Facebooks Graph Search Suchmaschine der grenzenlosen Möglichkeiten?

Düsseldorf · Facebook hat zum Wochenstart seine Suchfunktion erneuert. Wie viele bisherige Facebook-Änderungen und -Updates auch, könnte das neue "Graph Search" kontroverse Debatten auslösen. Wir haben es uns angesehen.

Der Name "Suchmaschine" trifft auf das neue System genauso zu wie auf das alte. Wie es sich für ein umfangreiches Update gehört, werden dem Nutzer neue Werkzeuge zur Verfügung gestellt. Weiterhin können Personen, Gruppen, Seiten und alle anderen Daten beziehungsweise Anwendungen aus dem Facebook-Datendschungel herausgesucht werden. Nun allerdings wesentlich gezielter, gebündelt und mit teils kuriosen Ergebnissen.

Wie funktioniert die Eingabe?

Wer sich mit Suchmaschinen auskennt, weiß, dass die Funktion möglichst präzise Suchbegriffe oder Keywords benötigt. Eine Suchanfrage, die aus grammatikalisch vollständigen Sätzen besteht, ist für Google & Co. häufig noch nicht zu stemmen.

Graph Search kommt innovativer daher. Nach den ersten Buchstaben wird der vom Nutzer eingegebene Text mit einem Komplettierungsvorschlag unterlegt. Somit scheint es, als könne Graph Search vollständige Sätze verstehen. Diese Annahme stimmt bedingt, jedoch kann das System nur die Auswahl ihm bekannter Formulierungen begreifen und verarbeiten.

Eine frei formulierte Frage ist nicht möglich. Standardisierten Fragen können um Variablen wie Ortsname, Personenname, Seitenname und weiteres ergänzt werden. Die Suche nach Restaurants nahe Heinrich-Heine-Allee, Düsseldorf würde wie folgt aussehen:

Restaurants near Henrich-Heine-Allee, Düsseldorf.

Einfacher kann man es nicht formulieren, aber zurzeit noch nicht auf Deutsch. Falls die Suchanfrage unkonkreter Ausfällt, hält das System vielerlei Vorschläge parat. Diese lassen erahnen, wie aufwendig Facebooks Datensätze untereinander verknüpft sind: Ist der Suchmaschine der Name des Restaurants bekannt, wird eine Ortsmarke ausgegeben.

Ist das Restaurant gefunden, könnte jetzt auch nach Personen gesucht werden, die in einem Restaurant dieses Namens arbeiten, oder nach Personen mit dem Restaurant-Namen, die bei Restaurant.com arbeiten, oder nach Restaurants, die bei einer Person mit dem Restaurant-Namen arbeiten. Die ambitionierte Sucherei kann schnell in amüsantem Kauderwelsch enden.

Graph Search ist lernfähig. Vielen Nutzern wird das Formulieren einer Suchanfrage nicht leicht fallen. Wenn sich das System an die Herangehensweise eines Users gewöhnt hat, werden eingegebene Suchbegriffe automatisch zu einem für das System verständlichen Satz zusammengesetzt.

Ist eine Suche mit Graph Search nützlich?
Nutzer, die innerhalb eines Ballungsgebietes nach einer bestimmten Lokalität suchen, werden mit Sicherheit fündig. In Außenbezirken und ländlichen Gebieten fehlen Facebook häufig noch nutzergenerierte Daten, um Suchergebnisse ausspielen zu können. Bewertungsportale für Restaurants und andere Einrichtungen sind dem weit voraus und bieten fundiertere Rezensionen. Wenn der Nutzer wissen möchte, welche Restaurants in einem bestimmten Ort von Freunden geliked wurden, kann dies mit einer Frage feststellen:

Restaurants near (Ort) liked by my friends.

Im Ergebnis erscheint eine Listenansicht über Lage, Follower-Menge, Bewertung und Besucherzahl. Außerdem gibt Graph Search eine Liste aller bei Facebook verfügbaren Fotos aus, die in den jeweils gefundenen Geschäften erstellt beziehungsweise dahin verlinkt wurden. Weiterhin sind auch alle Besucher per Knopfdruck abrufbar, die am entsprechenden Ort eingecheckt haben.

Wie im Restaurant-Beispiel gezeigt, kann mit jedem weiteren abrufbaren Gegenstand verfahren werden. Lediglich das Vokabular in der Suchanfrage ändert sich, wenn anstatt eines Restaurants eine Seite, Gruppe oder Person gesucht werden soll. Wenn wichtige Parameter nicht in der Anfrage untergebracht werden können, hilft eine Liste mit auswählbaren Angaben zur Verfeinerung. In Sachen der Personenfindung eröffnet diese Detailsuche Möglichkeiten, die bisher nur von Dating-Portalen bekannt waren.

Wie privat bleiben meine Daten?
Als erstes ist zu sagen, dass sich durch den Wechsel zur neuen Suchmaschinengeneration keine Einstellungen der Privatsphäre ändern. Sollten diese bereits sorgfältig personalisiert sein, besteht kein Grund zur Sorge.

Wie bereits angedeutet legen die Profile von beispielsweise Restaurants offen, von wem sie geliked, besucht und auf Fotos verknüpft wurden. Somit kann sich der Suchende die Profile anderer anschauen, falls dies nicht von deren Privatsphäreneinstellungen unterbunden wird. Ebenso werden Daten wie gelikte Seiten, Gruppen, Musikgeschmäcker, politische Ansichten und religiöse Hintergrunde Einzelner sichtbar. Und das nicht nur zufällig. Beim Eingeben eines Nutzer-Namens wird eine Liste geöffnet, die Verweise zu folgenden Angaben anbietet:

Freunde von Max Mustermann
Fotos mit Max Mustermann
Fotos von Max Mustermann
Bücher, die Max Mustermann liest
Musiker, die Max Mustermann hört
Sport, den Max Mustermann treibt
Seiten, die Max Mustermann geliked hat
Sprachen, die Max Mustermann spricht
Gruppen, zu denen Max Mustermann gehört
Religiöse Ansichten von Max Mustermann
politische Ansichten von Max Mustermann
Apps von Max Mustermann.

Die Liste ließe sich noch fortführen. Aufgrund der großen Möglichkeit, religiöse, politische, sexuelle, kulinarische, sportliche (...) Präferenzen beliebiger Personen bis ins Detail einzusehen, sollten Arbeitnehmer nun umso mehr auf öffentliche Äußerungen im Facebook-Netzwerk achten. Selbst ein unliebsamer Kommentar auf dem öffentlichen Foto eines Freundes kann vom Arbeitgeber abgefragt werden.

Der IT-Experte Tom Scott veröffentlichte Anfang dieses Jahres eine Liste denkwürdiger Suchabfragenin seinem Tumblr-Account. Wer sich von der "Wo finde ich ein gutes Restaurant"-Frage verabschiedet, könnte nämlich auch einfach fragen, wer muslimisch, homosexuell und pädophil ist. Es ist zu befürchten, dass die Abrufbarkeit dieser empfindlichen Datenverknüpfung in einigen Fällen zu erheblichen Schwierigkeiten des beschatteten Nutzers führen kann. Denunziation wird leicht gemacht.

Fazit
Facebook Graph Search erweckt den Eindruck einer umfangreich konfigurierbaren Suchmaschine, die sich etwas unfertig aus der Testphase verabschieden musste. Sowohl die lange Wartezeit bei der Suche, als auch teilweise ernüchternden Ergebnisse machen sie noch nicht attraktiv. Einzig die Suche nach Status-Inhalten funktioniert reibungslos unter Zuhilfenahme des von Twitter bekannten Hashtags.

Facebook Graph Search klingt auch nach einem großen Vergnügen für digitale Hobby-Voyeure. Kein Zweifel, viele Nutzer gehen zu sorglos mit ihren Privatsphäreneinstellungen um. Allein schon das Hochladen von Inhalten und das damit verbundene Einverständnis, alle Rechte daran Facebook zu überlassen, könnten als grob fahrlässig, nach Meinung der Tageszeitung "Die Welt" auch lebensgefährlich, dargestellt werden.

Wer nicht gefunden werde möchte, sollte sich bei Facebook nicht unter seinem Klarnamen anmelden und schon gar keine sensiblen Daten zur Verfügung stellen beziehungsweise tendenziöse Kommentare unter Inhalten anderer verfassen oder grenzwertige Seiten liken. Andernfalls sind Beschwerden seitens der Nutzerschaft über "Spionagesoftware" einfach nichtig. Facebook ist kein getarnter Geheimdienst, kein Hexenwerk, nicht allmächtig - ja noch nicht einmal das Mädchen von der Post mit dem ständigen Ohr an der Leitung. Daran wird auch die längst überfällige "große", Suchfunktion nichts ändern.

(csr)
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