Neue beliebte App Warum Clubhouse mehr als ein Hype ist

Analyse | Düsseldorf · Prominente und gewöhnliche Menschen treffen sich im neuesten sozialen Medium online zu anregenden und entspannten Gesprächen – auch kurz nach Mitternacht.

 Eine Nutzerin der Social-Media-App Clubhouse zeigt ihr Smartphone mit der Audio-Anwendung. In den virtuellen Räumen können die User einem Audio-Chat anderer Clubhause-Anwender zuhören oder sich aktiv an dem Gespräch beteiligen.

Eine Nutzerin der Social-Media-App Clubhouse zeigt ihr Smartphone mit der Audio-Anwendung. In den virtuellen Räumen können die User einem Audio-Chat anderer Clubhause-Anwender zuhören oder sich aktiv an dem Gespräch beteiligen.

Foto: dpa/Christoph Dernbach

Es geschieht nicht oft, dass spät abends beim Zähneputzen CDU-Jungstar Philipp Amthor, SPD-Rebell Kevin Kühnert und die Linken-Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg auftauchen und die spontane Chance bieten, mit den Polit-Profis zu plaudern. Kein ritualisierter TV-Talk wie bei Anne Will, sondern ein offener unaufgeregter Austausch von Gedanken. Gedanken, die man halt so hat, nachts um halb eins, kurz vor dem Schlafengehen.

Begegnungen wie diese sind keine Ausnahme, auf Clubhouse, sie sind die Regel. Ein Grund, weshalb in diesen Tagen halb Medien-Deutschland über die neue Plattform spricht. Clubhouse ist ein noch junges soziales Netzwerk, das nach seinem US-Start vergangenes Jahr jetzt auch hierzulande seinen Durchbruch feiert. Kein Journalist, kein Politiker oder Influencer, der nicht in den jüngsten Tagen auf die neue App hingewiesen wird oder gar eine der begehrten Einladungen zur Teilnahme erhalten hat. Ein viraler Hit, der sich in der Influencer-Szene schneller ausbreitet als ein Corona-Mutant.

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Clubhouse muss man sich vorstellen wie eine öffentliche Telefonkonferenz, die Tag und Nacht in dieser App stattfindet. Es gibt unterschiedliche Themenräume, die man betreten oder auch selbst anlegen kann. Dabei kann man passiv im Hintergrund bleiben und einfach nur zuhören. Man kann aber auch per Knopfdruck seine Hand heben und dadurch die anderen Diskussionsteilnehmer wissen lassen, dass man gerne mitreden möchte.

Am ehesten lässt sich das Prinzip vergleichen mit einer schon laufenden Party, bei der man auf bekannte oder noch unbekannte Gäste trifft, aber eben auch auf Prominente, die sich unter das Partyvolk mischen. ZDF-Moderatorin Dunja Hayali etwa, Thomas Gottschalk oder auch Paris Hilton waren zuletzt in den Chaträumen besonders oft gesehen worden.

Dass man bei Clubhouse ungewöhnlich vielen Showstars und Politikern begegnet, ist kein Zufall, sondern Kalkül der beiden Macher. Paul Davison und Rohan Seth, beide Stanford-Absolventen, sind gut im Silicon Valley vernetzt und haben durch ein ausgeklügeltes Schneeball-System dafür gesorgt, dass anfangs nur Tech-Influencer und Prominente Zugang zu ihrem Netzwerk bekamen. Auch dass die App bis heute nur auf Apple-Geräten läuft, ist bestimmt kein Zufall. Künstliche Verknappung plus Exklusivität der Gäste – so programmiert man einen Hype.

Tasächlich ist die App weit mehr als ein Hype. Sie kommt zur richtigen Zeit. Clubhouse ist die Antwort auf eine Gesellschaft, die sich nach einem knappen Jahr gefühlter Isolationshaft geradezu verzehrt nach belanglosem Büroküchen-Smalltalk. Nach zufälligen Begegnungen und dem unkonventionellem Austausch von Belanglosigkeiten, die in der Welt des vereinsamten Homeoffice, in E-Mails und in Videokonferenzen wenig Platz haben.

Dabei ist die bewusste Begrenzung auf Audio ein genialer Schachzug. Clubhouse, dieses „Twitter für die Ohren“, bedient nicht nur den momentanen Podcast-Trend. Das neue soziale Medium fällt auch in eine Zeit, in der die Menschen täglich mehrere Stunden in Videokonferenzen verbringen und daher dankbar sind, wenn sie in ihrer Freizeit nicht auch noch auf einen Bildschirm starren müssen. Auch der Verzicht von Likes, Herzchen, Retweets und sonstigen Bewertungssystemen, wie das bei Facebook, Instagram oder Twitter üblich ist, wird von vielen Clubhouse-Nutzern als wohltuend empfunden. Eine Oase im nicht enden wollenden Wettbewerb um digitale Aufmerksamkeit.

Zur lockeren Gesprächsatmosphäre trägt auch bei, dass man sich für Clubhouse nicht extra schick machen muss. Während man bei Zoom-Konferenzen darauf achtet, zumindest oberhalb der Jogginghose ordentlich auzusehen, ist bei Clubhouse noch nicht einmal mehr die Jogginghose erforderlich. So putzen sich die Talkgäste, während sie über Gott und die Welt philosophieren, nebenbei die Zähne, räumen die Spülmaschine aus oder zocken Computerspiele. Wie bei einer Party kann man jederzeit in ein laufendes Gespräch einsteigen, muss aber nicht. Und wie bei einer Party sind diejenigen, die mehr reden, als zuhören, nicht immer die hellsten Kerzen im Raum.

Clubhouse fühlt sich nicht an wie ein Stück Technik, sondern lebt von den Menschen, die es benutzen. Von ihren Stärken, ihren Schwächen, vor allem aber von ihren Macken. Weil die App so einfach zu bedienen ist wie Telefonieren, vergisst man schnell, dass man nur virtuell zusammengeschaltet ist. Schließt man die Augen könnte man manchmal fast meinen, man steht mit einem Gin Tonic in der Hand im Halbkreis irgendwo an einer Hotelbar. Selten zuvor hat ein soziales Netzwerk ein solches Gefühl von Nähe und Intimität erzeugt. Das macht Clubhouse tatsächlich einzigartig.

Dass die App in ihrer aktuellen Version eklatante Datenschutzmängel aufweist und deshalb in der EU niemals hätte starten dürfen, stört die Entwickler offenbar wenig. Hinter Clubhouse stehen mächtige Investoren wie Andreessen Horowitz, eine der größten Venturekapital-Firmen der USA. Schon kurz nach dem Start im Frühjahr 2020 wurde Clubhouse mit 100 Millionen US Dollar bewertet.

Ob der Erfolg von Clubhouse allein der Pandemie geschuldet ist, kann heute keiner sagen. In jedem Fall ist das Phänomen ein weiteres Indiz für eine Entwicklung, die man nicht weniger als historisch bezeichnen muss: die Tatsache, dass unsere analoge, physische Welt von einst und dieses neue, virtuelle Paralleluniversum immer enger miteinander verschmelzen. Dass wir alle gerade Zeuge werden, wie eine neue Epoche beginnt, wie vor unseren Augen (und Ohren) eine neue hybride Gesellschaft geboren wird. Vielleicht ein Thema, über das sich Philipp Amthor, Kevin Kühnert und Anke Domscheit-Berg heute Abend beim Zähneputzen miteinander austauschen wollen.

Der Autor Richard Gutjahr ist einer der bekanntesten deutschen Blogger und ein Kenner der Internet-Szene. Seit 2018 ist er Chef des Elektromobilitäts-Portals emobly.com, das er mitbegründet hat. Er schreibt regelmäßig für unsere Redaktion.

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