Virale Videos und ihr Geheimnis "Supergeil" und "First Kiss" - worin liegt der Zauber?

Zwei Youtube-Videos mischten in den vergangenen Wochen das Netz auf. Der Edeka-Clip "Supergeil" und 20 Fremde, die sich küssen. Binnen Tagen hatten die Clips ein Millionenpublikum. In beiden Fällen nutzten die Macher unsere Eitelkeit. Ein Gespräch mit dem Medien-Psychologe Sebastian Buggert vom Rheingold-Institut.

Supergeil: Edeka zeigt verblüffend schrägen Clip
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Supergeil: Edeka zeigt verblüffend schrägen Clip

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Foto: Screenshot Youtube

Der Erfolg der beiden Clips ist phänomenal. Am 20. Februar veröffentlichte die Supermarktkette Edeka "Supergeil", das so extraordinär skurrile wie coole Video mit dem Künstler Friedrich Liechtenstein. Nach 20 Tagen wurde der Clip 6,7 millionenmal angeklickt. Selbst bis nach Amerika schwappte der Erfolg.

Noch viel größer die Resonanz auf das Video "First Kiss", hochgeladen von der Künstlerin Tatia Pllieva. Gerade mal zwei Tage lang steht das englischsprachige Video im Netz. Vorläufige Bilanz: 22,5 Millionen Abrufe. Auch hier steckt eine Unternehmen dahinter: Fast versteckt präsentiert die Modemarke WrenStudio den Film. Das Label stattete die Darsteller mit seinen Kleidern aus.

Der Zauber von Social Media

Werbefachleute bezeichnen eine solche explosionsartige Verbreitung im Netz als viral. Er trifft immer dann zum, wenn sich Inhalte wie ein Virus vervielfachen. Für die Marketing-Fachleute ist das ein Traum: Anstatt für teure Fernseh-Werbung zu bezahlen, lassen sie ganz gewöhnliche Internet-Nutzer ihre Botschaft verbreiten, indem sie sie teilen und kommentieren.

Wie von Geisterhand verbreiten sich Inhalte so exponentiell im Schneeballeffekt. Der Zauber von Social Media.

Sebastian Buggert vom Kölner Rheingold-Institut setzt sich beruflich schon lange mit diesem Phänomen auseinander. "Jedem erfolgreichen viralen Video liegt eine Geschichte zugrunde, die uns fasziniert", erläutert Buggert unserer Redaktion. Ein solcher Film müsse Staunen auslösen, Gefühle. Oftmals gelingt das nach Ansicht Buggerts durch Provokation.

Doch tragen noch ein paar andere Faktoren zum Erfolg solcher viralen Clips bei. Vier davon hebt Buggert gezielt hervor.

Broadcasting Nutzer von sozialen Netzwerken sind nicht nur Leser, sondern auch Sender. Indem er Inhalte teilt oder retweetet, wird er zum entscheidenden Faktor. "Social Media sind die neuen Sendeanstalten", sagt Buggert.

Virale Qualität Nutzer teilen nicht irgendetwas, sondern Inhalte, mit denen sie selbst ihr Profil schärfen, erläutert Buggert. Das aber sei gar nicht so einfach. "Jeder möchte etwas teilen, das irgendwie heraussticht", sagt Buggert.

Wer besonders klug aussehen möchte, teilt also Intellektuelles, wer besonders sympathisch sein will, bevorzugt Herziges. Die Konsequenz für die Werber liegt auf der Hand: Virale Inhalte machen sich gezielt unsere Eitelkeiten zu eigen.

Medien Die nächste Schwelle nimmt ein Erfolgsclip, wenn Medien beginnen, darüber zu berichten. "First Kiss" brachte es binnen eines Tages bis in die Zeitung. Die, die den Film bisher nicht kannten, gehen jetzt gezielt auf die Suche danach ins Netz. "Um mitreden zu können", sagt Buggert.

Die Bewegung Die nächsthöhere Stufe ist aus Sicht des Experten, "Teil einer Bewegung" zu werden. Idealtypisch verkörpert das "Kony 2012". Ausgelöst durch ein Video machte sich das Netz auf die Jagd nach dem Kriegsverbrecher Joseph Kony. Botschaft an den Nutzer: Auch du kannst Teil einer Bewegung sein, die die Welt verbessert! Das Video hat inzwischen mehr als 99 Millionen Abrufe.

Ein Sonderfall. Schnöden Produkten bleibt der Status als Bewegung im Regelfall verwehrt. Doch auch für die Erfolgsclips der vergangenen Tage findet der Experte Lob. Bei "First Kiss" hebt er die "wertige, kunstvolle Produktion" hervor, die Betrachter in hohem Maße involviere. Faszinierend sei in diesem Falle mitzuerleben, wie sich Intimität zwischen zwei Fremden entwickelt - und das sehr glaubhaft.

Provokation statt Gefühle

Anders sein Kommentar zu "Supergeil". Provokation statt Gefühle, heißt hier das Rezept. "Edeka ist eigentlich ein konservatives Unternehmen", sagt Buggert. Das superschräge Video aber stehe dazu in krassem Kontrast. Folge: Durch die ironische Botschaft hat Edeka in einer jungen Zielgruppe eine riesige Aufmerksamkeit erreicht, so der Experte.

Doch machen sich solche Kampagnen, so unterhaltsam sie auch sein mögen, auch in harter Münze bezahlt? Werden am Ende tatsächlich mehr Produkte verkauft? Noch Anfang der Woche verdammte eine Wirtschaftspsychologin den Supergeil-Spot in einem Beitrag für die Huffington Post als vollkommen irrelevant. Die Botschaft gehe an den wahren Bedürfnissen vorbei.

Auch Buggert zeigt sich skeptisch: "Eben weil virales Marketing drastischer sein muss, passt es nicht zu jeder Marke." Insbesondere für Unternehmen, die einen seriösen Auftritt pflegen, kann das Probleme aufwerfen. Buggert erinnert in dem Zusammenhang unter anderem an ein Youtube-Video von Volkswagen, in dem sich ein Selbstmordattentäter in einem Polo in die Luft sprengte, das Fahrzeug aber unbeschädigt blieb.

(pst)
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