Jens Schulte-Bockum im Interview "Im Internet muss eine Überholspur erlaubt sein"

Düsseldorf · Jens Schulte-Bockum, Chef von Vodafone Deutschland, kritisiert im Gespräch mit unserer Redaktion Wettbewerber wegen Dumpingpreisen, verspricht den Schutz der Kundendaten vor dem Londoner Geheimdienst und sieht stark steigende Nachfrage nach schnellen DSL-Anschlüssen.

Herr Schulte-Bockum, wir haben nur noch drei Mobilfunker in Deutschland, weil der preisaggressivste Wettbewerber E-Plus von Telefonica Deutschland übernommen wurde. Hoffen Sie auf höhere Tarife?

Schulte-Bockum: Aus Unternehmenssicht sind höhere Tarife immer erfreulich. Der Wettbewerb ist und bleibt aber extrem hart. Ein Grund ist, dass Telefonica Deutschland und E-Plus große Kapazitäten zu günstigen Konditionen an Drillisch abgeben mussten. Es gibt auch immer wieder Angebote von Weiterverkäufern im Markt, die mit rationaler Kalkulation nichts zu tun haben. Wir selbst setzen auf gute Angebote zu realistischen Preisen.

Bei Vodafone Deutschland riet laut einer internen Umfrage vor einem Jahr ein Drittel der Mitarbeiter von Produkten der eigenen Firma ab. Sie sagten wegen des Sparkurses sogar die Weihnachtsfeier ab. Und jetzt?

Schulte-Bockum: Die Weihnachtsfeier fand wieder statt, ich fand die Stimmung super. Die Werte unserer Mitarbeiterumfrage haben sich extrem gebessert: Im Durchschnitt würden nun 76 Prozent der Mitarbeiter Vodafone-Produkte an Freunde und Mitarbeiter weiterempfehlen, 35 Prozent mehr als vor einem Jahr. Das ist der beste Wert seit 2010.

Weit mehr als 1000 der damals 12 000 Stellen fielen weg, noch immer sorgen sich Kollegen um ihren Job.

Schulte-Bockum: Es gibt keine neuen Pläne für einen weiteren Abbau von Stellen. Im Gegenteil: Im Kunden-Service haben wir 200 Leute neu eingestellt, weitere folgen. Die Kollegen merken, dass wir mit Investitionen von vier Milliarden Euro in den Netzausbau allein bis 2016 auf dem richtigen Weg sind. Laut Netzvergleich der Fachzeitschrift "Connect" bieten wir die beste Sprachtelefonie in den Städten und haben insgesamt stark aufgeholt. Jetzt ist unser Ziel, bis zum nächsten Connect-Test im Oktober auch auf dem Land die beste Sprachqualität zu bieten. Unser Kampf zurück an die Netz-Spitze ist in vollem Gange.

Auch die Telekom rüstet auf, und Telefonica/E-Plus legen ihre Netze zu einem, enger gestrickten zusammen.

Schulte-Bockum: Bei Sprachtelefonie hat die Telekom ihre Umrüstung bereits hinter sich - also überholen wir nun mit noch besserer Technik. Bis Oktober haben wir alle rund 23 000 Basisstationen bundesweit modernisiert. Und Telefonica braucht mindestens zwei Jahre, um aufzuholen. Da müssen noch zwei Organisationen zusammengeführt werden. Es ist keine Kleinigkeit, aus zwei Netzen eines zu machen.

Telefonica will Ihnen zunehmend auch bei Geschäftskunden Konkurrenz machen und da 150 neue Leute einstellen. Eine Gefahr?

Schulte-Bockum: Das sehen wir sehr gelassen. 90 Prozent der Dax-Konzerne haben Verträge mit uns, auch wegen der globalen Abdeckung durch die Vodafone-Gruppe. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal. Wir haben mit Bayer und der Bahn im Mobilfunkbereich gerade zwei Großkunden gewonnen. Und wenn ein Wettbewerber für die Betreuung von Geschäftskunden neue Leute holt, kann ich nur darauf hinweisen, dass wir weltweit rund 5000 Mitarbeiter im internationalen Geschäftskundensegment haben und mehr als 1000 für den Firmenkundenbereich in Deutschland - Tendenz steigend.

Die Telekom punktet gegenüber Ihnen aber damit, dass Sie als deutscher Konzern alle Daten der Großkunden hierzulande abspeichert, wogegen Ihr Mutterkonzern ja im Zuge der Enthüllungen von Ex-CIA-Agent Edward Snowden wegen Kooperation mit dem britischen Geheimdienst ins Gerede kam.

Schulte-Bockum Wir nehmen die Sorge unserer Kunden in Deutschland um die Sicherheit ihrer Daten sehr ernst und haben darauf reagiert. Seit Herbst speichern wir alle Daten unserer hiesigen Kunden auf lokalen Rechnern ab. Damit ist der Zugriff ausländischer Geheimdienste ausgeschlossen. Dafür verbürge ich mich auch persönlich.

Warum bieten Sie neuerdings den Video-Kanal Netflix als bezahlte Beigabe für Smartphones an? Das verstopft doch nur die Netze.

Schulte-Bockum: Die Zeit, als es hieß "Fasse Dich kurz" ist nun wirklich vorbei. Wir ermöglichen mit unserem Netzausbau, dass die Kunden zunehmend attraktive Datendienste nutzen. Und die steigende Zahl beispielsweise bei den Nutzern von Vodafone-Red-Tarifen - das ist die Hälfte aller direkten Privatkunden - bestätigt, dass solche hochwertigen Angebote gut ankommen. Aber Sie haben recht: Wir müssen die Kapazitäten immer weiter erhöhen, was uns aber dank der nun bereits gelegter Glasfaserleitungen zu den meisten Basisstationen leicht gelingt.

Beim Mobilfunk zahlen die Kunden für Datentarife mit Obergrenzen. Wird es solche Begrenzungen künftig auch im Festnetz geben, kopieren Sie also irgendwann die Drossel-Pläne der Telekom?

Schulte-Bockum: Erstens führt der Daten- und Videoboom dazu, dass wir im Mobilfunk die Obergrenze sukzessive erhöhen. Vor zwei Jahren waren beim einfachsten Vodafone-Red-Tarif 500 MB inklusive, jetzt sind es 1,5 Gigabyte. Zweitens stimmt es, dass im Festnetz die Menge an übertragenen Daten wegen des Streaming-Booms bei Filmen auch extrem wächst. Aber wir planen keine Abkehr von Flatrates, also Pauschalangeboten.

Wenn Sie schnellere Anschlüsse mit mehr Datenvolumen als langsame Anschlüsse ausstatteten, würde das den Verkauf der teureren Anschlüsse fördern.

Schulte-Bockum: Wir haben schon jetzt eine weit überdurchschnittliche Nachfrage nach Verträgen mit 50 oder 100 Megabit/Sekunde. Die fördern wir auch durch einen günstigen Einstiegspreis im ersten Jahr. Danach können die Kunden, wenn Sie wollen, wieder weniger Tempo buchen, aber das kommt wegen des höheren Komforts extrem selten vor. Insofern gibt es aus Marketing-Sicht keinen Grund, von Flatrates abzurücken.

Es bleibt dabei, dass Sie nach dem acht Milliarden Euro teuren Kauf von Kabel-Deutschland gerne auch die Kölner UnityMedia kaufen würden, um bundesweit Online-Anschlüsse über Kabel zu bieten?

Schulte-Bockum: Für den Breitbandmarkt wäre es gut, wenn es neben der Telekom als bundesweitem Betreiber eines DSL-Netzes auch einen bundesweiten Betreiber eines Kabel-TV-Netzes inklusive Unitymedia geben würde. Und da sehe ich zunehmend Signale aus der Politik, dass sie eine solche Konsolidierung des Marktes unterstützen würde.

Die Bundesregierung unterstützt, im Internet sogenannte Leistungsklassen zuzulassen, also eine ungleiche Behandlung von Daten zu erlauben. Damit droht doch das Ende des offenen Internets.

Schulte-Bockum: Ganz falsch. Wir als Vodafone und auch ich persönlich stehen dafür gerade, dass das Internet eine völlig offene Plattform bleibt. Aber für bestimmte Dienste müssen wir so etwas wie Überholspuren schalten dürfen. Wenn wir beispielsweise in Zukunft per Mobilfunk Autounfälle vermeiden wollen, muss die Information in Echtzeit ankommen. Oder nehmen Sie die Medizintechnik, auch hier geht die Entwicklung nur voran, wenn Informationen ohne Verzögerung ausgetauscht werden können.

In dem Moment, wo Sie mit verschiedenen Unternehmen bevorzugte Konditionen für die Einleitung ihrer Daten vereinbaren können, werden Giganten wie Google, Apple oder Netflix kleinere Anbieter an den Rand drängen, die dann zu erwartende Großkundenrabatte nicht erhalten.

Schulte-Bockum: Der Zusammenhang ist umgekehrt. Google und andere Internetgiganten machen doch gerade Front dagegen, dass die Telefonkonzerne von ihnen einen Beitrag für den Netzausbau verlangen können. Das wird dann als Kampf um sogenannte Netzneutralität verkauft, aber in Wahrheit geht es ums Geld. Wenn wir dagegen höhere Einnahmen für den Netzausbau generieren, profitieren alle davon - und zwar auch kleinere Internetunternehmen und erst recht die Kunden.

REINHARD KOWALEWSKY STELLTE DIE FRAGEN

(RP)