RP Plus Was Amazon Google und Facebook voraus hat

Hinter Apple, Google und Facebook wirkt Amazon unscheinbar. Doch das Online-Kaufhaus schickt sich an, zu einem weltweiten Imperium zu wachsen – und unsere Konsumwelt nachhaltig zu verändern. Denn Amazon-Chef Jeff Bezos ist ein Getriebener.

Hier kommen die Amazon-Päckchen her
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Hinter Apple, Google und Facebook wirkt Amazon unscheinbar. Doch das Online-Kaufhaus schickt sich an, zu einem weltweiten Imperium zu wachsen — und unsere Konsumwelt nachhaltig zu verändern. Denn Amazon-Chef Jeff Bezos ist ein Getriebener.

Am Anfang war das Glöckchen. Als Jeff Bezos die Idee mit dem Online-Buchhandel gekommen war und er in seinem Haus in Seattle die ersten Päckchen verpackte, hatte das Glöckchen seinen ersten Einsatz. Es war ein leises Schellen, das jedes Mal ertönte, wenn eine neue Buch-Bestellung übers Internet eingetroffen war. Doch es dauerte nicht lange, bis Bezos das Glöckchen wieder abstellen musste. Denn es klingelte unentwegt.

19 Jahre später ist aus dem kleinen Online-Buchhandel ein gigantisches Unternehmen geworden. Mit einem Jahresumsatz von 48,1 Milliarden Dollar liegt Amazon vor Google (37,9 Mrd.) und weit vor Facebook (3,7 Mrd.). Wenn Bezos' Glöckchen noch immer bei jeder Bestellung klingeln sollte, wäre es pro Sekunde bis zu 158 Mal im Einsatz — 13,7 Millionen Mal im Jahr.

Um das Phänomen Amazon zu verstehen, muss man einen Blick in die Logistiklager werfen. Acht von ihnen betreibt der Versandhändler in Deutschland, die 110.000 Quadratmeter große Halle im niederrheinischen Rheinberg ist eines der größten unter ihnen. Mehr als 2000 Mitarbeiter sind hier damit beschäftigt, Waren aller Art in Päckchen zu packen und ins Ruhrgebiet und an den Niederrhein zu verschicken. (360°-Panoramafotos aus dem Amazon-Lager in Rheinberg gibt es hier: http://www.rp-online.de/app/panorama/amazon/)

Chaos im Lagerregal

Einer von ihnen ist Günter Gabrisch. Der Job des 53-Jährigen ist es, in den riesigen Hallen die Waren aus den Regalen zu sammeln. Puzzlespiele, DVDs, Windeln, Kerzen, Staubsaugerrohre: Alles landet auf dem Roll-Wägelchen von Günter Gabrisch, das ein wenig an einen herkömmlichen Einkaufswagen aus dem Supermarkt erinnert. Zu den am häufigsten bestellten Produkten im Weihnachtsgeschäft 2012 gehörten der Bestseller "Shades of Grey — Geheimes Verlangen" und das neue Album "Take the Crown" von Robbie Williams.

Welches Regal er ansteuert und welche Ware er einsammelt, bekommt Gabrisch auf seinem Scanner angezeigt. Der Computer weiß, welche Route die kürzeste ist, um alle Produkte möglichst schnell einzusammeln. Der Computer weiß, welcher der Millionen von Artikeln in welchem Regal liegt, und in welcher Anzahl sie vorhanden sind. Nur das Einsammeln und Einpacken, das übernehmen noch richtige Menschen.

Dass diese sich in dem riesigen Chaos der Lagerhalle überhaupt zurecht finden, ist keine Selbstverständlichkeit. Denn da der Computer das Warensortiment sortiert, herrscht scheinbar grenzenlose Unordnung: In den Regalen stehen Kaffeemaschinen neben Handtüchern neben Eierbechern. Und wenn zu den drei vorhandenen Kaffeemaschinen sechs weitere identische Exemplare angeliefert werden, landen sie womöglich in einem Regal am anderen Ende der Halle. Es kann vorkommen, dass das gleiche Produkt an 34 verschiedenen Stellen in der Halle zu finden ist. Denn das ist immer noch praktischer, als jeweils neuen Platz in den bereits vollen Regalen zu schaffen.

Eine Uhr für 24 Millionen Dollar

Hinter diesem ausgefeilten System steckt Jeff Bezos. Der amerikanische Amazon-Gründer ist einer der wenigen, die nicht irgendwann von professionellen Managern an der Unternehmensspitze abgelöst wurden. Bezos bestimmt, wo es langgeht, Bezos ist erfolgreich — und Bezos probiert gerne neue Dinge aus. Er hat neben dem Versandhandel Amazon zu einem Anbieter von Online-Speicherplatz gemacht, er ist Anteilseigner beim amerikanischen Raumfahrtunternehmen Blue Origin, und er zeigte sich von der Idee einer Uhr, die 10.000 Jahre funktionieren soll, so begeistert, dass er aus seinem Privatvermögen 24 Millionen Dollar zu dem Projekt beisteuerte.

Jeff Bezos lacht gerne, laut und oft. Das kann ansteckend sein, aber auch nervig. Doch Bezos braucht das nicht zu kümmern, bei 20 Milliarden Dollar auf dem Konto. Er hat das geschafft, was vor ihm Bill Gates und Steve Jobs im Silicon Valley vorgemacht haben: Er hat die Garage seiner Eltern zur Experimentierwerkstatt umfunktioniert und aus einer simplen Idee, wie man im Internet und der Computerbranche Geld verdienen kann, ein weltweit agierendes Unternehmen gemacht.

Doch anders als Bill Gates interessierte sich Bezos noch nie allzu sehr für das Innenleben von Computern. Und die Design-Besessenheit eines Steve Jobs ist auch nie seine gewesen. Stattdessen konzentrierte er sich schlicht auf das, was seiner Ansicht nach am Ende des Erfolgs stehen soll: Geld verdienen. Erst verkaufte Bezos nur Bücher übers Internet, inzwischen bietet er von der Zahnbürste bis zur Waschmaschine nahezu alle denkbaren Gebrauchsgegenstände an. Und verdient bei jedem Produkt ordentlich mit.

Amazon verdient kräftig mit

Denn von den 19,90 Euro, die ein Buch bei Amazon kostet, sieht der Verleger lediglich 8,30 Euro. 1,40 Euro verlangt der Staat als Mehrwertsteuer, 10,20 Euro gehen als Verkaufsgebühr an Amazon. Welcher Einzelhandel kann sich schon über satte Margen von 55 Prozent freuen?

Damit hängt zusammen, dass Amazon in den vergangenen Jahren viel Kritik einstecken musste. Der Online-Versandhandel werde erst die kleinen Buchläden kannibalisieren, dann auch die anderen Branchen im Einzelhandel. Der Platzhirsch Amazon könne dank seiner Marktmacht Preise bestimmen, die sich kleinere Händler nicht leisten können — und damit für deren Niedergang mitverantwortlich sein.

Was soll Jeff Bezos dazu sagen? "Echte Läden müssen einfach mehr Spaß bieten." Zum Beispiel kenne er keine Menschen, die gerne Apotheken besuchen, um dort vor einer Warteschlange Salbe für Hämorrhoiden zu verlangen. Warum nicht also auch dieses Geschäftsmodell ins Internet verlagern?

Wer heute bei Amazon einkauft, findet nicht nur ein riesiges Warensortiment, ihm werden auch zahlreiche Artikel empfohlen, für die er sich interessieren könnte. "Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch..." Was wir gerne haben wollen, weiß der Algorithmus von Amazon besser als unsere Freunde. Wem so viel Datenanalyse unheimlich ist, sollte sich von Amazon fernhalten. Alle anderen werden vielleicht den ein oder anderen Treffer unter den Empfehlungen finden.

Google weiß, was wir suchen. Facebook kennt unsere Freunde — aber nur Amazon weiß, was wir kaufen und kann damit seine Datenbank mit Statistiken füttern, um die es die anderen großen Internet-Unternehmen nur beneiden können. Doch Jeff Bezos weiß, dass das Vertrauen der Kunden an einem seidenen Faden hängt. Sein Mantra, das er gerne und oft wiederholt, ist darum: Alles muss sich nach dem Wohl des Kunden richten. Was heißt das?

Kundenkontakt nicht erwünscht

Letzendlich läuft alles darauf hinaus, keine Fehler zu machen — was gar nicht so einfach ist bei 13,7 Millionen Päckchen pro Jahr. Als Amazon bekanntgab, dass 99,9 Prozent aller Päckchen rechtzeitig ihre Empfänger erreicht hätten, zürnte Bezos, das seien immer noch 10.000 unzufriedene Kunden. Wer auf der Amazon-Homepage nach einer Kundenhotline sucht, wird enttäuscht. Schließlich bedeutet jeder Kundenkontakt ein vorangegangenes Problem. Und darum ist das Ziel, es gar nicht erst soweit kommen zu lassen.

Damit auch die Mitarbeiter auf der Zufriedenheitsskala nicht abrutschen, werden sie bei Amazon finanziell am Unternehmenserfolg beteiligt. Im Logisitikzentrum Rheinberg wird ihnen auf Wand-Bildschirmen acht Prozent mehr Lohn bei guter Leistung in Aussicht gestellt. Zum Jahresende erhielten sie zusätzlich zu ihrem Stundenlohn von 9,65 Euro Aktienanteile am Unternehmen. Bezos' Begründung für diesen Schritt: Freunde seiner Eltern hätten einmal ihr Haus vermietet. An Weihnachten hätten die Mieter den Baum einfach auf den neuen Holzfußboden genagelt. "Wenn einem das Haus gehört, leistet man sich einen Christbaumständer."

Wie groß der Marktanteil von Amazon derzeit ist, darüber schweigt das Unternehmen genauso wie über alle anderen Zahlen. Die offiziellen Fakten sind dürftig: 2011 verließen täglich bis zu 660 Lastwagen die sechs deutschen Logistikzentren. Täglich verlassen mehrere 10.000 Päcken das Lager in Rheinberg. Und weltweit hat Amazon 2011 lediglich 0,6 Milliarden Dollar Gewinn gemacht — bei 48,1 Milliarden Dollar Umsatz.

Tatsächlich muss Jeff Bezos regelmäßig die Aktionäre beruhigen, wenn mal wieder feststeht, dass Amazon in der Bilanz keine üppigen Gewinne verbuchen kann. Dann erklärt Bezos, dass der Gewinn für die Bewertung eines Unternehmens weniger wichtig sei als der Cash Flow, der Nettozufluss liquider Mittel. Und der liege bei Amazon bei einem hervorragenden Wert.

So beschränkt sich Amazon nicht darauf, das weiterzuführen, womit man bisher erfolgreich war, man probiert auch ständig Neues aus. Als in Frankreich durch einen Programmierfehler alle Artikel ohne Versandkosten ausgegeben wurden, war der Kundenansturm so groß, dass man sich entschloss, den Gratisversand zum Prinzip zu erheben. Für einen Jahresbeitrag von 27 Euro erhält man als "Prime"-Kunde nicht nur alle gekennzeichneten Artikel versandkostenfrei, sondern auch garantiert am nächsten Werktag.

Die Zukunft wird weitere Veränderungen bringen. So läuft in den USA bereits testweise ein Projekt, auch gekühlte Lebensmittel an die Haustür zu liefern. Der nächste Schritt, der derzeit auch in Deutschland getestet wird, ist die Paketzustellung am gleichen Tag der Bestellung.

Wer weiß: Vielleicht erhalten wir eines Tages Waren geliefert, von denen wir nicht einmal wussten, dass wir sie brauchen könnten. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass man in Seattle bereits daran arbeitet.

(gre)
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