Mein Herz schlägt schneller Die tollen Abende mit Rainald Grebe

Düsseldorf (RPO). Rainald Grebe schickt sich an, mit seiner neuen Platte "Rainald Grebe und das Orchester der Versöhnung" das große Publikum zu erobern. Er hat es verdient: Keiner schreibt so bitterböse und zugleich so großartig-komische Lieder wie der gebürtige Kölner.

 Rainald Grebe hat Feinde vom Prenzlauer Berg bis Brandenburg.

Rainald Grebe hat Feinde vom Prenzlauer Berg bis Brandenburg.

Foto: Label

Jetzt also ein ganzes Orchester. Dabei hat der Mann am Klavier, der gerne mit Indianerperücke auf die Bühne tritt, ziemlich unscheinbar angefangen. Vor zehn Jahren erschien seine kleine, feine Promoplatte "Solo". Rainald Grebe gab darauf den Einzelkämpfer am Piano, und er sang seine Zeilen mit einem Pathos, das man meinen konnte: Da geht es um alles. Um die Welt, die Liebe, den alltäglichen Wahnsinn. Mindestens. Tatsächlich aber war Grebe schon da ein Meister des hintergründigen Wortwitzes. "Sie hieß Dörte Becker, und so sah sie auch aus", röhrte Grebe, und "Dörte", dieser scheue, verkannte Hit wurde zum Kultsong. Auch wegen der bitterbösen Antwort, die der Mann im Lied seiner Freundin auf die Frage, ob er sie liebe, entgegenschleudert: "Dörte, du bist der Ausweg aus der Spaßgesellschaft". Zack, bumm, das sitzt. Aus die Maus.

"Aus die Maus", das könnte auch was für Rainald Grebe sein. Ist ja eine ziemlich alberne Formulierung, über deren Herkunft man trefflich sinnieren kann; ein doofer Reim, aber gerade dieser doofe Reim könnte eines dieser Sujets sein, aus denen Grebe seine Texte zimmert. Der gebürtige Kölner, der lange in Thüringen lebte und heute Berlin seine Heimat nennt, ist ein Könner darin, die kleinen Nebentöne des Lebens in Szene zu setzen. Das Groteske wird zur Spielwiese, demaskiert, und ein bisschen durchgeknallt sollte es dann schon sein. So ist das bei Grebe, diesem fast 40-Jährigen, den seine Bundesländer-Hymnen zum heimlichen Star machten. Brandenburg, über das die Berliner ja so gerne Hinterwäldler-Witze machen, kriegt sein Fett weg ("Es gibt Länder, wo was los ist — und es gibt Brandenburg"), Thüringen ebenso ("Das grüne Herz Deutschlands, seit wann sind Herzen grün?") und nun, auf der neuen Platte, ist Sachsen-Anhalt dran. Die Klickzahlen zu Grebe-Songs auf YouTube übersteigen längst die Millionengrenze, und zwar völlig zu Recht.

Rainald Grebe hat etwas zu erzählen in seinen Songs, und er tut es auf unterhaltsame Weise. Schwer wird es, wenn jemand die Schublade sucht, in die man diesen Künstler stecken könnte. Ist das chansonesk? Ja, die Konzerte mit Grebe am Klavier vielleicht. Aber er tritt ja auch mit seiner Band — der Kapelle der Versöhnung — auf, und dann ist es nicht mehr chansonesk. Also Rock'n'Roll? Ja, auch das vielleicht, in einem Song fordert Grebe sogar "Gebt dem Rock'n'Roll seine Unschuld zurück". Andererseits: Bei seinen Konzerten gibt es Bestuhlung, und das ist ja so gar nicht Rock'n'Roll. Also ist es vielleicht doch einfach nur Comedy, schließlich ist Grebe auch immer wieder in Comedysendungen zu Gast? Ein drittes Mal lautet die Antwort: Ja, vielleicht. Am ehesten aber trifft das zu, was der "Stern" einst über Rainald Grebe schrieb: Er hat sein eigenes Genre geschaffen. Das muss einem erst mal gelingen in Zeiten, in denen es gerne heißt, es habe ja schon alles gegeben (was natürlich Quatsch ist), und vor allem muss einem das erst einmal ganz ohne fette Marketingmaschinerie im Rücken gelingen, die jede Mücke zu einem Elefanten aufzuplustern vermag — wobei sich wieder so eine "Aus die Maus"-Frage stellt. Woher kommt das mit der Mücke und dem Elefanten? Das wäre wieder was für Grebe und sein Genre.

Mit diesem Genre gelingt dem Wahl-Berliner Außergewöhnliches: Es lachen vor allem die über seine Texte, über die er sich in eben diesen Texten lustig macht. Ein Beispiel ist der Song Prenzlauer Berg von seiner neuen Platte. Da wird die ganze so hippe Individualkultur des Berliner Szenebezirks auf den Kopf gestellt, dieses ganze Brimborium aus Holzspielzeug, Bio-Ernährung, alternativen Lebensentwürfen. "Wäre Hertha BSC ein Yoga-Verein, hier wäre alles Blau-Weiß", singt Grebe und wirft ein kämpferisches "Ho-Ho-Holzspielzeug" in den Raum, ehe er staunend ausruft "Guck mal da oben, Bio-Feuerwerk". Jeder Satz ist hier ein Treffer, und die Prenzelberger lachen mit, über sich und dieses Prenzlauer Berg, das sie da geschaffen haben. Genauso wie die "30-jährigen-Pärchen", deren Pärchenabenden sich Grebe in seinem gleichnamigen Song annimmt, der in einem lakonisch dahingeworfenen "Wenn die Liebe geht, die Hobbys bleiben" mündet. Das ist auch eine von Grebes Gaben: Immer ist da so ein Satz, der aus einem Song herauszuspringen scheint. In "Die 90er Jahre", einer Liebeserklärung an eben jenes Jahrzehnt, ist alles drin, was die 90er Jahre ausgemacht hat — aber auch dieser eine Satz: "Wir meinten alles ironisch, auch die Ironie."

Grebes Texte sind wie ein wilder Ritt durch den Zeitgeist. Es sind kleine Diagnosen des Hier und Jetzt, Dokumente des Alltags. Mal böse, mal mit Tabubruch, immer beherzt. Zwischen Grebes Pathos bleibt Platz für Klamauk — und für Sätze, die nachwirken. Jetzt also die neue Platte mit Orchester, dazu die passende Tour. Grebe bespielt fortan die 2000er-Hallen. Sie sollten voll sein, weil Abende mit Rainald Grebe immer gute Abende sind.

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