Song des Spieltags Seemannsgarn

Unser Autor stellt an jedem Montag den Song des Spieltages und seine Geschichte vor. Denn an jedem Wochenende lehren die TV-Kommentatoren : "Solche Geschichten schreibt nur der Fußball" – und jede hat einen Soundtrack verdient. Diesmal: "The Diamond Sea" von Sonic Youth.

 Zwei, die Hertha wieder nach oben bringen... ja, genau.

Zwei, die Hertha wieder nach oben bringen... ja, genau.

Foto: dpa, Florian Schuh

Unser Autor stellt an jedem Montag den Song des Spieltages und seine Geschichte vor. Denn an jedem Wochenende lehren die TV-Kommentatoren : "Solche Geschichten schreibt nur der Fußball" — und jede hat einen Soundtrack verdient. Diesmal: "The Diamond Sea" von Sonic Youth.

Ein König hat es heutzutage nicht leicht. Damals, in der guten alten Zeit, trauten sich die Untertanen nicht aufzumucken. Es gab keine Playstation und kein Nachtleben, kein Facebook, kein Twitter und keine Handys; das einzige Medium war die Wahrsagerin, die mit ihrer Kristallkugel in dem verlotterten Kirmeszelt vor den Toren der Stadt saß und den König hätte warnen können. "Otto", hätte sie sagen können, "lass die Finger von Hertha". Gefruchtet hätte es nicht: Auf eine Wahrsagerin zu hören, ist eines Königs unwürdig. Otto Rehhagel hätte also vermutlich seinen Otto-Rehhagel-Blick aufgesetzt, der signalisieren soll, jetzt spreche die Weisheit des Philosophen zu den Versehrten im Tal der Ahnungslosen. "Meine Pläne", so hat es Otto Rehhagel kürzlich gesagt, "sind immer richtig". Uff. Das muss man jetzt doch noch mal zu Ende denken. Wenn das stimmt, gilt: Respekt, Berlin. Der Auftritt beim 1:2 gegen Kaiserslautern als perfekter Plan — um das zu verkraften, brauchen die Hertha-Fans dringend einen mehrtägigen Kuraufenthalt am Meer. Der Song des Spieltages ist "The Diamond Sea" von Sonic Youth.

Am Ende verschwindet da alles im Lärm der Gitarren. Zuvor aber ist es eine Reise, ein Schaudern, Zittern, Hoffen. Ein Wiedersehen. "I wonder how it came to be my friend that someone just like you has come again”, heißt es in dem fast 20 Minuten langen Song. Er ist damit länger, als Hertha zurzeit an einem Bundesligaspieltag zu überzeugen weiß, und alleine deshalb hat Rehhagels Rückkehr auf die Bundesligabühne für die Berliner etwas Schauderhaftes. Die diamantene See als Spiegel, doch Vorsicht: "The mirror's gonna steal your soul". Es ist, als säße Tante Hertha vor dem Spiegel, die Frage "Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?" auf den Lippen, und der Spiegel würde kurz und knapp antworten: "Colonia".

Das bricht Hertha nicht nur das Herz. Es führt geradewegs in die Zweitklassigkeit. Dabei ist es nicht nur so, dass die Zeiten, in denen Regenten wie König Otto ihre Untertanen im Griff hatten, vorbei sind. Eine Mannschaft, die sich so präsentiert wie Hertha BSC im Heimspiel gegen den Tabellenletzten aus der Pfalz, hat nichts anderes verdient als die Zweitklassigkeit. Das ist die frohe Kunde für den zuletzt so angeschlagenen 1.FC Köln: Er hat mit Frank Schaefer einen Trainer, der einer leblosen Mannschaft wieder so etwas wie Kampfkraft einflößte. Er hat einen neuen Präsidenten gewählt. Er schöpft wieder Glauben an Artikel drei des Kölschen Grundgesetzes: "Et hätt noch emmer joot jejange". Und der ärgste Rivale um den Relegationsplatz muss endgültig erkennen, dass die Königreiche der guten alten Zeit mittlerweile versunkene Reiche sind. Sie schlummern auf dem Grund der diamantenen See. Wenn Regenten wie König Otto auch heute noch erzählen, ihre Pläne seien immer richtig, dann ist das nichts anderes als Seemannsgarn.

(seeg)
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