About a Boy Ich heirate eine Eurozone

Mönchengladbach (RPO). Unser Kolumnist äußert sich als letzter Journalist Deutschlands nun auch über den Euro. Außerdem erklärt er den Zivilisationsvorsprung der Holländer.

 Das Gold unserer Nachbarn.

Das Gold unserer Nachbarn.

Foto: ddp, ddp

Gestern lag die dritte Mahnung in meinem Briefkasten. Ich kann mich nun nicht mehr drücken. Sonst gibt es richtig Ärger. So stand es in dem Brief: "Sonst gibt es richtig Ärger."

Menschen, die nicht in den Medien tätig sind, haben davon mit Sicherheit nichts mitbekommen: Der deutsche Staat hat die deutschen Medien dazu verpflichtet, regelmäßig über den Euro, seine Krise und seine Rettung zu berichten und zwar dahingehend, dass eine Rettung auf jeden Fall der Krise vorzuziehen sei.

Anders als mit dieser Anordnung ist es nicht zu erklären, dass wir immer wieder davon lesen müssen, obwohl wir schon längst nichts mehr kapieren und die Zeitungen in einer lustlosen Art berichten, die nicht dazu dient, irgendetwas zu verstehen. Griechenland irgendwie in der Krise, der Euro deshalb auch, jetzt auch Italien in der Krise, Portugal sowieso, und Irland, ach hör mir auf mit Irland, oder was es Island? Rating-Agenturen, AA++, BB--, wieder Griechenland, lernen die das denn nie, frag nicht nach Sonnenschein, aber was hat das mit mir zu tun?

Es hilft nun aber nichts, ich muss über den Euro berichten, sonst gibt es richtig Ärger. Dafür fehlt mir das Geld.

Ich war in den Niederlanden, also in Holland, ganz genau war ich in Venlo. Erst kommt die Grenze, dann kommt schon Venlo. Das macht seine Attraktivität für Deutsche aus. Wenn man bei Google das Wort "Venlo" eingibt, schlägt Google als nächstes Wort "Öffnungszeiten" vor.

Ich fuhr mit der Bahn nach Venlo. Gleich im Bahnhof befindet sich eine dieser Automatenwände mit den kleinen Fächern mit Sichtfenster, aus denen man sich Frikandeln oder ähnliche holländische Spezialitäten ziehen kann. Das ist für mich der wichtigste Beitrag, den das holländische Volk zum Weltkulturerbe beigetragen hat. Geld einwerfen, einmal ziehen, glücklich werden. Der gesamte Ruhm der Holländer beruht für mich auf diesen Automatenstraßen und Frittenfett.

In Venlo gibt es auch einen großen Supermarkt. Er heißt "Die 2 Brüder von Venlo". Das ist nicht die Übersetzung, der Supermarkt heißt genau so. Alle Schildert dort sind auf Deutsch, die Durchsagen ebenfalls. Und wenn der Kunde hereinkommt, stößt er erstmal auf 500 Quadratmeter Kaffee. Es ist nicht so, dass die Holländer wahnsinnig viel Kaffee trinken, es kaufen dort aber nur Deutschen und die kaufen besonders Kaffee, weil der billiger ist als in Deutschland. Palettenweise. So wie die Getränkedosen. Denn auf denen ist kein Pfand. Im Gegensatz zu Deutschland. Deshalb kommen die Getränkedosen gleich nach dem Kaffee. Die 2 Brüder von Venlo haben überhaupt gar nicht vorgesehen, dass dort Holländer einkaufen, sie richten sich ausschließlich an Deutsche in Grenznähe. Denen verkaufen sie neben Kaffee und Dosen: Frikandeln, Schokofrühstücksflocken, das weicheste Weißbrot der Welt, Rosinenbrötchen, Kirschkuchen, Chips mit Bolognese-Geschmack, Käse, Fisch, Pfefferminzbonbons, Schokowaffeln, Honigwaffeln. Habe ich noch was vergessen? Ach ja, Familienpackungen Haribo und Kaffeepads.

Es ist für mich Hölle und Himmel. Ich kann dort aber nicht einfach durchgehen, ich muss dort etwas kaufen. Es ist so schädlich, es ist so lecker. Bitte nur noch dieses eine Mal. Und danach. Und danach. Aber dann ist Schluss. Vielleicht. Ich frage mich, warum die 2 Brüder von Venlo keine Filiale in Deutschland errichten. Vermutlich fehlt den Deutschen dann der Reiz der Exotik. Ach ja, und der Kaffee wäre nicht mehr so billig.

Und warum geht das so einfach? Warum können wir Grenzdeutschen uns so richtig vollstopfen? Warum können wir Dinge kaufen, für die uns unsere Krankenkasse rauswerfen könnte? Richtig, weil Holland so wie Deutschland den Euro hat. Weil wir alle in dieser schönen, von Mutterliebe erwärmten Eurozone leben, im Schlaraffenland des 21. Jahrhunderts. Früher war das ja doch ein Gegurke: Deutsche Mark in Gulden umtauschen, dann entweder zu wenig oder zu viel Gulden haben. Wer zu viele hatte, schleppte die Gulden die ganze Zeit in Deutschland mit sich herum, und als er wieder nach Holland fuhr, waren sie nicht mehr aufzufinden. Und dann wieder umtauschen und ausgeben und so weiter. In dieser Zeit, die wir mit Umtauschen verschwendeten, hätten wir schon wieder sieben Paletten Kaffee bei den 2 Brüdern von Venlo in den Einkaufswagen stellen können. Sieben Paletten! Das ist eine Ersparnis von, lass mich nicht lügen, also ich sag mal mindestens zehn Prozent.

Aber was für ein Glück, es gibt ja die Eurozone. Super. Keine Umtauschprobleme. Alles Euro. Ach, was täten wir ohne die Eurozone. Die Eurozone ist toll. Toll, toll, toll. Zum Glück haben die 2 Brüder von Venlo kürzlich eine Filiale an der der niederländischen Grenze zur Slowakei eröffnet.

Sebastian Dalkowski veröffentlicht jeden Freitag die Kolumne "About a Boy". Seine bessere Gesichtshälfte hat Andreas Krebs fotografiert.

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