Youtube-Star interviewt Angela Merkel LeFloid ist Muttis Liebling

Berlin · Die Bundeskanzlerin hat erstmals ein Youtube-Interview gegeben. Kritischer Journalismus war das nicht. Merkel legte sich mehrfach fest: Nein zur Homo-Ehe und zur Legalisierung von Cannabis. Ja zum Freihandelsabkommen mit den USA.

LeFloid und Angela Merkel: Das sagt das Netz über das Interview
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LeFloid interviewt die Kanzlerin: Das sagt das Netz

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Foto: dpa, axs

Es war 1994 und Wahljahr. Der Kanzler irrte über die "Datenautobahn". Gelächter bei der noch kleinen Internet-Gemeinde. Was war passiert? Der 64-jährige Helmut Kohl war von seinem Beraterjungspund Andreas "Fritzi" Fritzenkötter in Hans Meisers bunt-politische RTL-Sendung "Gefragt" bugsiert worden.

"Fritzis" Idee: den Kanzler-Oldie einem jungen, infotainment-versessenen Privat-TV-Publikum nahe zu bringen. Und dann fragt plötzlich ein Internet-Kenner den Kanzler, was denn seine Regierung zum Ausbau der deutschen Datenautobahn unternehmen wolle.

Kohl verstand nur Bahnhof, genauer: Autobahn, dachte wohl — wie sicherlich viele 1994 — an irgendetwas wie Fernstraße. So entgegnete er einem verdatterten Fragesteller, Straßenbau sei im Föderalismus mal Bundes-, mal Ländersache. Angela Merkel, Kohls Nach-Nachfolgerin im Kanzleramt, geriet bei ihrem ersten Interview mit dem 27 Jahre alten Youtube-Star Star LeFloid nicht auf die schiefe Bahn.

LeFloid hatte seine Abonnenten zuvor aufgefordert, ihm zu schreiben, welche Fragen sie immer schon mal der Kanzlerin stellen wollten: "Ich such mir dann 'n paar Fragen von euch raus und freu' mich extrem, mit Angela zu schnacken."

Man denkt zuerst: O je, das wird was werden, Underground trifft (politische) Upperclass. Auch dies geht einem durch den (älteren) Kopf: Merkels Berater werden sich wie weiland Kohls "Fritzi" kühl kalkulierend überlegt haben: "Das gehört heute dazu, das bringt Klicks und bei der Wahl junge Stimmen." Ranschmeiße aus Berechnung?

Schreiben wir es gleich: LeFloid trug Kappe, ein Kurzarm-Shirt, das Tätowierungen freilegte. Und er war ein Ausbund an Höflichkeit, fast könnte man sagen: "Muttis Liebling". Und "Mutti" musste sich nicht gepiesackt fühlen. Sie lächelte, als wolle sie signalisieren: Junge, du bist harmloser, als ich dachte.

Frage/Antwort im Detail:

  • Homo-"Ehe". Merkel: "Ehe ist für mich das Zusammenleben von Mann und Frau." Und: "Ja, da habe ich eine andere Meinung als Sie."
  • Cannabis-Legalisierung: "Bin ich ganz restriktiv, ein Ja nur bei medizinischer Notwendigkeit."
  • Freihandelsabkommen TTIP: "Ich verspreche Ihnen, dass es mit mir kein Zurück hinter europäische Verbraucherschutz- und Umweltstandards geben wird."
  • NSA-Lauschangriffe: "Der Zweck heiligt nicht jedes Mittel, aber — Merkel lächelt süffisant — "ich weiß theoretisch, dass die Vereinigten Staaten nicht die Einzigen sind, die wissen wollen, was bei uns so gesprochen wird."
  • Privatleben: "Wenn man den ganzen Tag reden muss, ist man froh, abends mal zu schweigen."
  • Fleiß: "Ich arbeite gerne, auch noch nach acht Stunden. Ich kann nicht einfach mal sagen: Habe heute schlechte Laune, deshalb drei Termine absagen."

LeFloid hört wohlerzogen zu, quasselt weniger dazwischen als Frau Illner. Aber: Kritischer politischer Journalismus war das nicht.

So sieht das Netz das Interview

Die wichtigste Frage für viele Kenner des Youtube-Stars war schnell geklärt: LeFloid hat die Kanzlerin gesiezt. Die Kanzlerin hat LeFloid gesiezt. Das ist keine Selbstverständlichkeit im Internet.

Und LeFloid ist in diesem Video aufgeregter, als ihn seine Fans kennen. Statt wie sonst selbstsicher vor dem Regal in seinem Zimmer mit schnellen Schnitten und frechen Sprüchen die Gedanken seiner jungen Zuschauer auf trab zu bringen, sitzt der Träger des Grimme-Online-Awards auf dem Designerstuhl im Kanzleramt und führt ein Gespräch mit "Frau Bundeskanzlerin”.

Ungewohnt brav, aber auf Augenhöhe in einer Bildsprache, wie es die Zuschauer vom Fernsehen kennen und nicht von Youtube. Manchmal wirkt das Gespräch unfreiwillig komisch. LeFloid: "Warum geben Sie das Interview jetzt?" Merkel: "Jetzt passt gut, weil wir unseren Dialog mit den Menschen in Deutschland begonnen haben." Die Zuschauer im Netz fragen sich direkt: Wie ist die Kanzlerin in den vergangenen zehn Jahren ohne Dialog mit ihren Wählern ausgekommen?

Die Meinungsmacher der Netzgemeinde spenden wenig Applaus.

Markus Beckedahl von netzpolitik.org ist wenig begeistert.

Auch ZDF-Moderator und Netz-Troll Jan Böhmermann machte sich in seiner Reaktion auf Twitter über die Floskeln des Youtube-Stars lustig.

Die ersten Kommentare der Zuschauer auf Youtube fallen hingegen sehr positiv aus: "Da hast du einfach mal Angela Merkel interviewt. Krasser Scheiß! Ich bin echt richtig stolz auf dich.” Ein anderer Nutzer: ""Hoffentlich startet Angel nicht bald einen eigenen Kanal…” Hat sie bereits. Den YouTube-Kanal der Bundesregierung hat bisher noch keiner wahrgenommen. Absolut.

(mc)
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