About a Boy Ressort Porno

Mönchengladbach (RPO). Unser Kolumnist hat eine Idee, die Zeitungsmacher entweder in Gelächter ausbrechen lässt oder ihnen die Dollarzeichen in die Augen treibt. Außerdem fragt er sich, was auf seinem Konto-Auszug stehen sollte.

 Ressort Atomkraft wurde abgeschafft. Gut gemacht. Aber was sollen wir jetzt lesen?

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Foto: dapd, dapd

Viele Menschen, darunter auch kluge, denken darüber nach, wie der Journalismus noch zu retten ist. Ich hingegen weiß es. Und erzähle davon ohne Power-Point-Präsentation und Seminar in einem Berliner Tagungszentrum. Nein, wir machen jetzt keine Raucherpause.

Meine Idee ist: Ich führe einfach die beiden Industrien zusammen, die am stärksten in der Krise stecken und die beide davon überzeugt sind, dass das Internet an allem Schuld ist: die Zeitungsindustrie und die Pornoindustrie. In der Hoffnung, dass minus und minus plus ergeben, gründe ich das Zeitungsressort Porno, das eigenständig neben Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport und Sudoku stehen soll. Falls ich damit scheitere, dann immerhin richtig, denn wie toll ist das bitte, wenn die eine untergehende Industrie über die andere untergehende Industrie schreibt?

Doch ich werde nicht scheitern. Ich weiß noch genau, wie ich einmal in einem Bahnhofskiosk stand, und ein Mann sich zuerst eine Tageszeitung mit christlichem Hintergrund nahm und dann ein Nacktheitenheft und dann mit beiden zur Kasse ging. Ich schwöre, die Geschichte stimmt. Möglicherweise kaufte er die Zeitung nur, um das Heft darin zu verstecken, wenn er es im Zug las. Aber der Markt ist eindeutig da. Wer Pornografie möchte, kauft sich nach Einführung meines neuen Ressorts eine Tageszeitung. Das ist völlig unverdächtig.

Nun braucht dieses neue Ressort Porno natürlich einen journalistischen Anspruch oder zumindest Anstrich. Ich kann nicht einfach vier Brüste auf die Seite knallen und die neuen DVDs von Peter Penis und Petra Po vorstellen. Das würde keine seriöse Tageszeitung der Welt zulassen, und die laut der Umfragen immer überdurchschnittlich gebildeten Leser¹ wollen ihre Pornografie kulturell aufgewertet, so wie nicht einfach einen Kaffee trinken können, sondern nur alles ab Latte to go aufwärts. Igitt, ist ja bloß Kaffee, igitt, ist ja bloß Porno — nein, so funktioniert es nicht.

Ich habe mir deshalb schon mehrere Themen überlegt, die dieses neue Superresort füllen können. Bei meinen Recherchen² bin ich auf eine Website gestoßen, auf der Menschen, überwiegend Männer, anderen Menschen, überwiegend Frauen, dabei zusehen können, wie diese sich vor der Webcam räkeln³. Für die meisten Funktionen muss man Geld bezahlen, dafür ist Pornografie schließlich erfunden worden. Wer dort zahlt, um zum Beispiel Mandy23 im roten String zu sehen, sorgt sich natürlich, dass auf dem Konto-Auszug Dinge stehen, die die Ehefrau schnell falsch versteht, zum Beispiel "Geiler Video-Chat mit Mandy23". Die FAQ der Website wollen beruhigen. Es werde die neutrale Formulierung Videochat-Service auf der Abrechnung stehen. Doch das ist erst recht auffällig. Was bitte sollte denn sonst hinter Videochat-Service stehen, wenn nicht ein geiler Videochat mit Mandy23? Schließlich sind andere Videochats dank Skype kostenlos.

Ein Artikel im Ressort Porno könnte sich also mit der Frage beschäftigen, wie solche Abrechnungen sicherer gemacht werden. Sollte da nicht einfach "Telekom Abrechnung August" oder "Sky-Abo September" stehen oder "Drei Kästen Becks"? Der belesene Pornografie-Fan versteckt ja sein Interesse am Porno gerne, der Artikel wäre ihm also von großem Interesse. So wie die Frage, ob der Verkäufer einem im Pornoshop wirklich immer alles in eine braune Plastiktüte packen muss. Nirgendwo sonst bekommt man braune Plastiktüten. Das fällt also ziemlich auf.

Ein anderes wichtiges Thema: erotische Kontaktanzeigen. Dort sucht der Belesene gerne nach heißen Abenteuern, in der Disco oder im Straßencafé traut er sich ja nicht, jemanden anzusprechen. Es ist allerdings so, das ergaben meine Recherchen, dass die Formulierungen in diesen Anzeigen immer besorgniserregender geworden sind. Um dort überhaupt noch aufzufallen, muss man schon Dinge in Aussicht stellen, die mindestens einen der Beteiligten in die Notaufnahme bringen werden. Notaufnahme ist aber auf Dauer keine Lösung. Deshalb kann die Frage nur lauten: Wie formuliere ich meine erotischen Anliegen so, dass sie auffallen und trotzdem nicht klingen wie das Drehbuch zu Saw 8? Am besten mit Tipps von Germanisten oder Songschreibern.

Am Ende wird aber der Erfolg des Ressorts Porno davon abhängen, wie ich es schaffe, Nacktbilder zu integrieren. Und zwar ohne dass der Leser das Gefühl hat, die Bildzeitung in der Hand zu halten. Denn dann fühlt er sich gleich wieder so proletarisch. Ich setze zum Beispiel darauf, Set-Aufnahmen vom ersten CO²-neutralen Porno-Dreh zu veröffentlichen. Oder aber die Darstellerin ist die Muse von irgendeinem coolen Indie-Rocker aus England oder besser noch: die Freundin von irgendeinem Opernhausintendanten. Da wird sich schon was finden.

Tageszeitungen, die sich dieses Ressort leisten möchten, können mich ab sofort kontaktieren. Keine Angst, auf die Rechnungen schreibe ich "Sky-Abo September".-----------------------------------------------------------------------------------------

¹ Es ist immer wieder schön, wie sehr Zeitungen gegenüber ihren Anzeigenkunden betonen, wie überdurchschnittlich gebildet die Leserschaft ist. Das ist ungefähr so überraschend wie die Feststellung, dass ADAC-Mitglieder überdurchschnittlich häufig einen Führerschein besitzen und Afrikaner überdurchschnittlich häufig eine dunklere Hautfarbe haben als Mitteleuropäer.

² Recherche denken Sie sich bitte immer in Anführungszeichen.

³ Nur ungern verzichte ich an dieser Stelle auf das Adjektiv "textilfrei", mit dem leider in mäßig witzigen Artikeln schon häufig genug Schabernack getrieben worden ist. Ebenso wie mit dem Ausdruck "Die Speiseröhre nicht als Einbahnstraße benutzen".

Sebastian Dalkowski veröffentlicht jeden Freitag die Kolumne "About a Boy". Seine bessere Gesichtshälfte hat Andreas Krebs fotografiert.

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