Kolumne: Total Digital Facebook und Twitter in Zeiten der Angst

Die Anschläge von Paris zeigen: Das soziale Netz ist nicht nur eine Müllhalde des dumpfen Hasses, sondern auch ein Hort des Mitgefühls.

Als mehrere Gruppen von Attentätern am Freitagabend Paris mit einer Terrorwelle überzogen, war ich offline. Ich lag in meinem Elternhaus auf dem Sofa und las ein Buch. Dennoch erfuhr ich sehr schnell von den Anschlägen, weil meine Apple Watch vibrierte. Mein Sohn hatte mir eine besorgte SMS aus Seattle geschickt. Fast gleichzeitig zeigte die Uhr auch kurz hintereinander zwei Eilmitteilungen über Facebook an: Zwei meiner Bekannten, die zu der Zeit in Paris waren, nutzten Facebooks neue Meldefunktion "I'm safe", um schnell und unkompliziert ihren Kontakten mitzuteilen, dass sie in Sicherheit seien. Daraufhin klappte ich meinen Laptop auf, um bei Twitter nachzuschauen, was denn eigentlich in der französischen Hauptstadt passiert war.

Tausende von Nutzern meldeten bereits Bruchstücke des Geschehens. Ich schaute auch bei Twitters Videoplattform Vine vorbei und sah einen ersten kurzen Ausschnitt mit Tumulten vor dem Fußballstadion. Währenddessen war es kaum möglich, auf Twitters Live-Plattform Periscope in Echtzeit mitzuverfolgen, was sich in den Straßen von Paris abspielte. Zu viele Nutzer auf einmal schalteten sich gleichzeitig dazu, so dass Periscopes Server völlig überlastet waren.

Mehr als eine Stunde lang las ich Tweets mit den Hashtags (Stichworten) #ParisAttacks und #Pray4Paris und spürte eine große Welle des Mitgefühls mit den Opfern von Paris und ihren Angehörigen. Und zugleich auch tatkräftige Hilfsbereitschaft. Unter dem Hashtag #PortOuverte "Offene Tür" boten Pariser ihren Mitbürgern und Touristen, die in abgeriegelten Straßen oder wegen gestrichenen Bahnverbindungen und Flügen gestrandet waren, ein Dach über dem Kopf an. Taxiunternehmen gaben per Twitter kostenlose Beförderungen zu Hotels bekannt. Wie vielen Menschen so die Angst genommen wurde, draußen in potenziellen Gefahrenzonen herumirren zu müssen, weiß niemand. Aber es werden sicherlich viele gewesen sein.

Am nächsten Morgen war Facebook zu einem Meer von blau-weiß-rot eingefärbten Profilbildern geworden. In Windeseile verbreitete sich eine Collage mit Baudenkmälern in aller Welt, vom Brandenburger Tor bis zum Opernhaus in Sydney, die über Nacht in den französischen Nationalfarben angestrahlt worden waren. Ich las auf Facebook und Twitter auch respektlose und bornierte Bemerkungen. Aber darunter standen viel mehr Kommentare von vernunftbegabten Menschen, welche den Idioten widersprachen. So grauenhaft der Terror von Paris auch ist - die Reaktionen zeigen mir, dass das Internet nicht nur zu einer Müllhalde für Dummheit und Hass verkommen ist.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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