Herzrasen Die demokratischste Cola der Welt

Düsseldorf (RPO). Sie verkaufen Cola, Kaffee und Übernachtungen und stellen dabei Prinzipien der Marktwirtschaft auf den Kopf – Herzrasen über Unternehmer, die erfolgreich sind, obwohl ihnen Sinn wichtiger als Geld ist.

 Mit Premium-Cola ist Rock'n'Roll im Kühlschrank.

Mit Premium-Cola ist Rock'n'Roll im Kühlschrank.

Foto: Andreas Endermann

Düsseldorf (RPO). Sie verkaufen Cola, Kaffee und Übernachtungen und stellen dabei Prinzipien der Marktwirtschaft auf den Kopf — Herzrasen über Unternehmer, die erfolgreich sind, obwohl ihnen Sinn wichtiger als Geld ist.

Was der Unternehmer Uwe Lübbermann sagt, rollt anderen Unternehmern die Fußnägel auf: "Wenn ich Gewinn erziele, habe ich einen schlechten Job gemacht." Denn das bedeutet für Lübbermann, dass er anderen zu wenig gezahlt hat. Und weil der Hamburger Gewinn für schädlich halt, produziert und verkauft er seine "Premium Cola" so, dass am Ende genau das übrig bleibt: Null Euro. Für 60 Cent geht die Flasche an Restaurants und Kneipen, so hat er es mit den Händlern festgelegt. 4 Cent bekommt Lübbermann, 1 Cent ist für Investitionen, der Rest unter anderem für Zutaten, den Produzenten, Zwischenhändler, Buchhalter. Alle Beteiligten bekommen einen festen Anteil. Wie hoch der ist, haben alle Beteiligen zusammen festgelegt. Nicht nur das macht das Getränk zur demokratischsten Cola der Welt.

Premium gehört zu jenen Unternehmen, deren Macher eine Alternative bieten wollen. Eine Alternative zu jenen Firmen, in denen die Hierarchie steil ist, die Tätigkeit ewig gleich, Gewinn und Wachstum über allem stehen und der Chef hundert Mal so viel verdient wie seine Mitarbeiter. Sie verkaufen Cola, Kaffee, Übernachtungen, Holzspielzeug — aber eben nicht so, wie es Unternehmen normalerweise machen. Uwe Lübbermann sagt es so: "Ich will Moral und Wirtschaft in Einklang bringen."

Die Geschichte von Premium beginnt in einer Badewanne. In der liegt Lübbermann 1999 und trinkt sein Lieblingsgetränk, Afri-Cola. Er denkt: Das knallt überhaupt nicht mehr - und findet heraus, dass der neue Besitzer von Afri-Cola den Koffeinanteil deutlich gesenkt hat. Mit einigen Freunden beschwert er sich bei dem Unternehmen. Ohne Erfolg. Also beschließen sie, einfach selbst nach Originalrezept zu produzieren. Weil die ersten 1000 Flaschen schnell verkauft sind, machen sie weiter. Später nehmen sie auch Bier ins Sortiment. 2008 verkaufen sie so 312000 Flaschen. Seinen Lebensunterhalt verdient damit aber niemand.

Lübbermann und seine Leute produzieren die Getränke nach dem, was sie "Premium-Betriebssystem" nennen. Dazu gehört nicht nur, dass Premium keinen Gewinn macht. Dazu gehört auch, dass die Beteiligten alle Entscheidungen gemeinsam treffen. Und weil Premium kein Geld für ein Büro hat, tun sie das übers Internet. Lübbermann, Händler, Konsumenten, Produzenten, Kneipenbesitzer. Rund 175 Leute sind im E-Mail-Verteiler, vom Anhänger der Piratenpartei bis zum CDU-Wähler. Und da jeder mit der Entscheidung einverstanden sein muss, dauern die Diskussionen häufig länger. So diskutierten sie vier Monate, bis sie sich auf sechs Begriffe geeinigt haben, die auf der Flasche stehen: Geschichte, Kraft, Geschmack, Aufrichtigkeit, Konsequenz, Leben.

Mittlerweile haben sich aber Zuständige für die einzelnen Bereiche ergeben. Schlagen diese etwas vor und meldet sich daraufhin keiner, gilt das als Zustimmung. Weil ihnen das aber noch immer nicht korrekt genug ist, arbeiten die Premium-Menschen nur mit Leuten zusammen, die ihren Ansprüchen genügen. So kündigen sie bald einem Großhändler, dem sie vorwerfen, seine Flaschensortierer schlecht zu behandeln.

Andere Unternehmen sind ähnlich idealistisch. Die achtköpfige Genossenschaft Café Libertad aus Hamburg vertreibt unter anderem fair gehandelten Bio-Kaffee von Bauern in Mexiko, denen sie laut Geschäftsführer Folkert Mohrhof 30 Prozent mehr als üblich zahlen. Solidarische Ökonomie nennt Mohrhof das: anderen und sich selbst helfen. Entscheidungen treffen die Genossenschaftler einstimmig. Jeder bekommt einen Stundenlohn von 16 Euro und übernimmt vom Kistenpacken bis zum Rechnungen schreiben alle Arbeiten. Sieben der Mitglieder verdienen damit ihren Lebensunterhalt. Café Libertad arbeitet kostendeckend, bleibt aus Versehen Geld übrig, geht das in Löhne oder Rücklagen.

Bei der Druckerei Oktoberdruck muss jeder Mitarbeiter einen Anteil kaufen und hat damit eine Stimme in den Versammlungen. Der Stundenlohn ist für alle gleich. Auch beim Baustoffkollektiv Biber in Niedersachsen bekommen alle denselben Lohn, bereits 14 Jahre funktioniert das. Die Mitarbeiter des Regenbogenhostels in Berlin verkaufen Übernachtungen — ebenfalls im Kollektiv und mit gleichem Lohn.

Während die oben erwähnten Unternehmer vorwiegend von politischen Überzeugungen geleitet werden, ist für andere die Religion der Antrieb. Die Basisgemeinde Wulfshagenerhütten bei Kiel produziert Holzspielgeräte. Entstanden ist die Gemeinde aus einem ökumenischen Bibelkreis. "Wir haben uns gefragt: Wie kann man die Bergpredigt umsetzen, also teilen und Schwache integrieren", sagt Bernd Meyer-Stromfeldt, Vorstandsmitglied der Genossenschaft. So stellt die Gemeinde häufig Langzeitarbeitslose ein. Viele der Mitarbeiter sind gleichzeitig Mitglied der Basisgemeinde und wohnen dort zusammen mit ihren Familien. Gemeindemitglieder haben kein Privatvermögen, alle Einnahmen kommen in eine Kasse. Die wichtigsten Entscheidungen trifft die Gemeindeversammlung. Auch wenn Meyer-Stromfeldt nicht auf Gewinnmaximierung setzt: "Wir zeigen, dass man einen Betrieb mit Menschen profitabel führen kann, die dafür als nicht geeignet gelten."

Menschen, die in Kooperativen, Kollektiven und ähnlichen Unternehmensformen arbeiten, wollen nicht in erster Linie Geld verdienen. "Sinn ist eine wichtige Ressource", sagt Susanne Elsen von der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften an der Hochschule München. Mitarbeiter in einem Kollektiv bekommen mehr Verantwortung, arbeiten selbstbestimmter und ohne Hierarchie. Mitarbeiter fühlen sich dem Unternehmen stärker verbunden, das ist wichtig, wenn es mal nicht so gut läuft. Für Krisen sind aber auch diese Unternehmen empfänglich, "es gibt aber tendenziell bessere Strukturen für Hilfe und Solidarität", sagt Elisabeth Voß vom Netz für Selbstverwaltung und Kooperation Berlin-Brandenburg.

Doch einer der wichtigsten Gründe, sich für ein solches Unternehmen zu entscheiden, gehört auch zu den wichtigsten Gründen, dort nicht einzusteigen: Eigenverantwortung. "Die einen blühen auf, für andere mag es schwierig sein, wenig vorgegeben zu bekommen", sagt Elisabeth Voß. Vor allem in kleinen Kollektiven zählt jeder einzelne, die Unternehmen fallen und steigen mit den Personen, die sie tragen. Wer ungeduldig ist, hat dort ebenfalls nichts verloren. Das Wachstum ist langsam, Entscheidungen werden lange diskutiert. Und friedlich ist der Umgang untereinander längst nicht immer. "Auch da gibt es Frustbuden", sagt Elisabeth Voß.

Einige Unternehmen wagen den Spagat und wollen das Beste aus beiden Welten vereinen, Moral und Profit. Solvis, ein Hersteller für Solarheizsysteme, begann mit fünf gleichberechtigten Gesellschaftern, die denselben Monatslohn bekamen. Mit dem Wachstum kamen die Änderungen. Aus dem gleichen Monatslohn wurde der gleiche Stundenlohn wurde unterschiedlicher Lohn. Später waren Mitarbeiter nicht mehr dazu verpflichtet, gleichzeitig Gesellschafter zu sein. Dadurch haben die einen mehr Einfluss, die anderen weniger. Geschäftsführer Helmut Jäger erklärt, dass Lohnanreize nötig sind, um genug qualifiziertes Personal zu bekommen, und ab einer gewissen Größe Entscheidungen delegiert werden müssen. 330 Mitarbeiter hat Solvis heute.

Klaus-Heiner Röhl vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln gibt Jäger recht. Je größer das Kollektiv, desto schneller scheitere ein System ohne Hierarchien und Lohnspreizung. Doch vieles hat das Unternehmen bewahrt: zwar ist nicht jeder Mitarbeiter Gesellschafter, aber jeder Gesellschafter Mitarbeiter. Auf diese Weise bleibt die Firma in den Händen von Mitarbeitern. Die Lohnunterschiede halten sich in Grenzen. Die Hierarchie bleibt vergleichsweise flach.

Es ist aber nicht so, als würden Uwe Lübbermann und seine Premium-Leute keine Kompromisse machen. Premium verwendet keine Etiketten aus Recycling-Papier, es gibt einfach keine. Wer nur zehn Minuten mit Lübbermann gesprochen hat, weiß, dass ihm diese Entscheidung so schwer gefallen ist wie anderen, tausend Mitarbeiter zu entlassen.

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