"World Wide Wohnzimmer" im Interview "Youtuber? Das würde uns niemals nicht gerecht werden"

Düsseldorf/Köln · Zwei heiße Anwärter auf den Webvideopreis kommen aus Düsseldorf. Im Interview sprechen Dennis und Benni Wolter von "World Wide Wohnzimmer" über Zwangsgebühren, "Rote Rosen" und einen handfesten Skandal.

Ein Hinterhof in Köln-Lindenthal. Ein Fußboden-Fabrikant zeigt seine neuen Fußböden, der Transporter steht in der Einfahrt. Hier sollen Videos für 16- bis 25-Jährige produziert werden? Der Parkettbauer nickt Richtung Anbau. "World Wide Wohnzimmer" prangt am Türrahmen des Anbaus. Handwerker und YouTube-Stars arbeiten Wand an Wand.

440.000 Menschen haben "World Wide Wohnzimmer" auf der Video-Plattform abonniert, Zehntausende schauen jedes der wöchentlich vier Videos, die Dennis und Benni Wolter dort veröffentlichen. Seit März sind beide mit ihrer gleichnamigen Comedy-Show bei "Funk" unter Vertrag – einem neuen Angebot, in das ARD und ZDF jährlich 45 Millionen Euro Rundfunkgebühren investieren. Davon leben auch die Wolter-Zwillinge, 26, geboren in Düsseldorf. Sie sind für den Webvideopreis nominiert, der am Donnerstag in Düsseldorf verliehen wird.

Seit 2011 veröffentlichen die beiden auf Youtube Comedy-Videos. In ihren Shows machen sie sich über andere Stars der Branche lustig – oder laden selbige zum Gespräch nach Köln ein. Mit Hilfe des öffentlich-rechtlichen "Funk"-Vertrags haben sie sich ihr eigenes Studio mit dreiköpfigem Team aufgebaut.

"Hier leben wir unseren Traum", sagt Dennis und führt herum. Ein Kühlschrank gefüllt mit Bio-Limonade in der einen, ein großer Schreibtisch mit aufgeräumten Arbeitsplätzen in der anderen Ecke, dazwischen eine Bühne umringt von Profi-Kameras. Abseits davon zwei weißen Sofas, von denen aus der gespannte Besucher detaillierte Einblicke in das Leben als Youtube-Star erhalten soll.

Diese Youtube-Stars kommen aus Deutschland
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Foto: Screenshot ApeCrime/Youtube/www.youtube.com/user/ApeCrimeReloaded

"Wir haben uns ziemlich weiterentwickelt"

Hier ist alles ganz schön sauber und aufgeräumt – so erwartet man das bei den Öffentlich-Rechtlichen.
Dennis Wolter: Ja klar, wir sind spießig geworden. Aber das fühlt sich nicht falsch an.
Benni Wolter: Ganz und gar nicht. Es ist eine positive Spießigkeit.

Wie kommt das bei Fans und Kollegen an?
Dennis: Uns hat noch niemand auf der Straße zusammengeschlagen, weil wir jetzt durch Rundfunkgebühren bezahlt werden. Die Betonung liegt auf "noch"!
Benni: Natürlich gibt es Kommentatoren, die kritisch hinterfragen, wofür ihr Geld da investiert wird.
Dennis: Aber wir gehen damit sehr offen um und haben die Erfahrung gemacht, dass die Leute auch anerkennen, wenn durch diese Finanzierung etwas Gutes entsteht. Wir haben uns ziemlich weiterentwickelt, seit wir bei "Funk" sind.

Ihr habt 2011 mit Youtube-Videos angefangen. Wie hat sich die Branche seitdem entwickelt?
Benni: Es geht alles unfassbar schnell. Vor zwei Jahren war die Szene ganz anders, viel kleiner. Heute gibt es von allem mehr: Mehr schlechte Kanäle, aber vor allem mehr professionelle Kanäle. Wer langfristig mit Youtube Geld verdienen will, muss Wert auf Qualität legen, besonders beim Equipment.
Dennis: Damals gab es auch schon Geld zu verdienen, aber vor allem durch Product Placements. Künstler waren viel abhängiger, jeder war bei einem großen Netzwerk unter Vertrag. Heute machen viel mehr Leute ihr eigenes Ding. Neu einzusteigen ist allerdings unfassbar schwierig. Du kannst nicht mehr mit der Handykamera ankommen, du musst von Anfang an professionell produzieren.

Die Youtube-Stars auf dem Roten Teppich beim Webvideopreis 2017
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Foto: Bretz, Andreas

"Wir sind nicht die klassischen Witzeerzähler"

In der ARD-Vormittagsserie "Rote Rosen" spielt eine Hauptrolle einen Video-Blogger. Die Zeiten als Subkultur sind für die Youtuber-Szene endgültig vorbei, oder?
Benni: Es scheint fast so. Ich habe letztens Dagi Bee (Anm. d. Red.: Youtuberin mit 3,5 Millionen Abonnenten) in einer Johannes B. Kerner-Abendshow im ZDF gesehen.
Dennis: Auf der anderen Seite gibt es gerade in klassischen Medien noch viel Unverständnis für das, was wir machen.

Wie erklärt ihr denn euren Großeltern, was ihr beruflich treibt?
Dennis: Im Prinzip produzieren und moderieren wir mit "World Wide Wohnzimmer" TV-Shows – nur nicht fürs Fernsehen, sondern eine andere Plattform. Technisch liefern wir – vielleicht mal abgesehen von den ganz großen XXL-Samstagabendshows – dieselbe Qualität. Inhaltlich müssen das andere Leute bewerten.
Benni: Zu sagen 'Wir sind Youtuber‘, das würde uns niemals nicht gerecht werden (lacht)!

Ihr macht Comedy, an dieser Unterhaltungsform scheiden sich die Geister.
Benni: Wir sind nicht die klassischen Witzeerzähler. Ich tue mich selbst schwer, mich Comedian zu nennen. Wir beschäftigen uns mit Youtube-Stars und mit dem, was auf der Plattform passiert. Das versuchen wir für sowohl für Außenstehende, als auch für Insider lustig darzustellen.
Dennis: Es gibt bestimmt viele Leute, die das überhaupt nicht lustig finden – und das kann ich auch total verstehen. Humor ist Geschmackssache. Wir nehmen uns aber auch selbst nicht so ernst oder allzu wichtig. Wir können sehr gut über uns selber lachen. Das ist wichtig, das merken die Menschen.

"Ich bin kein Fan davon zu sagen: Reichweite ist gleich Qualität"

Habt ihr Sorge, dass eure Idee und Witze irgendwann abgenutzt sind?
Benni: Nicht solange die Youtube-Kollegen mit ihren Kanälen jede Woche neuen Stoff liefern.
Dennis: Es gibt inhaltlich immer mal Hochs und Tiefs. Auch Jan Böhmermann liefert nicht jede Woche dieselbe Qualität.

Merkt ihr, wenn eine Show schlecht war?
Dennis: Manchmal denke ich nach der Aufnahme: Heute war es aber irgendwie langweilig oder blöd. Im Schnitt holen wir mit unserem Team dann noch richtig viel raus und am Schluss passt es dann. Aber wir sind schon unsere strengsten Kritiker.
Benni: Unter Youtubern ist es meistens so, dass die Fans das, was die Künstler machen, uneingeschränkt gut finden. Es gibt bei uns aber auch einige, die uns schon lange gucken und dann mal kritische Rückmeldungen geben. Das nehmen wir ernst.

Ihr steht bei knapp 440.000 Abonnenten – nicht übel, aber andere Kanäle kommen auf mehrere Millionen. Ihr seid Mittelmaß.
Benni: Ich bin kein Fan davon zu sagen: Reichweite ist gleich Qualität. Die größten Stars unserer Branche haben um die fünf Millionen Abonnenten, das heißt aber nicht, dass deren Inhalte auch total geil sind. Was wir gerade machen, war unser Traum, als wir mit Youtube angefangen haben. Es ist kaum zu fassen, dass wir unser eigenes Studio samt Mitarbeiter haben.
Dennis: Außerdem wurden wir von den Öffentlich-Rechtlichen ausgewählt und werden jetzt entsprechend bezahlt – und die nicht (lacht). Bei "Funk" gibt es etwa 60 Kanäle und wir sind einer davon. Darauf können wir sehr stolz sein – auch ohne eine Million Abonnenten.

"Ich glaube nicht, dass wir angespuckt werden"

Aber ihr steht jetzt in einem anderen Fokus. Als ihr im April in eurer Show "World Wide Wohnzimmer" sexistische Facebook-Kommentare über Barbara Schöneberger und Lena Meyer-Landrut vorgelesen habt, hat die "Welt am Sonntag" eure Förderung bei "Funk" kritisiert. Zurecht?
Benni: …dabei haben wir schon provokantere Dinge veröffentlicht! (lacht)
Dennis: Der Artikel war ja weniger gegen uns und unsere Shows gerichtet, sondern eher grundsätzlich gegen die Existenz von "Funk". Trotzdem standen wir im Fokus – toll.

Welche Auswirkungen hatte der Bericht für euch?
Dennis: Die Verantwortlichen bei "Funk" haben uns sehr den Rücken gestärkt. Der SWR, über den "Funk" läuft, hat schon kritische Nachfragen gestellt.
Benni: Es stand jedoch nie zur Debatte, dass wir rausfliegen. Im Gegenteil: Unsere Probephase hätte im Juli geendet, aber der Vertrag wurde auf ein Jahr verlängert. Champagner!

Babara Schöneberger wird am Donnerstag den Webvideopreis moderieren. Andere Branchenstars, die ihr regelmäßig aufs Korn nehmt, sind vor Ort. Bereitet ihr euch auf viele schiefe Blicke vor?
Benni: Ich glaube nicht, dass wir angespuckt werden. Wir machen das jetzt ja schon ein paar Jahre. Als wir 2015 das erste Mal bei der Veranstaltung waren, war es schon ein komisches Gefühl, und viele Leute haben uns nicht die Hand geben wollen. Damals waren wir die ersten, die sich öffentlich über die Szene lustig gemacht haben.
Dennis: Jetzt ist genau das ein richtiger Trend, überall wird gespottet. Wir können uns stolz Trendsetter nennen und haben mittlerweile jede Woche Gäste aus der Branche in unserer Show "World Wide Wohnzimmer". Letztes Jahr haben uns dann auch alle ganz brav Hallo gesagt.

"Natürlich stelle ich mir die Frage, wie lange wir noch ankommen"

Und eure Chancen, erstmals den Preis zu holen?
Benni: Ich war letztes Jahr total euphorisch, wir haben viel Werbung gemacht und wollten das Ding unbedingt gewinnen. Dieses Jahr gehen wir es entspannt an, wir sind zum Beispiel mit dem Neo Magazin Royale von Jan Böhmermann nominiert, allein das ist schon toll.
Dennis: Ich würde aber schon gerne gewinnen, weil wir wahrscheinlich kein drittes Mal hintereinander nominiert werden (lacht).

Ihr seid jetzt 26 Jahre alt. Wie lange seid ihr noch cool und witzig genug für das Youtube-Publikum?
Dennis: Natürlich stelle ich mir die Frage, wie lange wir noch ankommen oder wie lange wir noch Lust darauf haben. Ich möchte nicht mit 42 Jahren auf Youtube hängen und Witze über irgendwelche 16-Jährigen machen müssen. Aber wir wollen diese Plattform noch eine Weile nutzen, um uns weiterzuentwickeln.
Benni: Wir mögen den Late-Night-Charakter unserer Show. Ich kann mir gut vorstellen, sowas irgendwann auch mal im "echten" TV zu machen – so in Richtung Circus Halligalli. Die hören doch sowieso bald auf, oder?

(cbo)
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