Interview mit Christian Ehring Auffällig unauffällig

Obwohl Christian Ehring, 41, in der Heute-Show auftritt und die Sendung Extra 3 moderiert, ist er ein unbekannter Fernsehstar.

 Christian Ehring überlässt dem Interviewer gerne den Vorsitz.

Christian Ehring überlässt dem Interviewer gerne den Vorsitz.

Foto: Andreas Endermann

Bis gestern habe ich gedacht, dass ich gar nichts von Ihnen wissen möchte.

Christian Ehring Weil Sie dachten, da ist nichts? Sie haben recht.

Nein, weil Sie so selten auf sich aufmerksam machen. Man liest fast gar nichts über Sie. Dann aber ist mir was aufgefallen: Es kommt mir so vor, als hätten Sie keine körperlichen Mängel.

Das stimmt nicht. Ich habe für einen Mann extrem kleine Hände. Schauen Sie mal.

Oh. Ist das noch normal?

Darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht. Ich komme damit gut zurecht.

Ich frage deshalb, weil alle Kabarettisten irgendeinen Mangel haben. Haarausfall, Übergewicht, Kurzsichtigkeit. Das halte ich für notwendig, um eine Distanz zur Umwelt zu entwickeln.

Wenn ich mir Bilder von mir als pubertierendem Jugendlichen ansehe, kann ich die physischen Mängel sofort erkennen. Aber auf den ersten Blick.

Zahnspange?

Und zwar alle Modelle, auch die mit den Drähten außenherum. Der so genannte Head Gear wurde damals vermutlich an mir erstmals getestet. Aber ich stimme Ihnen zu. Bei vielen Kollegen erkenne ich, warum sie diesen Beruf ergriffen haben. Ricky Gervais hat gesagt, er habe mit Comedy angefangen, als er merkte, dass er fett war. Bei mir ist der Mangel vielleicht etwas ganzheitlicher.

Der worin bestand?

Ich war schüchtern. Zwischen meinem 11. und 17. Lebensjahr habe ich vielleicht 27 bis 35 Worte gesprochen. Ich hatte große Schwierigkeiten, Mädchen anzusprechen. Als ich auf die Bühne gegangen war, war das möglicherweise der entscheidende Punkt in meinem Leben. Ich habe gemerkt: Das ist eine ganz andere Welt. Da kann ich bestehen. Die Leute schauen mir zu, und ich kommuniziere mit ihnen. Bis heute fühle ich mich auf der Bühne sicherer als im normalen Leben.

Die meisten Menschen fühlen sich auf der Bühne eher unsicherer.

Für mich ist es ein großer Spielplatz. Ich habe definitiv mehr Angst, mich im Privatleben zu blamieren als auf der Bühne. In privaten Gesprächen bin ich nicht so schlagfertig. Vielleicht ist das auch ein psychischer Defekt?

Woher kam diese Schüchternheit?

Ich war der Älteste. Vielleicht haben mich meine Eltern mehr beobachtet. Dadurch hatte ich das Gefühl: Es muss stimmen, was man macht.

Haben Sie selbst schon früh angefangen, andere zu beobachten?

Ja. Ich habe wenig gesagt und viel beobachtet. Ich saß lieber in der hinteren Reihe und war definitiv nicht der Klassenclown. Die Klassenclowns aus meiner Klasse haben heute Berufe, bei denen sie Krawatte tragen müssen.

Wann haben Sie diese Distanz zwischen Ihnen und der Welt zum ersten Mal bemerkt?

Ich war als Kind schon gerne alleine. Wenn mich zu Grundschulzeiten Freunde angerufen haben, damit wir draußen spielen gehen, habe ich gesagt: Ich kann nicht, ich hab zu tun. Eine dämliche Ausrede. Was hat man als Grundschulkind schon zu tun? Aber ich hab lieber gelesen und war für mich. Später habe ich auch relativ exzessiv Klavier gespielt. Meine frühe Pubertät habe ich auf dem Klavierhocker verbracht.

Freiwillig?

Ja, tatsächlich. Erst später mussten mich meine Eltern mal zwingen, und ich hab mich dann auch zwingen lassen. Diese Entfremdung von der Welt kam vermutlich sehr früh, aber zu Beginn habe ich das nicht als Entfremdung empfunden. Schüchternheit ist sozusagen meine Grundeinstellung ab Werk. Erst mit 14, 15 hatte ich das Gefühl, andere machen das anders. Ich wäre gerne wie die, aber ich hab nicht die geringste Ahnung, wann die das gelernt haben, so locker zu sein.

Haben Sie mittlerweile Frieden mit sich geschlossen?

Irgendwann fand ich mich wieder cool, als mich noch kein anderer cool fand. Dann ist man halt der einsame, unverstandene Wolf. So kriegt man die Pubertät auch irgendwie rum.

Wann haben Sie angefangen zu schreiben?

Schon als Kind. Und über die Texte bin ich auf die Bühne gekommen. In der Amateurtruppe, zu der ich gehörte, war ich der Schreiber, der auch mitspielen durfte.

Ihre Programme kommen heute noch ausschließlich übers Wort.

Die Bezeichnung "Schauspieler" würde ich als Beleidigung empfinden. Das Selbermachen gehört für mich schon essentiell dazu. Ich weiß aber eben auch, wo spielerisch meine Grenzen sind. Nach einem sehr frühen Auftritt hat mir eine Zuschauerin mal gesagt: Es ist irre, wie Sie es schaffen, die ganze Vorstellung über nicht das Gesicht zu bewegen. Dabei hatte ich das Gefühl, da wäre sehr viel an Mimik gewesen.

Kabarettisten haben immer das Problem, dass sie vor einem Publikum auftreten, das ohnehin derselben Meinung ist.

Es gibt Momente, in denen ich mich vom Publikum oder von Teilen des Publikums entfremde, und das macht dann auch Spaß.

Bei welchen Themen passiert das?

Im Rheinland sehr häufig, wenn es um Religion geht. Der Rheinländer lässt sich da sehr leicht provozieren, weil der rheinische Humor so etwas Versöhnliches hat. Aber auch das normale, linksliberale Kabarettpublikum hat seine Empfindlichkeiten. Wenn man etwas gegen den Buddhismus sagt, wird es deutlich ruhiger, als wenn man etwas gegen den Papst sagt. Wenn man etwas gegen Homöopathie sagt, wird es deutlich ruhiger, als wenn man was gegen die FDP sagt.

Ist es ein schönes Geräusch, wenn ein Lachen stirbt?

Ja. Ich mag das, wenn plötzlich die Eiszapfen von der Decke hängen.

Passiert das in Düsseldorf häufiger als in Berlin?

Rheinländer neigen dazu, erst mal gerne und laut zu lachen. Aber es wird dann schnell mal eng, wenn das Gesagte nicht mehr ganz so bierselig daher kommt. Für meinen Geschmack könnten ruhig mal häufiger Zuschauer aus Empörung vorzeitig die Vorstellung verlassen. Wenn ein Programm allen gefällt, kann irgendwas nicht stimmen.

Sie haben gesagt, Sie fühlen sich auf der Bühne sicherer als im Privatleben. Ich habe trotzdem nicht das Gefühl, dass Sie sich ins Rampenlicht drängen.

Es gibt vermutlich größere Rampensäue.

Es gibt auch schüchterne Typen im Privatleben, die auf der Bühne explodieren. Zu denen gehören Sie nicht.

Aber ich bin zumindest lauter. Menschen, die mich privat kennenlernen und nicht wissen, was ich beruflich mache...

... denken, Sie seien bei der Bank?

So ungefähr. Wenn Sie dann hören, dass ich auf der Bühne stehe, fragen sie: Und — zahlen Leute Eintritt dafür? Wenn ein paar Weichen in meinem Leben anders gestellt worden wären, wäre ich wahrscheinlich woanders gelandet. Bei der Bank wahrscheinlich nicht, aber irgendwo im Büro, ohne Publikumsverkehr.

Sie haben kein Markenzeichen.

Es gibt Vorstellungen, nach denen kommen Leute zu mir und sagen: Sie haben total Ähnlichkeit mit dem Moderator von Extra 3.

Sie sind ein zugezogener Düsseldorfer, womit wir wieder beim Thema Distanz wären. Wie war der Erstkontakt mit der Stadt?

Ich wollte erst gar nicht nach Düsseldorf und habe mich lange mit diesem Gedanken gequält. Als ich da war, merkte ich, es ist besser, als ich dachte. Grundsätzlich mag ich die mittelgroßen und unterschätzten Städte gerne. Ich finde auch Bielefeld gut, Hannover und Frankfurt.

Ist Düsseldorf denn eine mittelgroße, unterschätzte Stadt?

Düsseldorf ist natürlich eine kulturlose Scheißstadt, machen wir uns nichts vor (lacht). Trotzdem lebe ich hier lieber, als ich vermutet hätte. Es ist ganz schön, dass mal Dinge funktionieren und fertig werden. Düsseldorf ist auf der anderen Seite unendlich peinlich, wenn es um so Dinge wie das Rahmenprogramm des Eurovision Song Contest geht. Ich finde grundsätzlich, als zivilisierter Mensch braucht man eine vernünftige Hassliebe zu seiner Stadt. Diese hemmungslose Verehrung der eigenen Stadt ist doch peinlich. Da denke ich: Werdet mal erwachsen, Leute.

Gibt es etwas in Düsseldorf, bei dem Sie sich sofort innerlich distanzieren?

Wenn am Samstagabend die Kom(m)ödchen-Vorstellung gleichzeitig mit der Opernvorstellung endet, ich in die Tiefgarage gehe und die Typen, die Karossen und die operierten Frauen sehe, dann bin ich innerlich wieder weit weg.

Die sind doch alle aus Meerbusch.

Ja natürlich. Das sind nie Düsseldorfer. Als vor anderthalb Jahren das Mendelssohn-Denkmal wieder aufgebaut wurde, hieß es in der Zeitung: Das Denkmal ist damals von Düsseldorfer Bürgern gestiftet worden, dann von den Nazis abgerissen worden und nun von Düsseldorfer Bürgern wieder aufgebaut worden. Da frage ich mich: Wer waren denn die Nazis? Etwa keine Düsseldorfer Bürger? Vermutlich auch aus Meerbusch.

Ich habe lange gedacht, dass Düsseldorf es mit den Einkaufszentren etwas übertreibt. Dann las ich aber, dass in Berlin das 64. Einkaufszentrum eröffnet. Hat Düsseldorf vielleicht noch gar nicht genug Einkaufszentren?

Die Fantasielosigkeit von Städteplanern ist schon schlimm, auch von Provinzpolitikern. Die denken, dass das größte Glück des Menschen darin besteht, einkaufen zu gehen. Man muss shoppen gehen, sich mit den Tüten irgendwo hinsetzen, Latte Macchiato trinken und noch was beim Asia-Imbiss essen und dann weitershoppen, ins Parkhaus gehen und nach Hause fahren. Das ist dann angeblich Lebensqualität. Düsseldorf ist zum Teil schon so. Aber es gibt glücklicherweise verschiedene Welten in einer Stadt.

Glauben Sie, dass Sie noch mal aus dieser Stadt herauskommen?

Ich habe die Hoffnung aufgegeben.

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