Kolumne Netzentdecker Hits aus dem Nichts

Düsseldorf · Ein Hacker behauptet, jeden noch so dämlichen Rapper an die Spitze der Charts befördern zu können. Kann es sein, dass unsere Kinder sogar kriminellen Clans bei der Geldwäsche helfen?

 Kopfhörer hängen vor einem Apple Iphone, auf dem das Logo vom Musik-Streaming-Dienst Spotify angezeigt wird.

Kopfhörer hängen vor einem Apple Iphone, auf dem das Logo vom Musik-Streaming-Dienst Spotify angezeigt wird.

Foto: dpa/Daniel Bockwoldt

Bettina aus unserer Klasse hat vor über vierzig Jahren die „Hitparade“ von Dieter-Thomas Heck manipuliert. Sie war verliebt in Chris Roberts, einen Schlagersänger mit Mittelscheitel. Also investierte Bettina ihr ganzes Taschengeld in Postkarten und Briefmarken, um Un-Hits wie „Ich bin verliebt in die Liebe“ oder „Du kannst nicht immer 17 sein“ nach oben zu befördern. Sie benutzte für jede Karte einen anderen Stift, veränderte ihre Handschrift und benutzte die Absender vertrauter Klassenkameraden. Nicht auszuschließen, dass Chris Roberts mehrere Fanklubs hatte, die fleißig Postkarten für ihn schrieben. Später sollen Schlagerstars ihre eigenen Platten stapelweise in den großen Geschäften des Landes erworben haben, um eine gigantische Nachfrage zu simulieren. Die Musik-Charts entstehen seit jeher so seriös wie Weltranglisten im Boxen.

Die digitale Ära bieten nun Manipulationsmöglichkeiten, von denen Bettina und Chris Roberts geträumt hätten. Das Y-Kollektiv, eine Gruppe junger, aufmerksamer Journalisten, hat unlängst enthüllt, wie sich für etwa 50.000 Euro jeder Mist-Titel ziemlich sicher an die Spitze der Charts befördern lässt: Dazu hat sich ein Hacker Zugang zu unzähligen Spotify-Konten verschafft. Spotify? Genau, das weltgrößte Portal für Musik, wo für eine monatliche Gebühr unendlich viel Musik gehört werden darf.

Unter dem Decknamen „Kai“ erzählt ein auf Hit-Hacks spezialisierter Mann mit Tarnhaube, wie er angeblich über Hunderte zahlungspflichtiger Familien- oder Premium-Accounts bestimmte Musikstücke in Endlosschleife abspielt, unbemerkt von den Besitzern. Zudem werden unbekannte Titel in prominente Playlists geschmuggelt und die Videos bei YouTube systematisch abgerufen und bejubelt. Er habe schon für die fünf größten Top-Künstler in Deutschland gehackt, sagt Kai.

Diese scheinbar begeisterte Nutzung eines Titels wird von der Software als Nachweis für den Erfolg bewertet und von Spotify im Millicent-Bereich honoriert. Die Rechnung ist ganz einfach: Mit 50.000 Euro Anschubfinanzierung wird ein noch so grottiges Musikstück in einen scheinbaren Durch-die-Decke-Hit verwandelt, der daraufhin in den persönlichen Empfehlungen von Millionen Nutzern landet, die neugierig reinhören in die vermeintliche Hitrakete, was wiederum von Spotify und den anderen vergütet wird. Wer in die zweistelligen Millionenbereiche vordringt, hat gute Chancen, ein Vielfaches der 50.000 Euro Investment herauszuholen. So schafft scheinbarer Erfolg echten Erlös.

Ein Reporter des Y-Kollektivs, eines der spannendsten journalistischen Projekte, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk ermöglicht, hat das Experiment mit dem gekauften Hit persönlich gemacht. Unter dem Künstlernamen „Error281“ hat er einen Allerwelts-Rap aufgenommen, wo sich „Startklar“ auf „Fahrrad“ und „para“ reimt; dazu natürlich das amtliche Blödmanns-Video mit Rolex, Trainingsanzug und Goldkette. Wichtig: Das Stück sollte nicht länger als zwei Minuten sein, um es möglichst häufig abspielen zu können. Indizien für den Schmu finden sich vor allem zum Start des „Hits“: Obwohl das Stück erst einige Dutzend Mal auf YouTube gespielt wurde, hatte es bereits mehrere Tausend Likes.

Für Strafverfolger spannend dürfte die Behauptung des Hackers sein, dass der Hit-Hack eine neue Methode der Geldwäsche sein soll. 50.000 Euro Schwarzgeld in kleinen Scheinen, die kommen auch dem Manipulator recht. Dafür kommt wenig später echtes Geld über Downloads herein. Warum steht eigentlich so mancher Gangster-Rapper einem Clan nahe? Warum feiern die Rapper den Gebrauch von Kokain und Cannabis? Und womit verdienen die Clans ihr Geld? Muss man Verschwörungstheoretiker sein, um hier eine kulturelle wie ökonomische Verwertungsmaschinerie zu vermuten?

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