Interview mit Twitter-Manager Rowan Barnett "Deutsche fassen sich gerne kurz"

Düsseldorf · Eine Welt in 140 Zeichen. Vor zehn Jahren startete der Kurznachrichtendienst Twitter seinen Siegeszug um die Welt. Heute zwitschern weltweit 320 Millionen Menschen. Doch in Deutschland sind die Nutzerzahlen im Vergleich zum Heimatmarkt USA eher mau. Was tun? Wir sprachen mit dem Deutsch-Engländer und früheren "Bild"-Journalisten Rowan Barnett, Deutschland-Chef für Marktentwicklung und Medien bei Twitter.

Herr Barnett, wie würden Sie Twitter in 140 Zeichen zum Geburtstag gratulieren?

Barnett Danke @jack, dafür dass Du mit Twitter jedem Menschen auf der Welt eine Stimme gegeben hast. #LoveWhereYouWork #10moreyears

Warum wurde der Tweet genau auf 140 Zeichen begrenzt?

Barnett Twitter begann auf mobilen Geräten als ein SMS-basierter Nachrichtenservice, der es Menschen ermöglichte, alles zu senden, was gerade passierte. Twitter hat sich von Anfang an auf 140 Zeichen beschränkt, da SMS-Nachrichten zu diesem Zeitpunkt nur Raum für 160 Zeichen ließen. So blieben für den Nutzernamen noch 20 Zeichen und längere Nachrichten mussten nicht aufgeteilt werden.

Rowan Barnett ist Deutschland-Chef für Marktentwicklung und Medien bei Twitter.

Foto: Twitter

Hat ein Tweet schon mal die Welt verändert?

Barnett Ein einzelner Tweet oder ein Hashtag kann zumindest eine wichtige gesellschaftliche Debatte in Gang setzen. Twitter spielt in vielen sozialen Bewegungen eine zentrale Rolle. Ausdruck findet dies oft in entsprechenden Hashtags, wie #blacklivesmatter im Jahr 2014, besonders rund um Ferguson, wie #bringbackourgirls oder wie die Debatten um #aufschrei oder #ausnahmslos in Deutschland. Als 2009 ein Flugzeug auf dem Hudson River landete, der Nutzer Janis Krums es fotografierte, sofort twitterte und anschließend das Foto um die ganze Welt ging, wurde deutlich, dass wir eine Plattform entwickelt hatten, auf der eine einzelne Person Informationen mit der ganzen Welt teilen kann. Aber Tweets können auch Leben retten. Als Paris attackiert wurde, und Menschen suchten nach einem sicheren Ort, haben Parisiens mit dem Hashtag #PortesOuvertes ("geöffnete Türen") getwittert und ihre Adresse bekanntgegeben, sodass Menschen Zuflucht finden konnten.

Was ist der kurioseste Tweet, den Sie je gelesen haben?

Barnett Das liegt ja immer im Auge des Betrachters. Humor spielt eine ganz wichtige Rolle bei Twitter. In die Kategorie "kurios" gehört für mich auf jeden Fall beispielsweise dieser von @hartweizenhirn: "Ich spiele nun seit 3 Stunden Flaschendrehen mit meinem Hamster. Er hat nur noch Socken an." Einer der lustigsten Tweets, aber nicht so sehr für mich als Engländer, war als England gegen Italien bei der EM 2012 in Elfmeterschießen ausgeschieden ist. Der Tourismusverband "Visit England" twitterte Folgendes: "England lose on penalties. For more on our culture and traditions go to http://www.visitengland.com ;)"

Haben Sie schon mal einen Tweet von sich gelöscht?

Barnett Grundsätzlich verfahre ich immer nach dem Prinzip: Würdest Du diesen Tweet auch jederzeit Deiner Frau, Deiner Mutter und Deinem Chef zeigen können, ohne es hinterher zu bereuen? Dann fährt man einen ziemlich sicheren Kurs auf Twitter. Aber den einen oder anderen habe ich auch hinterher gelöscht, als ich selber merkte, dass es nicht witzig war!

Wie verhindern Sie Fake-Konten und die Verbreitung von Gerüchten, Lügen und Propaganda?

Barnett Wir verurteilen generell jede missbräuchliche Nutzung von Twitter. In den Twitter-Regeln ist klar formuliert, dass wir dieses Verhalten nicht zulassen. Unsere Bemühungen, den Missbrauch zu verhindern, werden ausgeweitet und fortgesetzt. Wir haben unser Team, das diesen Hinweisen nachgeht, deutlich aufgestockt. Wir haben unsere Reaktionszeiten deutlich verringern können und über 125.000 Konten inzwischen gesperrt. Wir untersuchen auffällige Profile und nutzen selbst entwickelte Tools beispielsweise für das Aufspüren gewalttätiger Inhalte. Mit jedem einzelnen Produkt-Update beschäftigen wir uns damit, wie wir das beste Medienerlebnis bei gleichzeitig hohen Sicherheitsstandards bieten können. Wir passen unsere Richtlinien zum Schutz der Community an, wir verbessern die Reporting-Prozesse. Mit der Einführung von Stummschalten, Blocken, Reportings — wir wollen die sicherste Echtzeit-Kommunikationsplattform der Welt werden bzw. bleiben.

In Deutschland nutzen nur verhältnismäßig wenige Menschen Twitter, vor allem Politiker, PR- und Medienleute. Können die Deutschen sich nicht kurz fassen?

Barnett Ich kann diese Einschätzung nicht teilen. Der Eindruck unter Journalisten, dass es nur Medienleute auf Twitter gibt, entsteht dadurch, weil sie fast ausschließlich Journalisten auf Twitter folgen! Wenn man außerhalb der eigenen Blase schaut, sieht man, die deutsche Twitter-Welt ist lebendig, vielfältig und bunt. Twitter wächst seit Jahren stetig in Deutschland und hat sich als digitaler Ort des Weltgeschehens und Interessensnetzwerk vor allem in den Bereichen wie Sport und Unterhaltung, Politik und Weltgeschehen, Kultur und Netzthemen, fest etabliert. Und für viele Menschen ist es ein unverzichtbarer Bestandteil ihrer alltäglichen Mediennutzung. Und ja, Deutsche mögen es, sich kurz zu fassen — in der Kürze liegt die Würze.

Die Zahl der aktiven Nutzer stagniert. Wie wollen Sie dem entgegenwirken?

Barnett Wie kürzlich vermeldet, sind auch die internationalen Nutzerzahlen wieder steigend. Monatlich haben wir aktuell weltweit 320 Millionen aktive Nutzer, insgesamt erreichen wir sogar über 800 Millionen. Natürlich wünschen wir uns auch mehr neue Nutzer. Die starke mediale Präsenz von Twitter ist sicherlich ein zweischneidiges Schwert für uns. Einerseits steigert das unsere Sichtbarkeit, gleichzeitig gibt es dann aus Sicht vieler Nutzer gar keinen Grund mehr, sich auf der Plattform anzumelden. Wir müssen nachweisen, dass der persönliche Mehrwert für mich als registrierter Nutzer höher ist, als Tweets passiv über die Medien zu konsumieren. Wir müssen Barrieren abbauen und es vor allem Einsteigern einfacher machen, sich auf Twitter zurechtzufinden. Wenn uns das gelingt, werden wir auch wieder viele neue Nutzer begeistern. Darum geben wir an der Produktfront gerade richtig Gas.

Was sind Ihre Pläne, um gegen Facebook, Google und Messenger-Apps bestehen zu bleiben?

Barnett Twitter hat in den vergangenen zehn Jahren das Produkterlebnis entscheidend weiterentwickelt. Was mit 140 Zeichen Text begann, ist sukzessive um Fotos, GIFs, Umfragen und Videos bis hin zu Live-Video gewachsen. Und wir wollen weiter unsere Stärke als Live-Plattform ausbauen. Wir haben mit Periscope eine unfassbar spannende Live-Streaming-Technologie, die es jedem ermöglicht, live auf Sendung zu gehen und zu entdecken, was und wer gerade live in der Welt ist. Die App geht gerade in vielen Ländern durch die Decke, und auch in Deutschland sind wir sehr zufrieden mit dem Wachstum. Stars wie Jan Böhmermann, Joko Winterscheidt oder Rea Garvey nutzen Periscope und lassen ihre Fans ganz nah an sich heran. Neben der Weiterentwicklung von Periscope verfolgen wir einen langfristig angelegten Fahrplan, um Twitter kontinuierlich weiterzuentwickeln und zu verbessern. Alle neuen Funktionen, Updates und Maßnahmen zahlen darauf ein, die Plattform noch einfacher, persönlicher und interessanter zu machen.

Mit Rowan Barnett sprach Michael Bröcker.

(mic)