Kolumne: Total Digital Alles Abzocke!

Düsseldorf · Der Unterschied zwischen Deutschland und dem Silicon Valley sei, dass man sich in den USA auch mal kostenlos helfe, sagte ein Gründer. Sind wir Knauser?

Kolumne: Total Digital: Alles Abzocke!
Foto: Martin Ferl

Es ist wohl eine Frage der Perspektive, ob Sie mein jüngeres Ich als geschäftstüchtig oder als Abzocker bezeichnen würden: Als Kinder haben meine Geschwister und ich regelmäßig Veranstaltungen organisiert, an denen meine Eltern kostenpflichtig teilnehmen konnten. Bei Zirkusvorstellungen und Fußballturnieren kostete die Eintrittskarte 50 Pfennig, hinzu kamen Ausgaben für Getränke, die wir vorher aus der Küche besorgt hatten. An Weihnachten hielten wir sogar mal eine Messe ab und ließen den Klingelbeutel rumgehen - Spenden ausdrücklich erwünscht.

Heute ist mir das etwas peinlich, aber offenbar ist so ein Vorgehen einfach typisch deutsch. Das wurde mir klar, als ich mich zuletzt mit einem Gründer aus den USA unterhielt und ihn nach den größten Unterschieden zwischen Deutschland und dem Silicon Valley fragte. Er nannte das Wetter - und die Hilfsbereitschaft. In den USA würden sich Start-up-Gründer stärker austauschen und einander helfen, ohne Gegenleistung. In Deutschland wäre jedes Hilfsangebot mit einer Preisliste verbunden.

Ich glaube, er hat nicht ganz unrecht. Die Start-up-Szene ist inzwischen in vielen Bereichen durchindustrialisiert. Während die Stärke des Silicon Valley lange Zeit aus einer Mischung aus technischer Innovation und Hippie-Idealismus bestand, ist ein Großteil unserer Gründerszene ein Abbild der deutschen produktionsgetriebenen Optimierungsgesellschaft. Ich habe Gründer getroffen, denen war es egal, was sie machen - Hauptsache Start-up! Während im Silicon Valley viele angetreten sind, um mit ihren Ideen die Welt zu verbessern, optimieren wir die Gründung wie den Bau eines Autos, bei dem die Einzelteile von Zulieferern kommen und nur noch zusammengefügt werden müssen. Dienstleistung statt Hilfsbereitschaft.

Rocket Internet ist das Sinnbild dieses Optimierungswahns. Das Unternehmen war angetreten, um Start-ups am Fließband zu gründen: Eine Idee wurde mit Dienstleistungen aus dem Baukasten entwickelt und in den Markt gedrückt. Heute weiß man: Dieser Plan ging nicht auf, große Erfolge blieben aus.

Das sollte uns eine Lehre sein. Große Ideen entstehen selten per Scheck und Checkliste.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(frin)
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