Apples "Wunderflunder" im Praxis-Test Meine Woche mit dem iPad

Düsseldorf (RP). Eine Revolution der Computerei kündigt Apple mit seinem neuen Flach-Computer an. Die Realität ist differenzierter: Das Gerät zeigt, wie sehr Computer auch Teil des Privatlebens werden. Doch Apple muss aufpassen: Viele Ideen des iPad werden Konkurrenten gut kopieren können.

So funktioniert das iPad
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Foto: DDP

Wie lockt man einen Kellner aus der Reserve? Als ich meiner Mutter in der Kölner Trattoria Romana auf dem Testgerät eines iPad Bilder zeige, fragt die Bedienung spontan: "Kann ich auch mal anfassen, ist das dieser neue Supercomputer?"

Er ist es, und er macht auch einiges her: Die Fotos von Enkelin Lydia kommen hervorragend an — und würde das Gerät nur 200 Euro statt mindestens 499 Euro kosten, würde meine eher technikskeptische Mutter wohl eines kaufen, einfach so als digitales Bilderalbum.

Zuerst der kleine Musikspieler iPod,dann das Handy iPhone, nun der Flachcomputer iPad: Das dritte Mal versucht der US-Konzern Apple nun die Welt rund um Computer und mobile Information auf den Kopf zu stellen. Zwei Millionen Geräte des Flach-PC ohne Tastatur wurden in den USA in weniger als 60 Tagen verkauft, seit dem 28. Mai läuft der Verkauf auch in Deutschland - es scheint gut zu laufen.

Zunächst einmal die positiven Erfahrungen von einer Woche Testbetrieb: Der Aufmerksamkeitseffekt ist amüsant — bei jeder Verabredung muss man das Gerät zeigen. Die 680 Gramm schwere Kiste fährt in nicht einmal einer Sekunde aus dem "Aus"-Modus hoch - das ermöglicht eine viel spontanere Nutzung von Computer und Internet: Vor einer Autofahrt kann man in Sekunden beispielsweise kurz schauen, ob es einen Stau gibt, dann wieder ausschalten. Man kann das iPad auf dem Sofa auf die Knie legen und dann Videos gucken — aber mangels DVD-Player kann man gebrannte Filme nicht schauen. In einer Aktentasche fällt der iPad mit 1,3 Zentimeter Dicke nicht weiter auf — mein Toshiba-Laptop ist doppelt so dick und fast dreimal so schwer.

Die Akkulaufzeit liegt offiziell bei zehn Stunden — wir kommen beim Test "nur" auf acht Stunden. Unerwartet lange braucht das Akkuaufladen, nämlich mehrere Stunden. Die Ladeanzeige ist gut sichtbar und genau — ab 20 Prozent Ladezustand gibt es eine Alarmmeldung.

Das Bedienen per Fingerdruck auf dem Bildschirm ("Touchscreen") ist schnell. Hunderte Bilder lassen sich in Sekunden durchblättern.

Die Lesefunktion von elektronischen Büchern fasziniert: Einmal mit dem Finger über den Bildschirm gehen, schon kommt die nächste Seite von Winnie Puh. Das Gerät merkt sich genau, auf welcher Seite man das Lesen unterbrach. Und zumindestens englische Bücher sind leichter erhältlich, als sie als "echtes Buch" im Geschäft oder einem Online-Shop zu kaufen. Im Garten würde ich sie allerdings nicht lesen: Die Sonne blendet zu sehr auf dem Display.

Was zeigen sieben Tage Test? Das iPad ist ein attraktives Spielzeug für Erwachsene — zum ernsthaften Arbeiten ist es aber allein wegen des Fehlens eines Druckeranschlusses unbrauchbar. Immerhin: Beamer lassen sich mit einem Zusatzteil anschließen.

Als entscheidenden Punkt leitet das iPad zumindestens teilweise den Abschied vom Internet als Kostenlos- Kultur ein. Das merke ich direkt nach dem Auspacken: Es ist unmöglich, das Gerät zu nutzen, wenn man es nicht vorher über einen "normalen" Computer und ein USB-Kabel in Apples Online-Shop iTunes anmeldet. Die Lehre daraus: Ohne Angabe einer Kreditkartennummer gibt es keinen Zugang zum Apple-Universum. Ohne Anbindung des iPad an einen PC oder Laptop ist es unbrauchbar — willkommen in der Welt der Zweit- und Drittcomputer auch privat.

Doch dank iTunes lässt sich jeder Inhalt und viele Tausend kleine Zusatzangebote ("Apps") per Fingerklick bestellen, laden und zahlen: Am Testgerät stört anfangs, dass es keine vernünftige Textverarbeitung hat — für nur 8,95 Euro lässt die sich aber herunterladen. Ich ärgere mich, dass das iPad keinen Kartenschlitz zum Einlesen von Speicherkarten aus der Digitalkamera hat. Plötzlich entdecke ich auf der Infoseite von Apple, dass ich dafür ein Zusatzteil für 29,95 Euro bestellen kann. Und natürlich scheint es verlockend, den montags erscheinenden "Spiegel" sonntags herunterzuladen. 3,99 Euro kostet der Download, 19 Cent mehr als das gedruckte Heft, doch das Ergebnis enttäuscht. Es ist zwar lesefreundlich, Texte extrem groß mit nur 27 Zeilen á 38 Buchstaben auf dem Bildschirm zu zeigen. Aber es wirkt seltsam, immer nur jeweils einen langen Absatz gezeigt zu bekommen und dann bei einer Titelgeschichte 38-mal "umzublättern", bis das Ende erreicht ist.

Das Resultat: Zumindest für längere Stories ist das elektronische Lesen weniger attraktiv als der Kauf eines gedruckten Magazins. Aber für kürzere Texte die auch noch geschickt mit Filmen oder Bildern verknüpft werden wie bei "New York Times" oder "Le Monde" aus Paris, ist das iPad sehr reizvoll.

Ist das iPad also die Zeitung der Zukunft? Zum Teil ja, zum großen Teil ist es aber auch ein reines Unterhaltungsmedium. So nutze ich mittwochs abends das Video-Portal Youtube intensiv. Auf der Wohnzimmercouch genieße ich das Lied "Cinnamon Girl" von Neil Young in zehn Versionen— dank Kopfhörer muss nicht die ganze Familie zuhören, das Bild ist gut.

Per Kabel habe ich 100 CDs von der iTunes-Software auf dem PC auf das Apple-Gerät kopiert. Die Titelliste rast per Fingerklick auf dem Bildschirm rauf und runter, per Fingerdruck ist der Song gewählt. Und obwohl Kritiker monieren, größte Schwäche des iPad sei die mangelnde Möglichkeit des "Multitasking" also gleichzeitiger Nutzung mehrerer Programme, stimmt das nicht ganz. Die Musik läuft sogar weiter, wenn man auf den "Aus"-Knopf des Gerätes drückt und der Bildschirm ausgeht — auch ein Apple-Wunder.

(RP)
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