StudiVz Das Pompeji der Sozialen Netzwerke

Düsseldorf · StudiVz ist ein Museum geworden. Wer sich heute in das Soziale Netzwerk einloggt, stößt auf sein eigenes Ich im Jahr 2010. Nett hatten wir es – und doch zeichnete sich schon damals ab, welchen Schaden so eine Plattform anrichten kann.

 Das StudiVz-Profil unseres Autors

Das StudiVz-Profil unseres Autors

Foto: Screenshot StudiVz

StudiVz ist ein Museum geworden. Wer sich heute in das Soziale Netzwerk einloggt, stößt auf sein eigenes Ich im Jahr 2010. Nett hatten wir es — und doch zeichnete sich schon damals ab, welchen Schaden so eine Plattform anrichten kann.

Ich habe das nie glauben wollen, aber der Pullunder war wirklich schlimm. Ein grobes dunkelblaues Ding, von Oma gestrickt. Ich trug ihn noch nach Erreichen meiner Volljährigkeit. Den Pullunder entdecke ich auf einem acht Jahre alten Foto im StudiVz wieder, damals las ich Texte vor Publikum und dachte, so was müsse man dann tragen. Wie konnte ich nur?

Das StudiVz, einst Deutschlands wichtigstes Soziales Netzwerk, hat vor einigen Wochen Insolvenz angemeldet. Das bringt mich dazu, einen alten Plan umzusetzen und mich wieder einzuloggen. Ein Freund hatte mal gesagt, eigentlich sei das StudiVz ein Museum fürs Jahr 2007. Denn eines Tages flüchteten wir wie auf ein Zeichen zu Facebook und kümmerten uns nicht darum, was wir hinterließen. Deshalb möchte ich durch dieses Museum gehen. Nirgendwo sonst ist mein altes Ich so gut konserviert.

Traurige Augen blicken mich an

Meines ist von 2010. So lange blieb ich dem Netzwerk treu. Nach diesem Zeitpunkt habe ich keine neuen Nachrichten mehr in meinem Postfach. Meine Augen schauen mir traurig entgegen. Das Profilfoto ist in der Düsseldorfer Altstadt entstanden, 2009, ich völlig fremd in einer Welt voller Bier und Spaß. Das Bild mag ich im Gegensatz zum Pullunder heute noch.

Uni Köln, Skandinavistik und Geschichtswissenschaft entnehme ich meinem Profil. Lieblingsbands Radiohead und Tomte, komm ich heute noch gut mit klar. Lieblingsbücher von Dürrenmatt und Capote. Lieblingszitate habe ich gleich eine Menge angegeben. "Die Senatoren sind gute Männer, der Senat ist eine Bestie." Oder "Meine Leistungen in Sport waren so ungenügend, dass ich beschloss, anders zu sein", eine Textzeile des nur in Insiderkreisen bekannten Musikers namens Knarf Rellöm.

Die Zitate gefallen mir zwar immer noch, aber warum um Gottes Willen musste ich so offensichtlich angeben? Meine ganze Seite war darauf ausgelegt, Eindruck zu schinden. Ich war nicht einmal in diesen berühmten Gruppen mit den witzigen Namen ("Ich trink an allen Tagen, die mit g enden - und mittwochs"), sondern in Strebertreffs wie "Junge Journalisten", "Freie Autoren, Schreibwütige und Schriftsteller", "Noam Chomsky Interessierte" - alles in meinem Profil rief: Obacht, ich will als Stimme meiner Generation wahrgenommen werden. Sieben Jahre später stelle ich fest: Es ist mir nicht gelungen.

106 Freunde sind mir geblieben

Ich beginne, eine leichte Abneigung für diesen Typen von 2010 zu entwickeln. Bis ich feststelle, dass ich mich gar nicht so sehr verändert habe. Vermutlich denke ich in sieben Jahren über mich im Jahr 2017: Meine Güte, hat der damals den Klugscheißer raushängen lassen. Nennen wir es Prinzipientreue.

Meine Freundesliste. 106 so genannte Freunde, häufig nicht mehr als Bekannte, haben ihr Profil noch immer nicht gelöscht. Der vorübergehende Arbeitskollege. Die junge Frau, mit der ich bei Skype geschrieben habe, weil man ja mit irgendwem mal bei Skype schreiben muss. Die Kommilitonin, mit der ich nur entfernt zu tun hatte. Irgendeine, die in mich verliebt war. Irgendeine, in die ich verliebt war. Schulfreunde, mit denen ich schon lange nichts mehr zu tun habe. Mein Bruder mit einem Foto im Halbdunkeln, zuletzt aktualisiert 2011, als er noch weit davon entfernt war, es zum Ehemann und Vater zu bringen. Leute, mit denen ich längst zerstritten bin, nur hier hält die Freundschaft ewig. Und wer ist Wiebke Z.? Wer ist Nadine W.? Lisa Baum, die Frau mit dem besten Namen der Welt aus dem Einführungsseminar Amerikanische Geschichte. Lisa, wenn du das liest, bitte schreib mir doch mal.

Alle stehen sie da für immer. Solange die Server nicht abgeschaltet werden.

Ich gehe die Nachrichten durch, die wir uns damals auch schon über StudiVz schicken konnten. Die Nachrichten der gelöschten Personen sind ebenfalls noch da, ich weiß bloß nicht, wer sie geschrieben hat. "Auch noch online? Und das an einem Samstagabend!" Sätze fürs Museum, weil wir heute immer online sind. Auch an einem Samstagabend. Oder der hier: "und nun hab ich keine zeit mehr zu schreiben mach ich dann heute abend.." Heute setzt sich dafür niemand mehr an den Rechner, sondern tippt es in der Bahn ins Smartphone. Eine Bekannte schreibt: "alles was ich kann ist männer anlabern und rummachen. traurig." Leute loben Texte von mir. Natürlich erst, nachdem ich sie auf die Existenz der Texte hingewiesen habe. So bescheiden wie möglich tat ich das, aber heute fällt mir nur noch die Verzweiflung auf. Nachzulesen ist in meinem Postfach auch ein Großteil einer zweijährigen Beziehungsanbahnung. Nur meine Generation kann von sich sagen: "Ich hab meine Freundin auf StudiVz kennengelernt."

Wir gruschelten statt zu liken

Doch nicht nur ich, nicht nur meine Freunde, nicht nur meine Generation ist in diesem Museum ausgestellt. Sondern auch die Art, wofür und wie wir Soziale Netzwerke nutzten, bevor wir Facebook nutzten. So wie das Internet in den Jahren zuvor ein Spiel für uns gewesen war, so war auch das StudiVz damals ein Spiel. Niemals hätten wir uns vorstellen können, dass Soziale Netzwerke einmal unser Leben prägen würden. Wir waren privat, nicht politisch. Wir wollten nicht die Aufmerksamkeit von möglichst vielen, sondern von ganz bestimmten Leuten. Wir besuchten die Profile von Menschen, die wir süß fanden, weil ihnen der Besuch dann angezeigt wurde. Besuchten sie einen zurück, konnten wir schreiben: "Hab gesehen, dass du auf meinem Profil warst. Kaffee?"

Der größte Unterschied: Es gab keine Timeline, wie sie Facebook 2011 einführte, und deshalb gab es auch keinen StudiVz-Shitstorm. Wir konnten nichts liken, nichts sharen, dafür konnten wir Leute gruscheln. Das StudiVz legte es nicht darauf an, dass wir uns stritten. Es brauchte zwar unsere Daten, aber nicht unsere Inhalte. Wir hatten uns wirklich lieb. StudiVz war eine Spielzeugpistole. Dass Facebook ein geladener Revolver war, merkten wir erst zu spät.

Doch wenn wir damals genauer hingesehen hätten, so hätten wir schon 2010 zumindest erahnen können, dass das Spiel irgendwann kein Spaß mehr sein würde. Das stelle ich fest, als ich nach dem Profil von Angela Merkel suche. Denn selbstverständlich haben sich auch schon im StudiVz Menschen gestritten, es war bloß nicht so sichtbar.

Die Straßen — schlimm!

Merkel hat kein Profil oder keines mehr. Aber die CDU. Dort passiert schon lange nichts mehr. Doch auf der Pinnwand haben Menschen ihren Frust rausgelassen. "Schämen solltet Ihr Euch! Und dürft Euch sicher sein, dass IHR die Not und das Elend der verunfallten Menschen zu verantworten habt!", schreibt jemand 2010. Er beschwert sich über den schlechten Zustand der Straßen, das wirkt heute beinahe lächerlich harmlos. Er schiebt es nicht mal den Flüchtlingen in die Schuhe. Damals war das überhaupt kein Thema. Es gab dort sogar Leute, die sich stritten. Der andere antwortete häufig erst am nächsten Tag. Aber in Spuren war zu erahnen, was passieren würde, wenn man die Leute stärker dazu antrieb, ihren Frust rauszulassen. Wenn man ihnen eine Plattform schuf, die stärker auf Konfrontation setzte.

Ich suche nach dem Profil der AfD. Die SPD hat eines, die FDP, die Grünen, die Linken. Die AfD nicht. Die Partei hat diese friedliche, diese putzige Welt, die unser Internet einst war, nie betreten.

(seda)
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