Erfahrungsbericht Ganz allein unter Freunden

Düsseldorf (RP). Am Anfang war alles einfach: der Einstieg in die kommunikative Wunderwelt von Facebook. Ein Bericht aus den Grenzregionen der Selbsterfahrung.

Mark Zuckerberg – Facebook-Gründer, Milliardär, Frau Priscilla Chan
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Mark Zuckerberg – mächtig und streng

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Und plötzlich haufenweise neue Freunde. Alle duzen einander, ohne Umschweife, obwohl ich das eigentlich nicht mag. Denn was ist, wenn man unverhofft einem Vorgesetzten bei Facebook begegnet, oder dem Papst oder den eigenen Eltern, die meine Generation noch ehrfurchtsvoll zu siezen pflegt? (War jetzt nur ein Scherz.) Egal, wir sind eben eine große Gemeinschaft. Wir sind Facebook.

In diesem Ton etwa sollte mein Erfahrungsbericht anheben, als ein freundlicher Kollege (der eigentlich auf praxisrelevante Erprobungen abonniert ist) mir die Anmeldung bei Facebook erklärte. Das geht dann so und so und jetzt noch so undsoweiter. Und ich: Verstehe, ja klar, logisch, ist ja einfach undsoweiter.

Danach folgte erst einmal das Wochenende mit einer sehr schönen Kurzreise (also ohne Netbook), und nach Rückkehr war sogleich das Passwort vergessen. Wie, bitteschön, kann man das vergessen, wenn es einem doch so wichtig ist? — fragt das miese Gewissen. Vielleicht weil unser Leben längst zu einer verschlüsselten Existenz mit einem unerschöpflichen Reservoir an Zugangscodes mutiert ist, gegen deren Tricks die Hieroglyphen ein Brief mit sieben offenen Siegeln ist, antwortet darauf der Ertappte mit arg schiefer Metapher.

Was jedenfalls folgte, war die erste Bestrafung meiner noch zu erwartenden Facebook-Freunde: die sogenannte Zurücksetzung des Passworts nämlich. Aber mir wurde eine Hand gereicht zur Rückkehr in die Gemeinschaft — mit einem neuen Code. "Grüße, das Facebook-Team." Aber dann finde ich den Schmierzettel samt Passwort und lande doch wieder bei mir und meiner Seite, die zugegebenermaßen lieblos ausschaut und vielleicht deshalb noch ohne Freunde ist. Klarer Fall: Ich muss mein Profil aufpeppen, lade sogar ein Foto von mir hoch ("bist du wahnsinnig", heißt es innerehelich), tippe ein paar unverfängliche Hobbys ein ("würde ich nie machen") und verschweige der Kritikerin, dass ich auch noch meine Vorliebe für gute Weine anfüge (frage mich danach aber umgehend, ob diese ohnehin überflüssige Zusatzinformation nicht den ultimativen Karriereknick bedeuten muss).

Dann ist auch dieser Tag schon wieder vorbei, der mal eben mit einer kleinen Kontrolle ("0 Freunde", "Niemand ist online") endet, mit ein paar Freundes-Anfragen sowie der spöttischen Nachfrage, wie viele neue Freunde sich denn schon eingefunden hätten. Billige Retourkutsche: Heute wird nichts mehr vorgelesen!

Die Nacht ist unruhig. Ich träume davon, wie ich beim netten Portugiesen im Viertel hinter dem Hamburger Schauspielhaus auf der Toilette die Hände wasche, ein Blackberry zücke und mit Hilfe des Facebook-Apps mal eben meinen vielen Freunden mitteile, dass ich mir gerade auf der Toilette beim netten Portugiesen im Viertel hinter dem Hamburger Schauspielhaus die Hände wasche.

Sorry, das ist fies und obendrein ein Verrat an meinen potentiellen Freunden. Denn natürlich hat Facebook seinen tieferen Sinn. Es soll "das transformativste Ding" sein, das es je im Internet gab. So zitiert am nächsten Morgen die Zeitung Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. Eingeweihte nennen ihn nur Zuck; aber das traue ich mich (noch) nicht. Dann lese ich weiter und erfahre nebenher, dass Facebook der wahrscheinlich größte Sammler personalisierter Daten ist. Die sind nützlich für die Werbung, aber auch für die Versicherungen und den Arbeitgeber und taugen für Voraussagen über Verhaltensweisen . . . — lese ich gerade noch, als meine schärfste Facebook-Kritikerin die Küche betritt und ich in allerletzter Sekunde noch die Zeitungsseite umschlagen kann. Statt riesiger Empörung nun grenzenlose Verwunderung über mein bis dahin unbekanntes Interesse für die Seite Technik.

Ich trinke neuerdings literweise Fenchel-Anis-Kümmel-Tee und verspreche mir davon irgendeine Wirkung. Es ist mir schon klar, dass die schnöde Facebook-Selbsterfahrung nichts Heroisches an sich hat. Abertausende tummeln sich darin, sorglos und zufrieden mit ihrer dreistelligen Freunde-Galerie, die augenscheinlich eine Art soziale Schallmauer markiert.

Mir geht es nicht gut; und außerdem hasse ich die Facebook-Schreibweise von "FreundIn", bei der das grammatikalische Genus mit dem leibhaftigen Sexus verwechselt wird — "Klugscheißer", raunt darauf das Gewissen. Ich schweige. Und erst recht mag ich keine Aufforderungen wie "Kontaktdatei hochladen" und "Wir möchten dir dabei helfen, deine Freunde zu finden". Darauf schweigt jetzt aber das Gewissen.

Bestimmt werde ich den Rekord halten, am längsten ohne Freunde in Facebook gewesen zu sein. So etwas kannte ich bisher nicht. Im Schulsport etwa wurde ich doch immer früh in eine Mannschaft gewählt, glaube ich mich erinnern zu können. Aber vielleicht ist dieses Votum ja schon der Ausblick aufs kommende Alter mit diesen Varianten: a) Ich vereinsame vollständig; b) Ich vereinsame nur ein bisschen; oder c) ich vereinsame gar nicht (doch leider ist dieser "Like-Button" derzeit nicht aktiviert; frage bitte dein Facebook-Team nach einem neuen Code).

Sollte jemand diese Reportage aus dem sozialen Brennpunkt des Internets bis zu dieser Zeile wirklich gelesen und plötzlich dabei so etwas wie Anteilnahme empfunden haben, der braucht sich jetzt auch nicht mehr zu melden — wie gesagt: auf www.facebook.com

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