Tipps zur Kommunikation Wie man Sprachnachrichten klug nutzt – ohne andere in den Wahnsinn zu treiben

Analyse | Düsseldorf · Die kurzen Botschaften aufs Handy verändern unseren Alltag. Sprachnachrichten sind bequem, um losen Kontakt zu halten, können den Empfänger aber auch unter Antwortdruck setzen und seinen Tag zerschreddern. Was dagegen hilft.

Botschaften ins Handy zu sprechen, gehört heute dazu.

Botschaften ins Handy zu sprechen, gehört heute dazu.

Foto: dpa-tmn/Christin Klose

Eine Sprachnachricht hat viel für sich. Man kann sie absetzen, wann man mag, kann über den Text nachdenken, überfällt den anderen nicht mit seiner Botschaft. Denn auch der Empfänger kann selbst bestimmen, wann er die Nachricht abhört, ob, wie und wann er reagiert. Es ist ein Spiel über Bande, ein Dialog mit Zeitverzug, vermittelt über ein kleines Gerät, das alle bei sich tragen. Und dass sie sich gern wie ein Brett vor den Mund halten, während sie über den Bürgersteig laufen, auf die Bahn warten, daheim auf dem Sofa sitzen und die nächste Nachricht aufsprechen. Denn mit zerhacktem Telefonieren kann man den ganzen Tag verbringen.

„Sprachnachrichten bieten den enormen Vorteil, sowohl autonom zu bleiben, als auch verbunden“, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Dorothée Hefner. Sprachnachrichten ließen sich einfacher zwischendurch erledigen und dienten dazu, den Kontakt mit nahen Freunden oder auch weiter entfernten Menschen zu halten. „Das hat natürlich mit Effizienz zu tun, man kann schnell mal nachfragen oder ein Lebenszeichen senden“, sagt Hefner. Zugleich könnten beide Seiten anders als beim herkömmlichen Telefonat autonom entscheiden, wann sie die Nachricht schicken und wahrnehmen. „Das sorgt für mehr Unbefangenheit“, sagt Hefner, „man hat nie das ungute Gefühl, den anderen mit seinem Anruf zu stören.“

Der Austausch von Sprachnachrichten als wiederkehrendes Freundschaftssignal liefert allerdings eine andere Art von Verbundenheit, lebendige Momente wie gemeinsames Lachen oder spontanes Frotzeln fallen weg. Die Digital-Detox-Expertin Daniela Otto zieht das persönliche Gespräch darum vor, nennt es den Königsweg der Kommunikation. „Der direkte Anruf ist schneller, empathischer, oft auch ein Zeichen der Höflichkeit“, so Otto. Die Sprachnachricht sei schließlich recht selbstbezogen. „Der Sender macht es sich leicht, schickt die Nachricht einfach los, die Abhörprobleme, etwa wenn das Abspielen stockt, hat der andere“, sagt Otto. Darum solle der Sender sich kurz fassen, die Sprachnachricht sei keine Talk-Show und das schreiende Baby auf dem Arm wenig hilfreich. „Außerdem sollte man Menschen, die selbst nie Sprachnachrichten schicken, auch keine senden, weil sie diesen Kommunikationsweg anscheinend nicht mögen. Diese Rücksicht gehört zur digitalen Etikette“, sagt Otto.

Menschen, die Sprachnachrichten wenig oder gar nicht benutzen, finden es oft rätselhaft, dass Leute sich freiwillig der direkten Reaktionsmöglichkeiten berauben und lieber endlos Nachrichten hin- und herschicken, etwa wenn es um Verabredungen geht. Statt sich abzusprechen, wo und wann es passt, gibt es ständig Signale aus Bus, Bahn, Auto: „Bin jetzt hier, warte dort...“, während das Gegenüber seine Bewegungen kundtut, bis sich die Nachrichtenpartner irgendwann tatsächlich begegnen. „Menschenskinder, ruft doch einfach an!“, heißt es dann oft von Beobachtern.

Sprachnachrichten sorgen für eine Fragmentierung des Dialogs – und oft auch des Alltags, wenn Menschen das Handy nie beiseitelegen, sondern zumindest oberflächlich beständig verfolgen, wer ihnen schreibt oder Nachrichten hinterlässt. „Wenn man sich wirklich Autonomie bewahren will, sollte man Signaltöne ausschalten oder das Handy in gewissen Zeiten weglegen“, sagt Hefner. Daniela Otto empfiehlt, den Nachrichteneingang höchstens stündlich zu kontrollieren. „Man braucht etwa 15 Minuten, um in einen Zustand der Konzentration zu kommen“, sagt Otto, „wenn man sich ständig unterbrechen lässt, findet man nie in diesen Flow, in dem man die Zeit vergisst und Dinge effizient erledigen kann.“

Auffällig ist auch, dass manche Menschen eine Art Scheu entwickeln, überhaupt noch direkt mit anderen zu sprechen. Sie nutzen die Sprachnachricht, um den weniger kontrollierbaren direkten Dialog zu meiden. „Das hat natürlich zur Folge, dass gerade junge Menschen verlernen, spontan im Gespräch zu reagieren und die vielen empathischen Signale, etwa in der Gestik und Mimik, zu deuten“, sagt Otto. Gerade in der Coronazeit, in der viele Jugendlichen gezwungen wurden, zu Hause zu bleiben, hat sich die Sprachnachricht etabliert – ist nach dem Ende der Pandemie aber nicht wieder verschwunden. Genau wie die Zurückgezogenheit mancher Jugendlicher, die durch Corona zu Stubenhockern wurden – und es blieben. Die Distanz ist in Teilen zum Habitus geworden und verspricht Kontrolle und Sicherheit.

Durch die Möglichkeit der Sprachnachrichten hätten sich bereits kulturelle Normen verschoben, sagt Hefner. Zumindest sei es in bestimmten Kreisen nicht mehr üblich, andere mit seinen Anliegen per Telefon „zu überfallen“ und in deren Arbeits- und Lebensalltag einzugreifen. Vielmehr wahre man durch die Sprachnachricht so viel Distanz, dass der andere frei entscheiden könne, wie und wann er reagiert.

Allerdings wollen viele deswegen kontrollieren, ob eine Sprachnachricht angekommen – und gesehen worden ist. Als Zeichen dafür gibt es Häkchen, deren Aufscheinen von manchen akribisch verfolgt wird. „Die Benachrichtigungszeichen können Erwartungsdruck aufbauen“, sagt Hefner. Manche hätten das Gefühl, sie schuldeten dem anderen eine sofortige Antwort und geraten in Stress. Aber natürlich hänge das davon ab, wie sehr man generell geneigt sei, die Erwartungen anderer zu erfüllen, sagt Hefner. Eine Sprachnachricht sei im Grunde ja erst mal nur eine Information und ein Gesprächsangebot, dem man nicht unmittelbar nachkommen müsse. Allerdings können unbeantwortete Nachrichten enormen Druck aufbauen. „Textangst“ nennt das Daniela Otto und weiß aus ihrer Praxis, dass auch das Warten auf Antwort bei vielen Leuten Stress erzeuge, weil sie sich alle möglichen Gründe ausmalen, warum ein Gegenüber nicht reagiert. Manche Menschen seien davon so belastet, dass sie nicht mehr richtig atmen könnten. Das Phänomen hat schon einen Namen: Email-Apnoe. Auch beliebte Kommunikationswege können also durchaus die mentale Gesundheit beeinträchtigen.

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