Analyse Zu wenig Ältere sind online

Berlin · Knapp 40 Prozent der Menschen ab 65 Jahren nutzen das Internet. Beliebt sind vor allem E-Mail-Dienste. Doch die meisten Senioren sperren sich noch gegen neue Technik. Das könnte sie bald vom öffentlichen Leben ausschließen.

Worauf man beim Surfen achten muss
Infos

Worauf man beim Surfen achten muss

Infos
Foto: dpa, Patrick Pleul

Fast 20 Jahre ist es her, dass Aldi den ersten Computer mit eingebautem Modem auf den Massenmarkt brachte. Später warb Boris "Ich bin drin" Becker für Internetanschlüsse. In den 90er Jahren begann der Internetboom in Deutschland, doch an Senioren ging die Entwicklung damals weitgehend vorbei. Seitdem sind nicht nur das Internet viel bedeutender und technische Geräte immer einfacher bedienbar geworden. Offenbar sind in dieser Konsequenz auch die heute Älteren zunehmend offener für die Online-Welt.

Immer mehr Senioren nutzen das Internet

Denn vier von zehn Bundesbürgern im Alter ab 65 Jahren nutzen mittlerweile regelmäßig das Internet. Dies ergab eine Studie des IT-Branchenverbands Bitkom. 17 Prozent dieser Gruppe sind 80 Jahre oder älter. Demnach bewegen sich 38 Prozent aller befragten Senioren online, im Vorjahr waren es erst 32 Prozent. Und jeder zweite der älteren Onliner kann sich ein Leben ohne Internet auch schon gar nicht mehr vorstellen. "Wer sich einmal mit dem Internet befasst, profitiert schon nach kurzer Zeit von den enormen Möglichkeiten und Verbesserungen für den Alltag", sagt Dieter Kempf, Präsident des Verbandes Bitkom.

Und tatsächlich, so scheint es, erkennen die älteren Internetnutzer hauptsächlich Vorteile im Netz. 80 Prozent der Befragten gaben an, ihr Wissen online erweitert zu haben, 60 Prozent glauben an mehr geistige Fitness durch die Internetnutzung. Im Gegenzug meinten nur 16 Prozent, das Netz führe zu mehr Einsamkeit; 13 Prozent sagten, dass sie im Internet überfordert seien.

Nur wenige Ältere nutzen Netzwerke und Streaming-Portale

Gleichzeitig macht die Studie deutlich, dass Senioren sehr bewusst das Internet nutzen - und nicht dauerhaft online sind wie die als digitale Ureinwohner ("Digital Natives") bezeichneten jüngeren Jahrgänge. So dient das World Wide Web den Älteren vor allem für gezielte Informationen sowie als Ersatz für das Briefeschreiben: Fast jeder dieser Senioren (91 Prozent) kommuniziert per E-Mail, stillt seinen Wissensdurst zu persönlichen Interessen (81 Prozent) oder informiert sich über das aktuelle Geschehen (79 Prozent) und zu Gesundheitsthemen (68 Prozent). Jeder Zweite erledigt auch schon seine Bankgeschäfte im Internet. Hingegen schauen nur wenige über 65-Jährige Filme online (23 Prozent), hören im Internet Musik (22 Prozent) oder sind Mitglied in sozialen Online-Netzwerken (15 Prozent).

Die Angst vorm Datenklau

Und auch wenn ein positiver Trend bei der Nutzung des Internets durch Senioren erkennbar ist: Die Mehrheit der älteren Bundesbürger ist weiterhin offline. "Das brauche ich nicht" ist der am häufigsten genannte Grund für die ablehnende Haltung. 17 Prozent der insgesamt 1000 befragten Senioren haben zudem Sorge, dass persönliche Daten im Netz ausgespäht werden könnten.

Weil aber die gesellschaftliche Teilhabe immer mehr von der Digitalisierung bestimmt wird, treibt die Politik mittlerweile die Sorge um, dass ältere Menschen davon schneller abgekoppelt werden könnten, als sich die Kluft zwischen Onlinern und Offlinern allein durch den demografischen Wandel schließen wird.

Behörden rüsten schneller auf als die Bürger nachkommen

"Das öffentliche Leben wird zunehmend in digitaler Form organisiert und verwaltet", sagt etwa Angelica Schwall-Düren (SPD), Ministerin für Medien in Nordrhein-Westfalen. "Hier gilt es, niemanden vom behördlichen Informationsfluss auszuschließen, weil er sich nicht einloggen oder online um einen Termin bemühen kann", warnt die Ministerin. Und wer sich die "digitale Agenda" der Bundesregierung anschaut, der entdeckt neben der geplanten Verlagerung von Behördengängen und Bildungsangeboten tatsächlich zahlreiche Ideen für eine immer stärkere Präsenz des Internets im Alltag der Menschen.

Seit Jahren bemühen sich daher Politiker und Verbände, älteren Menschen den Umgang mit Computern, Smartphones und Tablets sowie die richtige Nutzung des Internets näherzubringen. Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) nutzte Mitte Dezember die Gelegenheit und saß gemeinsam mit Bitkom-Chef Kempf bei der Präsentation der Studie auf dem Podium der Bundespressekonferenz. Ihr Anliegen: in eigener Sache für die Bundesförderprogramme Werbung machen, die es für Internet-interessierte Senioren gibt. "Vielen Menschen ist noch nicht klar, wie sie die technischen Möglichkeiten zu ihrem Vorteil nutzen können", sagte Wanka gestern. Die Forschung habe ergeben, dass es auf niedrigschwellige Nutzungsangebote und ansprechende Aufklärung ankomme.

Für Ältere gibt es in Nordrhein-Westfalen zahlreiche solcher Computer-Kurse an Volkshochschulen und bei privaten Trägern. Vom Bund gefördert sind zum Beispiel die "Technik-Botschafter" in Gelsenkirchen. Dort werden Senioren geschult, um anderen Älteren den Umgang mit Fotobearbeitungsprogrammen oder dem Online-Banking beizubringen oder sie in Fragen der Datensicherheit anzuleiten. 18 solcher Initiativen in zehn Bundesländern hatte das Bundesministerium mit insgesamt 400.000 Euro gefördert; nun hofft Wanka deutschlandweit auf Nachahmer. Mehr als vier Millionen Euro flossen zudem in 22 kommunale Beratungsstellen, eine davon in Solingen, wo sich Senioren über geeignete technische Geräte informieren können.

Doch trotz all dieser Bemühungen ist eine digitale Revolution bei den älteren Jahrgängen bisher noch ausgeblieben. Eines der Hauptprobleme bleibt nach wie vor die Technik: Lediglich 14 Prozent der von Bitkom befragten Senioren besaßen ein Smartphone, nur jeder Zehnte nutzte einen Tablet-Computer - obwohl diese häufig sehr viel einfacher zu bedienen sind als stationäre Computer oder Laptops. Bei mehr als 40 Prozent der Älteren jeweils deutlich beliebter: Kassettenrekorder und Schallplattenspieler.

(jd)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort