Online-Infos zur Bundestagswahl Warum der Wahl-O-Mat die Digitalisierung in Deutschland ignoriert

Düsseldorf · Fällt die Digitalisierung in Deutschland aus? Bleiben wir Neuland? Mit keiner Silbe berücksichtigt die Wahlinformationshilfe Wahl-O-Mat die Digitalisierung. Alle Parteien finden die Digitalisierung gut, im Wahlprogramm ist sie aber nur Randnotiz. Das sagt viel über das Interesse der Deutschen an der Zukunft.

 Mit dem Wahl-O-Mat informieren sich Millionen Bürger vor ihrer Wahl.

Mit dem Wahl-O-Mat informieren sich Millionen Bürger vor ihrer Wahl.

Foto: Bundeszentrale für politische Bildung

Die Gesamtzahl der Nutztiere in den landwirtschaftlichen Betrieben einer Gemeinde soll begrenzt werden können. Stimmen Sie zu? Stimmen Sie nicht zu? Dieses Statement halten die Macher des Wahl-O-Maten für eine wichtige These. Immerhin haben Politiker unterschiedliche Meinungen zur These, sodass die Wähler ihr Meinungsbild mit dem der Parteien abgleichen können. Nicht wichtig hingegen scheinen sämtliche Thesen rund um die Digitalisierung. Landwirtschaft vor Digitalisierung? Viele Nutzer sind irritiert.

"Trauriges Abbild der Debatte in Deutschland"

38 Thesen stellt der Wahl-O-Mat in dieser Bundestagswahl den Wählern zur Überprüfung vor. Die Auswahl ist wichtig, schließlich ist für viele Deutsche der Wahl-O-Mat inzwischen eine Institution. Als das Tool zur Bundestagswahl 2017 startete, gingen die Server vieler Medienseiten in die Knie. Der Ansturm war enorm, vielerorts gab es Klickrekorde. Gerade deswegen fällt die Kritik am Auslassen gesellschaftlicher hoch relevanter Themen ins Gewicht. "Der Wahl-O-Mat ist ein trauriges Abbild der politischen Debatte in Deutschland: praktisch keine Digitalthemen, nichts zum Thema Pflege", ärgert sich Thomas Knüwer, Digitalstratege und Gründer der Düsseldorfer Agentur Kpunktnull. "Dafür die Nicht-Frage, ob die Erinnerung an den Holocaust wichtig bleiben soll. Die AfD setzt die Themen, die Zukunft ist kein Thema."

Auch der Kölner Digitalexperte Klemens Skibicki übt Kritik: "Es ist unfassbar, wie dieses Land sich lieber mit Nebensächlichkeiten beschäftigt." Er bemängelt, dass die fehlende digitale Infrastruktur als Grundlage für Bildung und Wirtschaft überhaupt keine Rolle spielt. "Das wichtigste Thema, um die Wirtschaftskraft zu erhalten, kommt einfach nicht vor", kommentiert Skibicki, der die Themenauswahl als Katastrophe bezeichnet.

Ohne Kontroverse keine These?

Wobei es zumindest der Anspruch des Betreibers Bundeszentrale für politische Bildung ist, alle wichtigen Themengebiete anzusprechen. Grundlage für die Thesen im Wahl-O-Mat sind die Partei- und Wahlprogramme der Parteien sowie deren programmatische Aussagen zur Wahl. "Die Thesen in jedem Wahl-O-Mat werden von einem großen Team erarbeitet, das aus Jung- und Erstwählerinnen und -wählern, Politikwissenschaftlern, Statistikern und Pädagogen und den institutionellen Trägern des Wahl-O-Mat besteht", erklärt Sabine Stockheim, Sprecherin der Bundeszentrale für politische Bildung. "Im Wahl-O-Mat finden sich die Thesen, die nach dem mehrmonatigen Redaktionsprozess nach Meinung dieses Teams die wichtigsten Themen der Wahl aufgreifen, von den Parteien kontrovers beantwortet werden, die Unterscheidbarkeit der einzelnen Parteien gewährleisten und ein breites thematisches Spektrum abdecken." Oder anders ausgedrückt: Was in den Wahlprogrammen nicht als kontrovers gegenübergestellt werden kann, findet auch nicht im Wahl-O-Mat statt.

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Die Kritik kommt aber nicht nur von Experten, sondern auch von den Nutzern. "Wieso gab es keine einzige Frage zur Digitalisierung? Genauso zum Schulsystem", fragt ein Nutzer auf der Online-Diskussionsplattform Reddit. "Ich habe das Gefühl, dass den Machern nicht ganz bewusst ist, wie stark sie die Agenda des deutschen Wählers mit beeinflussen." Dieser Kommentar erhielt die meiste Zustimmung der anderen Nutzer bei einer offenen Reddit-Fragerunde mit Mitgliedern der Wahl-O-Mat-Jugendredaktion. Deren Antwort fällt ernüchternd aus: "Breitbandausbau befürworten eigentlich alle… Andere Themen in diesem Bereich sind häufig zu komplex für eine Wahl-O-Mat-These, gerade wenn man bedenkt, wie wenig Hintergrundwissen der Durchschnittsbürger häufig hat." Es fehlt somit die Kontroverse in den Wahlprogrammen der Parteien.

Immerhin, digitalpolitische Fragen nehmen in diesem Jahr deutlich mehr Platz ein. Das lobt explizit Bitkom, ein Verband von 2500 Unternehmen der digitalen Wirtschaft. "Bei vielen Vorhaben fehlt es jedoch noch an konkreten Ansätzen, zum Beispiel welche Projekte genau in welcher Zeit, wie und mit welchen finanziellen Mitteln umgesetzt werden sollen", sagt Bitkom-Präsident Achim Berg. "Auch einige wichtige Zukunftsthemen finden bislang kaum Erwähnung, darunter sind Künstliche Intelligenz, Blockchain und Smart City."

Zwar setzen die Parteien einen unterschiedlichen Fokus, eine richtige Kontroverse gibt es aber ausgerechnet bei der Frage, wer den digitalen Wandel in Deutschland politisch verantworten soll. Die FDP fordert die Einrichtung eines Digitalministeriums, die Union einen Staatsminister für Digitalisierung im Bundeskanzleramt sowie einen Kabinettsausschuss Digitalpolitik und die Einberufung eines Nationalen Digitalrats. Die Grünen setzen sich dafür ein, dass das Thema Digitalisierung besser koordiniert wird und im Kabinett eigenständig vertreten ist. Bitkom-Präsident Berg befürwortet in jedem Fall eine zentrale Zuständigkeit für die Digitalisierung. "Die Einrichtung einer solchen Digital-Institution macht aber nur Sinn, wenn sie über die notwendigen Rechte und Ressourcen verfügt."

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"Man hat sich in Deutschland darauf geeinigt, dass man Digitalisierung gut findet", analysiert Nico Lumma, Sprecher der netzpolitischen Denkfabrik D64, die Situation. Auch er bemängelt jedoch, dass darüber hinaus zu wenig passiert. Zwar wollten alle einen bundesweiten Glasfaserausbau, aber niemand packe es ausreichend an. "Das zeigt welchen Stellenwert die Digitalisierung in unserer Gesellschaft hat. Hinzu kommt noch das Problem, dass die Digitalisierung eine schlechte Lobby in der Öffentlichkeit hat." Laut Lumma müsste die Kreativwirtschaft eine der treibenden Kräfte sein. Doch die Vielzahl an Kunst- , Kultur- und IT-Unternehmen könnten ihre vielen unterschiedlichen Interessen nicht auf einen Nenner bringen. "Die Kreativwirtschaft agiert zu kleinteilig", sagt Lumma. "Im Vergleich mit der Schlagkraft der Automobilbranche ist das nichts." Andere Teile der Wirtschaft seien untereinander kompromissfähiger.

(dafi)
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