Digital Ethics Summit Scharrenbach fordert Klarnamen-Pflicht

Düsseldorf · Die Rheinische Post lud zum Digital Ethics Summit. Bundesdigitalminister Volker Wissing drängte auf klare Regeln zum Datenschutz, NRW-Ministerin Ina Scharrenbach fordert eine Klarnamenpflicht und konsequentes Vorgehen gegen Hass im Netz. Der Tag im Rückblick.

Düsseldorf: 2. Digital Ethics Summit der Rheinischen Post
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So war der 2. Digital Ethics Summit der Rheinischen Post

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Foto: Bretz, Andreas (abr)

Nachdem die Staaten Europas parallel zur Industrialisierung ihre Sozialstaaten aufgebaut haben, müssen sie nun ein Regelwerk für die digitale Welt entwickeln. Mit dieser Forderung leitete Ina Scharrenbach (CDU), Digitalministerin von NRW, den zweiten Digital Ethics Summit der Rheinischen Post ein. Viele Referentinnen und Referenten waren auf die MS RheinGalaxie gekommen, um vor rund 250 Gästen zu beschreiben, wie Gesellschaft, Wirtschaft und Politik auf die Herausforderungen durch die Digitalisierung reagieren sollten.

Bundesdigitalminister Volker Wissing (FDP) erläuterte in seinem aus Berlin übertragenen Statement die Digitalstrategie der neuen Bundesregierung. Jeder zweite Haushalt solle in vier Jahren einen Glasfaseranschluss haben, ganz Deutschland solle mit der Mobilfunktechnik 5G versorgt sein. „Alle Behördengänge sollen mit dem Smartphone erledigt werden können“. Es gelte mit neuen Gesetzen, digitale Geschäftsmodelle und Abläufe zu ermöglichen, aber auch den Schutz privater Daten zu gewährleisten. Man brauche ein „ausgewogenes Verhältnis“ zwischen Datenschutz und Chancen für Unternehmen und Verwaltung: So sei geplant, dass 80 Prozent der Patienten eine digitale Krankenakte erhalten, Arzneimittel sollten mit digitalen Rezepten verschrieben werde. Der Volljurist und bekennende Christ sagte: „Das Leben durch künstliche Intelligenz wird besser, aber wir müssen den digitalen Wandel verantwortungsbewusst steuern.“ Wissing mahnte: „Die Digitalisierung hat dem Menschen zu dienen, nicht umgekehrt.“

Ina Scharrenbach plädierte im Gespräch mit Chefredakteur Moritz Döbler dafür, als Staat die Chancen der Digitalisierung mehr zu nutzen, aber auch harte Regeln durchzusetzen, um Straftaten oder fragwürdiges Verhalten von Menschen im Web zu bekämpfen. Die rigiden Datenschutzregeln für Behörden müssten abgebaut werden, damit diese zum Wohl der Menschen zusammenarbeiten können. Einwohnermeldeämter würden Bürgern, die ihren Namen ändern, zwar direkt vorschlagen, einen neuen Ausweis zu beantragen. Doch das sollte es auch für andere Dokumente geben. Rechenzentren des Staates sollten kooperieren. „Kommen wir dagegen zur Überzeugung, dass wir Daten nicht nutzen dürfen, sollten wir die breite Digitalisierung lassen.“

Scharrenbach befürwortete, dass in Onlineforen nur noch Klarnamen genutzt werden dürfen, um anonyme Beleidigungen zu stoppen. Das schließe nicht aus, dass Hinweisgeber auf Missstände in ihrer Identität geschützt werden. „Deutschland muss konsequenter gegen Hasspropaganda vorgehen“. Der demokratische Staat müsse „seine Abwehrfähigkeit im Internet verteidigen“, während Russland und China versuchten, westliche Gesellschaften zu destabilisieren.

Auch viele Wissenschaftler und Praktiker waren gekommen, um sich über Chancen und Risiken der Digitalisierung auszutauschen. Für einen Innovationsschub dank Gründerfirmen mit Digital-Know-how plädierte die Münchener Wirtschaftsprofessorin Isabell Welpe: „Wir in Deutschland sind kreativ und erfinderisch. Aber die Ideen bleiben oft in den Schubladen.“ Deutschland sei beim Erfinden weit vorne, bekommen Produkte aber oft nicht an den Markt. Das müsse sich ändern.

Von einer grünen Zukunft in den Städten sprach Landschaftsarchitekt Andreas Kipar. Digitale Tools würden bei der Stadtplanung helfen, der Autoverkehr würde durch mehr Fußgänger und Radfahrer verdrängt: „Man muss soviel Andrang schaffen, dass sich ein Porsche-Fahrer nicht wohlfühlt.“

Im Panel mit dem Thema „Wie wir in Zukunft leben wollen und was wir heute dafür tun müssen“ mahnte Bildungsforscherin Yasmin Weiss: „Viele Lehrer wollen, aber können nicht. Wir haben zu spät angefangen, sie digital auszubilden.“ Sie forderte: „Neugierde und Begeisterung für Technologie sollte bereits in der Kita geweckt werden.“

China und die USA seien bei der Künstlichen Intelligenz (KI) Vorreiter, in China werde diese aber auch als autoritäres Instrument der Regierung genutzt, kritisierte Andreas Pinkwart (FDP), bis zum Regierungswechsel NRW-Digitalminister. Weiss wies auf die Chancen der KI hin: Die rasante Entwicklung eines Impfstoffes gegen das Coronavirus wäre ohne KI nicht möglich gewesen wäre. Pinkwart forderte eine EU-Zertifizierung: „Wir wollen KI, aber verantwortungsvoll. So soll überprüft werden können, dass KI zum Wohle der Menschen zum Einsatz kommt.“

Maren Krimmer, die in Tallinn arbeitet, sprach mit RP-Redakteurin Julia Rathcke über Europas digitalen Vorreiter Estland. 99 Prozent aller Dienstleistungen seien für Bürger digital verfügbar. „Nur heiraten und Scheidungen gehören noch nicht dazu“, sagte Krimmer. Schon ein Neugeborenes erhalte eine eigene E-Mail-Adresse und Kennnummer, mit der es sein Leben lang digitale Leistungen beim Start anfordern könne. Estland habe aus der Not eine Tugend gemacht: „In den 90er Jahren hatte Estland nichts und musste komplett von vorne anfangen. Dazu gab es einen Fachkräftemangel. Deswegen musste man digitalisieren“, sagte Krimmer. „Natürlich muss man die Bevölkerung abholen.“ Es gebe eine Kultur im Land, dass Leute sich gegenseitig helfen, digitale Anwendungen zu verstehen.

Mehr Interoperabilität in der digitalen Welt forderte Blogger Marcel Mellor. Interoperabel bedeutet, dass verschiedene Systeme untereinander kommunizieren können. Dieses Konzept fehle etwa bei Messenger-Diensten wie Whatsapp. Der Markt werde von drei großen Playern beherrscht, die aber nur jeder für sich funktionieren. Wer Whatsapp nutze, könne auch nur mit Whatsapp-Nutzern kommunizieren, nicht aber mit Signal-Nutzern. „Whatsapp hat 93 Prozent Marktanteil in Deutschland. Viele Unternehmen bieten Services über Whatsapp an“, sagte Mellor. Wer da nicht mitmache, habe Pech gehabt. „Wir brauchen bessere Apps und mehr echte Innovationen. Ich stelle mir eine App vor, mit der man alle Messenger untereinander nutzen kann.“ Ähnliches solle es für E-Scooter oder ÖPNV-Plattformen geben.

Auch für Fintech-Freaks war etwas dabei: So ging es in einer von RP-Digitaldesk-Chef Henning Bulka moderierten Runde um die Chancen von Non-Fungible Token (NFT). Das sind digitale Zertifikate, die auf einen bestimmten Gegenstand verweisen, zum Beispiel auf das Original eines digitalen Kunstwerkes, und die als Zahlungsmittel genutzt werden. „NFT sind sicher eine Chance. Künstler bekommen die Wertschätzung, die sie für ihre Kunstwerke verdienen“, sagte der Journalist Richard Gutjahr. Denn die Währung sei fälschungssicher.

Der Tech-Journalist Thomas Riedel widersprach. „Die Nachteile bei NFTs sind so groß, man kann sie nicht neutral diskutieren. Sie verbrauchen so viel Energie für ihre Werke, dass sie zur Zerstörung des Klimas beitragen. Wir haben nur einen Planeten, das ist inakzeptabel.“

Ein facettenreicher Tag an Bord. Matthias Körner, Geschäftsführer der Rheinische Post Verlagsgesellschaft, bleibt gespannt: „Welche Wertmaßstäbe für das Digitale gelten, kann man noch nicht abschließend beantworten.“

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