Festival-Rückblick Haldern Pop — ein Nachbericht in acht Superlativen

Haldern · War wieder schön gewesen. Die 30. Ausgabe des niederrheinischen Festivals lieferte englische Entdeckungen, ukrainische Dozenten und norwegischen Räucherlachs.

Festival-Rückblick: Haldern Pop — ein Nachbericht in acht Superlativen
Foto: Stade, Klaus-Dieter (kds)

Die verpassteste Chance

Wird sie es jemals lernen? Neben den vielen Bands, die mich interessieren, gibt es auch ein paar, die mich sehr interessieren, die ich auf jeden Fall sehen möchte und deren CD ich morgen, morgen reicht ja, auf jeden Fall kaufen werde. Im Plan sind sie markiert, damit ich sie nicht verpasse. Als Balthazar, deren Auftritt umkringelt ist, ihren leicht verschwurbelten Pop spielen, sitze ich im Auto und mache ein Partypäuschen. Auf der Hauptbühne wird umgebaut und man hört die Übertragung aus dem Spiegelzelt. Ich sage laut "Die sind echt gut" und denke "Gleich gehe ich los!". Natürlich bin ich zu spät zurück und sehe nichts mehr vom Auftritt. Die CDs der Belgier sind die ersten, die ausverkauft sind. Auf dem Weg zum Parkplatz überholt uns später ein Bus mit belgischem Kennzeichen. "Womöglich sind das Balthazar", witzeln wir. Sie sind es. Als der Bus plötzlich anhält, überlege ich kurz, anzuklopfen und zu fragen, ob sie noch eine CD haben. Ich mache es nicht. Ich hatte meine Chance. Montag leiste ich meinen Ablass im Plattenladen. (krj)

Das vorlesungsähnlichste Konzert

Der Ukrainer Lubomyr Melnyk ist ein Mann von 64 Jahren und hat deshalb viel zu erzählen. Vor allem von der Musik. Bevor er sich am Donnerstag ans Piano in der St. Georgs-Kirche setzte, teilte der Rauschebart dem Publikum minutenlang seine philosophischen Erkenntnisse mit. Verstanden hat die vielleicht nicht unbedingt jeder, aber sobald er die Hände über die Tasten gleiten ließ, war das ohnehin nicht mehr so wichtig. Kurze Zeit später war jeder Zuhörer in seiner eigenen Gedankenwelt. Nur der Typ nicht, der eine Steckdose in der Kirche entdeckte und diese nutzte, um sein Handy aufzuladen. (seda)

Der beruhigendste Augenblick

"Oh nein, nicht schon wieder!" höre ich den Mann neben mir rufen. Er schlägt mit der Hand ans Lenkrad, schnauft, flucht. Dieses Mal ist es ein Reisebus, der uns nun bis kurz vorm Festivalgelände begleitet, wie an den Tagen vorher seine noch langsameren Freunde, der Trecker und der Mähdrescher. Als wir endlich ankommen, schnauft und flucht der Mann wieder, dieses Mal über die Schlange am Einlass. Das nächste Mal höre ich das weiße Rauschen, als wir in das mittlerweile volle und heiße Spiegelzelt treten. Dan Croll singt schon. "Every now and then I fall, every now and then I lose control”. Der Mann entspannt sich, wippt mit, applaudiert und lächelt sogar. Am Abend sagt er "Ach, war das wieder schön". Danke, Dan Croll. Trotzdem bin ich froh, dass auf dem Rückweg kein Trecker vor uns war. (krj)

Der coldplay-artigste Moment

Es ist selten, dass ein Musiker nach Haldern kommt, der es zu einem Radio-Hit gebracht hat. Und noch seltener, dass dieser gerade zum Zeitpunkt seines Auftritts ein Radio-Hit ist. Tom Odell ist das gelungen, sein "Another Love" untermalte zunächst den Werbespot eines Telekommunikationsriesen und ist nun so etwas wie ein Sommerhit, wenn auch einer eher melancholischer. Als er diesen am Freitagabend auf der Hauptbühne spielte, durften sich die Besucher für ein paar Minuten vorstellen, Coldplay auf dem Alten Reitplatz zu erleben. War aber noch viel besser. (seda)

Die tanzbarste Stunde

Musik kennt keinen Jetlag. Als die Alabama Shakes am Samstagabend auf die Hauptbühne kamen, waren sie laut Sängerin Brittany Howard erst ein paar Stunden wach. Das aber hielt die Blues-Bombe und ihre männlichen Begleiter nicht davon ab, den Zuschauern Beine zu machen. Da fingen plötzlich auch Leute an zu tanzen, die nicht einmal wussten, dass sie dazu überhaupt die Muskeln besaßen. Nach einer Stunde war auch wach, wer überhaupt nicht geschlafen hatte. (seda)

Das am längsten aufgeschobene Debüt

2003 war der Sommer, in dem Kettcar die Festivals dieser Republik eroberten mit ihrem ersten Album "Du und wieviel von deinen Freunden". Nur die Veranstalter des Haldern Open Airs wollten da nicht mittun und luden die Band damals nicht ein. Auch in den Jahren danach nicht. Erst zehn Jahre später wurde Kettcar diese Ehre zuteil. Sie freuten sich wie ein Sechsjähriger, der eine Nacht in der Süßigkeiten-Abteilung eingesperrt wird, und spielten am Samstagnachmittag viele alte Hits, zum Schluss natürlich "Landungsbrücken". Minutenlang forderten die Fans Zugabe — das aber lässt der Zeitplan offenbar nicht mehr zu. Vor zehn Jahren wäre das noch anders gewesen. (seda)

Die besten Entdeckungen

Unbedingt achten auf: Luke Sital-Singh, einen jungen Singer/Songwriter aus London, der wahlweise mit Akustik- und E-Gitarre zerbrechlichste Melodien spielt. Half Moon Run, eine kanadische Rockband, die nie den direkten Weg zum Ziel sucht, ohne allerdings verkopft rüberzukommen. Bear‘s Den, eine englische Folk/Country-Band, die nicht ganz zufällig Support für Mumford & Sons war. Was für sehnsuchtsvolle Melodien. Allah-Las aus den USA, die mit ihrem verspulten Beach-Boys-Poprock noch lange nicht fertig sind. Dan Croll, der von Liverpool aus mit seinen verqueren Psychedelic-Songs seinen Weg machen wird. (seda)

Das beste Gefühl im Magen

Musikfestivals sind Abgesänge auf die Errungenschaften der Gastronomie. Meist müssen Bratwurst, chinesische Nudeln und Laugengebäck ausreichen. Das war auch in Haldern lange Zeit nicht besser. Das änderte sich im vergangenen Jahr und setzte sich nun fort. Neben dem üblichen Fastfood grillte ein Anbieter aus der Region norwegischen Lachs über dem Feuer, frittierte ein anderer frische Chips, brutzelte eine verrückte holländische Truppe Lamm und Spanferkel über dem offenen Feuer und verkaufte ein Gastronom so genanntes Handbrot, gefüllt mit Käse, Pilzen und Schinken.

(seda)
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