Sieben Alarmzeichen Internetsucht - ein schmaler Grat

Düsseldorf (RPO). Eine Studie schlägt Alarm: Mehr als eine halbe Million Deutsche sind internetsüchtig. Die Symptome reichen bis zu Kontrollverlust und Verwahrlosung, sagen die Forscher. Wer täglich vier Stunden oder länger online ist, gilt ihnen als abhängig. Aber das Krankheitsbild ist voller Tücken. Die Grenzen vom normalen Online-Gebrauch bis zur Sucht sind fließend.

 Rund 560.000 Menschen in Deutschland sollen online-süchtig sein. Vor allem Jugendliche gelten als gefährdet.

Rund 560.000 Menschen in Deutschland sollen online-süchtig sein. Vor allem Jugendliche gelten als gefährdet.

Foto: dapd, dapd

Schon bei der Vorstellung ihrer Studie zur Online-Sucht der Deutschen machen die Forscher Einschränkungen. Eine einheitliche Definition der Internetsucht gebe es nicht. "Die Datenlage ist schwach. Wir wissen sehr wenig über die Verbreitung des Problems", sagte der Suchtforscher Hans-Jürgen Rumpf. Man wisse noch nicht genau, was man bei der Internetsucht diagnostiziere. Deswegen spricht er mit Blick auf die Ergebnisse vorsichtig von "wahrscheinlich Anhängigen".

Lässt man sich darauf ein, sind die Ergebnisse besorgniserregend. Das Internet treibt einer aktuellen Studie zufolge bundesweit mehr als eine halbe Million Menschen in die Abhängigkeit. Am häufigsten in Verbindung mit Online-Spielen, Chats und vor allem sozialen Netzwerken.

Besonders gefährdet sind Kinder und Jugendliche. Sie neigen schon schnell dazu, stundenlang durchs Netz zu surfen. Sorgengeplagte Eltern wissen ein Lied davon zu singen, wenn ihre Kinder die Zeit im Netz verbringen anstatt mit den Hausaufgaben. Für viele ist das Netz das Hauptmedium für die Kommunikation mit Freunden. Zuerst mit ICQ, SchülerVZ, später über Facebook.

Vier Stunden kommen da schnell zusammen. Schon alleine mit Online-Spielen vergeht die Zeit wie im Flug. Nach dem Index der Suchtforscher wäre wohl ein großer Teil der Jugendlichen zumindest gefährdet, wenn nicht schon abhängig. Doch müssen sich jetzt Eltern Sorgen machen? Müssen intensive Internet-Nutzer sich selbstkritisch fragen, ob sie die Schwelle zur Sucht schon überschritten haben? Ein erster Fragenkatalog der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung kann Hilfe leisten und anzeigen, ob Gefahr im Verzug ist.

Wie erkennt man die Sucht?

Vergnügen oder Sucht - die Grenzüberschreitung ist nur schwer zu entdecken. Genaue Beobachtung des Verhaltens ist erforderlich. Starke Indikatoren für ein mögliches Suchtverhalten sind in der Regel

Nutzungsdauer - täglich vier Stunden und länger. Betroffene verbringen große Teile des Tages online.

Entzugserscheinungen - Wer Nervosität, Unruhe oder Reizbarkeit verspürt, wenn er vom Netz getrennt ist, ist gefährdet.

Mangelnde Selbstkontrolle - Beginn und Beendigung der PC-Nutzung sollten selbstbestimmt sein

Weniger Sozialkontakte - wer das Netz häufig der Familie oder Freunden vorzieht, zeigt Suchtanzeichen

Schlechte Gesundheit- wenn der PC auch noch nachts läuft, der Nutzer morgens blass ist und unausgeschlafen, dann sind Sorgen erlaubt. In härteren Fällen sind Probleme in Job und Schule die Folge, ebenso gesundheitliche Schäden, etwa an Wirbelsäule, Augen und Nerven.

Schwindeleien - wer Pflichten vernachlässigt und Ausreden sucht, um am PC sitzen zu können, ist gefährdet.

Steigender Bedarf - immer längere Onlinezeiten, um zufrieden zu sein.

Wer mehrere dieser Fragen mit Ja beantwortet, sollte sich Hilfen suchen oder zumindest einen ausführlichen Selbsttest machen.

Prophylaxe ist möglich

Für besorgte Eltern empfiehlt es sich, schon frühzeitig Vorsorge zu treffen. Experten empfehlen, mit Kindern zu vereinbaren, wie lange und auf welchen Internetseiten gesurft werden darf. In vielen Fällen bieten sich "Zeitkonten" an, etwa acht Stunden pro Woche für einen 14-Jährigen. Freunde treffen, essen, schlafen und Zeit mit der Familie sollten aber im Mittelpunkt stehen.

Der Computer und das Internet sollten nicht als Belohnung oder Strafe dienen - dadurch erhält das Medium einen zu hohen Stellenwert. Zudem sollten Eltern auf den Jugendschutz achten, indem sie auch über Inhalte reden und diese festlegen. Zudem sollte der Computer in einem gemeinsam genutzten Raum statt dem Kinderzimmer stehen. Zur Computer- und Internetnutzung müssen den Kindern stets attraktive Alternativen wie Ausflüge, Sport oder Hobbys geboten werden.

Wie kann man die Sucht bekämpfen?

Was tun, wenn es schon zu spät ist? Empfehlenswert ist ein Besuch bei der Familien- und Erziehungsberatungsstelle, weil häufig die gesamte Familie unter der Internetsucht leidet. Eine zweite Anlaufstelle ist die Suchtberatung, die kostenlos und auf Wunsch anonym persönlich informiert. Eine Übersicht über Suchtberatungsstellen gibt es bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Die exakten Grenzen zwischen Selbtsbestimmtheit und Sucht sind bei der Internet-Abhängigkeit allerdings eine schwer bestimmbare Größe. Die Suchtthese hat auch ihre Gegner. Einige Experten verweisen zum Beispiel darauf, dass sich das suchtartige Verhalten vieler Kinder und Jugendlichen nicht selten im Erwachsenenalter wieder verliere - und jedes intensiv betriebene Hobby eine gewisse Hingabe erfordere.

Die Forscher der aktuellen Studie wollten nun in einer Folgestudie ausführliche Interviews mit den Problemgruppen führen, um der Sucht weiter auf den Grund zu gehen. Derzeit verhandeln internationale Forschergremien, ob die Internetabhängigkeit einheitlich als Suchtkrankheit definiert werden soll. Dyckmans kündigte an, die Internetsucht im kommenden Jahr zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit machen zu wollen.

(dapd/pst)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort