlin erfundene Currywurst. Ob die Imbissbudenbetreiberin Herta Heuwer mit ihrer Spezialität damals die Lust der Leute im Westen der geteilten Stadt, bevorzugt auf der Straße zu essen, erst weckte oder eine bereits vorhandene Neigung förderte, sei dahingestellt. Sicher ist: In dem Moment, wo das Grillfleisch vom Teller in gevierteltes Fladenbrot wanderte und auf die Faust genommen werden konnte, trat der Döner seinen Siegeszug an. Die ersten Spieße wurden noch nachts gebaut, um anderntags verkauft zu werden.

Schon die Bewohner des Osmanischen Reichs schätzten das aufgeschichtete Fleisch, welches, sich langsam um die eigene Achse drehend, geröstet wurde. Helmuth von Moltke, der vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. als Militärberater an den Bosporus geschickt worden war, besuchte 1836 eine der vielen Grillstuben, die es seit dem 16. Jahrhundert überall im Land gab. „Unser Mittagsmahl“, so berichtet er, „nahmen wir ganz türkisch beim Kiebabtschi ein; nachdem wir die Hände gewaschen, setzten wir uns nicht an, sondern auf den Tisch, wobei mir meine Beine schrecklich im Wege waren. Dann erschien auf einer hölzernen Scheibe der Kiebab oder kleine Stückchen Hammelfleisch, am Spieß gebraten und in Brotteig eingewickelt, ein sehr gutes, schmackhaftes Gericht.“

Der Soziologe und Autor Eberhard Seidel, der sich seit 35 Jahren mit der Geschichte und Entwicklung des Döner Kebabs beschäftigt hat, ist bei seinen Forschungen sogar auf das Modell eines per Dampfstrahl betriebenen vertikal rotierenden Dönerspießes gestoßen, der von dem Universalgelehrten Taqiyaddin 1546 in Damaskus ersonnen wurde. Durchgesetzt habe sich das Senkrecht-Grillen aber erst vor rund 160 Jahren, schreibt Seidel in seinem vor Kurzem erschienenen Buch „Döner. Eine türkisch-deutsche Kulturgeschichte“ (März-Verlag, 257 S., 20 Euro)

Heute gehen schätzungsweise 2,5 Millionen Portionen Fladenbrot, gefüllt mit saftig geschnittenem Geflügel- oder Kalbfleisch, Salat, Tomaten, Zwiebeln und Soße täglich in Deutschland über die Theke – rund eine Milliarde pro Jahr. Bundesweit gibt es laut Seidel rund 18.500 Döner-Imbisse und türkische Restaurants. Mit etwa 1600 Verkaufsstellen bleibt Berlin unangefochten das Zentrum der Döner-Republik. Nach Angaben des ATDID liegt der Kebab-Konsum in Deutschland bei etwa 550 Tonnen täglich, wobei hierzulande noch einmal etwa die gleiche Menge für den Export produziert wird. Döner Kebab gehört somit nicht nur zu den beliebtesten, sondern auch zu den umsatzstärksten Produkten im Fast-Food-Bereich.

„Der Mensch ist, was er isst“, wusste schon der deutsche Philosoph und Anthropologe Ludwig Feuerbach (1804-1872). Wie sehr der Döner den Deutschen in Fleisch und Blut übergegangen ist, zeigt sich schon bei der Bestellung. Die Satire-Website „Der Postillion“ ließ vor ein paar Jahren den zweifellos erfundenen Dönerverkäufer Hassan Sayim aus Berlin zu Wort kommen, der sich wunderte, wie wenige seiner meist deutschen Kunden sich offenbar in ihrer eigenen Muttersprache korrekt artikulieren können. Denn mehrmals täglich werde bei ihm Döner „mit alles", „mit scharf", „ohne scharf" oder gar „mit ohne scharf" bestellt. Die weniger Gutmeinenden werden das als herablassende Adaption gegenüber sprachlich unzureichend gewandten Verkäufer-Migranten deuten. Aber eigentlich steckt darin vielmehr die freudige Erwartung auf den Beginn eines grandiosen Geschmackserlebnisses. Kebab-Kult eben.

Doch der Kult hat auch Schattenseiten: Gehacktes, mit Stärke zusammengehalten, gelangte in den 80er Jahre vermehrt vom Spieß ins Brot, eine Mischung, die allenfalls noch die Bezeichnung „Ke-Papp“ verdiente. Mitte 1989 schließlich wurde in Berlin festgeschrieben, dass bei der Herstellung nur Fleisch vom Kalb, Rind oder Schaf verwendet werden dürfe, Mischungen seien unzulässig. Zwischen 2005 und 2007 nagten sodann Gammelfleisch-Skandale am Image des deutsch-türkischen Bestsellers, wobei umdeklarierte Schlachtabfälle, überlagertes Rind- und Putenfleisch vor allen von deutschen, insbesondere von bayerischen Dönerspieß-Fabrikanten im Umlauf gebracht worden waren.

2011 lautete das Unwort des Jahres „Döner-Morde“. Die Zwickauer Terrorzelle NSU hatte neun rassistisch motivierte Morde an Kleinunternehmern mit Migrationshintergrund begangen, davon zwei an Opfern, die Döner verkauften. Das Schlagwort, so die Darmstädter Sprachjury, verharmlose die Verbrechen. 2019 attackierte ein Rechtsterrorist den Kiez-Döner in Halle. Nachdem ihm am 9. Oktober ein Angriff auf die Synagoge der Stadt misslungen war, erschoss er unter anderem in dem Imbiss den Malerlehrling Kevin Schwarze.

„Auch bei einer konservativen Schätzung“, schreibt Drehspieß-Experte Seidel, „müssen wir in den zurückliegenden Jahren von mindestens 1000 Angriffen auf Dönerimbisse allein in Ostdeutschland ausgehen, wo diese wesentlich häufiger geschehen als im Westen. Mal werden Schaufensterscheiben eingeworfen, mal Brandsätze geworfen, Imbisswagen in Brand gesteckt oder die Betreiber niedergeschlagen und die Gäste bedroht.

Dennoch: „Auch wenn die Erde stehenbleibt, der Döner wird sich immer weiterdrehen“, findet Özcan Coşar, Comedian aus dem Stuttgarter Stadtbezirk Bad Cannstatt. Es gibt ihn inzwischen mit Trüffeln und Blattgold, im feinen „Adlon“-Hotel in Berlin lässt es sich mit Kalbsfiletstreifen jenseits von 25 Euro „dönieren“. Von der Kontinuität des Döners zeugt unter anderem die Tatsache, dass eine junge Ministerin Anfang der 90er Jahre regelmäßig einen entsprechenden Imbiss in der Berliner Wilhelmstraße aufsuchte. Der Name des Ladens änderte sich mehrfach, die Ämterbezeichnung der Politikerin ebenfalls, doch sie hielt ihm noch die Treue, als sie schon nicht mehr Kanzlerin war – Angela Merkel. In Frank Castorfs Bayreuther Inszenierung von Richard Wagners „Götterdämmerung“ von 2013 begegnen wir Hagen, dem schlimmen Sohn des Alberich, gar als Döner-Buden-Betreiber. Von einer Döner-Dämmerung aber kann einstweilen nicht die Rede sein.

Schon gar nicht in der Morgendämmerung.

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