Frostpunk 2 Ein großartiges Spiel, doch die Welt überzeugt nicht

Analyse | Düsseldorf · Als 2018 Frostpunk herauskam, wurde das überaus schwere Aufbau- und Strategiespiel schnell zu einem Erfolg – an dem viele verzweifelten. Nun erscheint der Nachfolger. Und der ist noch schöner, noch besser und immer noch schwer. Aber: Die Welt und ihre Story können nicht überzeugen.

Die meiste Zeit in Frostpunk 2 verbringt man in der Stadtansicht.

Foto: 11bitstudios

Als das Spiel Frostpunk des polnischen Entwicklers „11 bit studios“ erschien, konnte es Millionen für sich gewinnen. Es begann schon mit dem Setting. In Großbritannien des späteren 19. Jahrhunderts florierte die Gesellschaft. Dampfmaschinen und Kohle samt unhistorischer und futuristischer Erfindungen wie gewaltige Arbeitsroboter ließen das Land erblühen. Doch dann kam es zu einer Naturkatastrophe. Die globalen Temperaturen fielen rapide unter null Grad. Die Welt verwandelte sich rasant in eine Wüste aus Eis und Schnee. Und in Frostpunk übernimmt der Spieler die Führung einer kleinen Gruppe, die um ihr Überleben kämpft. Die Ressourcen sind knapp und es mangelt ständig an allem. Dennoch muss man für ausreichend Nahrung und Wärme sorgen.

Was baut man zuerst? Wo ist der größte Bedarf? Und die wenigen Arbeiter kann man nicht dauerhaft in Doppelschichten arbeiten lassen. Wie geht man mit den Leichen um? Oder mit Kranken? Alten und Kindern? Dazu kommen diverse Ereignisse, auf die der Spieler reagieren muss. Und man erlässt Gesetze für die kleine Gruppe. Die haben auch Effekte. Aber nicht immer sind die positiv. Und es droht noch ein gewaltiger Eissturm, bei dem die Temperaturen weiter fallen werden.

Frostpunk hat selbst erfahrene Spieler zur Verzweiflung getrieben. Das Scheitern, ein Neustart und ein weiterer Versuch sind Teil des Spielprinzips. Bis man es tatsächlich schafft, die kleine Siedlung durchzubringen.

Nun kommt der Nachfolger „Frostpunk 2“. Und am Grundprinzip hat sich nicht viel verändert. Nach 30 Jahren ist aus der Siedlung eine Kleinstadt mit mehreren Tausend Bewohnern geworden. Statt einzelner Fabriken errichtet man nun ganze Anlagen. Die Wege werden automatisch erstellt und nicht mehr wie im ersten Teil noch selbst gebaut. Das wäre angesichts der vielen Bewohner auch nicht praktikabel gewesen. Immer noch geht es um diverse Ressourcen, die weiterverarbeitet werden können. Die Erde ist nach wie vor eine Eiswelt. Neu ist aber, dass man nun auch Kolonien und weitere Siedlungen an Standorten mit großen Ressourcenvorkommen etablieren kann. Das führt zu einem Wirtschaftskreislauf, den der Spieler zusätzlich managen muss. Denn in den Dependancen fehlt immer etwas, was man aus der Stadt oder anderen Kolonien liefern kann.

Die größte Neuerung indes ist das politische System. Es gibt mehrere Fraktionen in der Stadt wie die Frostländer, die sich nach Jahrzehnten der Kälte an die Gegebenheiten und die neue Welt angepasst haben – und das weiter vorantreiben wollen. Die Ordnungshüter sehen in einem eher autokratischen System die Lösung. Und die Neu-Londoner setzen auf Innovationen und Technik, um das Überleben zu sichern. Daraus spalten sich dann mit der Zeit extremere Splittergruppen ab. Und zwischen denen sucht man den Ausgleich, damit es nicht in einen Aufstand oder einer Revolution ausartet. Das schafft neue Probleme, die man lösen muss.

Screenshot unserer Stadt in Frostpunk 2.

Foto: Screenshot/Jovanovic

Neben dem Ressourcenmangel oder akuten Bedürfnissen der Bewohner oder den gewaltigen Eisstürmen, die es immer noch gibt. Die bekannte Ratlosigkeit kommt wieder auf, wenn der Spieler plötzlich am liebsten drei oder vier Dinge tun möchte – sich aber nur eine Sache leisten kann. Oder man hat der Bevölkerung etwas versprochen und es gibt sogar eine Lösung. Die bekommt man aber im Rat nicht durch und muss Zugeständnisse machen – was einen zu Dingen verpflichtet, die man gar nicht tun möchte. Man sollte das Versprechen halten. Man kann es aber auch ignorieren. Wie war das mit den politischen Spannungen? Ach ja, seltsamerweise werden die Fraktionen sauer, wenn man sich nicht an die Abmachung hält.

Fangen wir mit dem Positiven an: Das Spiel ist noch komplexer und herausfordernder geworden. Gleichzeitig wird die Bedienung zugänglicher. Zumindest meistens. Manchmal überdeckt eine Textbox ein Geländefeld, das man nicht anklicken kann. Oder ein Auswahlfeld für eine Option wirkt zwar groß, aber der Bereich zum Anklicken ist tatsächlich sehr viel kleiner und man klickt mit der Maus ins Leere. Das sind aber Kleinigkeiten angesichts der Grafik. Und die ist großartig und immersiv. Alles wirkt lebendig und echt. Wenn dann noch das exzellente Sounddesign und die hervorragende musikalische Untermalung einsetzen, zieht „Frostpunk 2“ den Spieler förmlich in die Welt. Also hat „11 bit studios“ alles richtig gemacht und tatsächlich ein besseres Spiel geschaffen? Das hängt davon ab.

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Foto: Square Enix

Technisch und spielmechanisch gibt es nur eine Antwort: ja. Auch was die Herausforderung und die Vielzahl der Probleme samt den erforderlichen Entscheidungen angeht, ist es im Vergleich zum Vorgänger das bessere Spiel. Wenn man sich nur darauf beschränkt, gibt es nicht viel daran auszusetzen. Bis auf ein paar Kleinigkeiten, die aber vernachlässigbar sind. Und Patches werden da in Zukunft noch das eine oder andere besser machen.

Und wo liegt dann die Enttäuschung? Im ersten Teil ging es nur um das Überleben einer kleinen Gruppe. Man konnte tatsächlich sehen, wie sich Menschen zu ihren Arbeitsplätzen schleppten. Und das sorgte für eine intensive Erfahrung. Die Siedlung war nicht gesichtslos. Es war nicht anonym. Das ist die Welt aber leider in „Frostpunk 2“. Events oder Hinweise mit sehr schön gezeichneten, detailreichen Gesichtern der Menschen versuchen das aufzufangen. Aber über die meiste Zeit sehen wir Gebäude und animierte Lichter großer Anlagen. Lichtstreifen huschen über die Straßen, um Bewegung und Dynamik vorzugaukeln. Über weite Strecken bleiben die Bewohner indes gesichtslos.

Das ist eine Kleinigkeit, aber das grundlegende Problem dahinter zieht sich durch das Spiel. Die Fraktionen sind nur Gruppen. Es gibt keine Fraktionsführer, mit denen man interagiert. Keine Menschen mit Charakter, die für ihre jeweilige „Partei“ sprechen. Es ist eine amorphe Masse, die gewisse Ansichten vertritt. Und das ist angesichts der Detailliebe der Gesichter bei den Events enttäuschend. Aber am Ende auch egal. Der Spieler weiß in etwa, wofür die Gruppen stehen. Es spielt aber im Verlauf des Spiels keine Rolle. Man sucht einen politischen Ausgleich. Man sieht, welche Gruppe welches Gesetz gut findet. Um mehr geht es jedoch nicht.

Wer genau wofür steht, wird schnell belanglos. Die Fraktionen könnten auch „Rot“, „Gelb“ und „Blau“ heißen und nach dreifach oder einfach gebundenen Knoten verlangen – es würde keinen Unterschied machen. Wir hätten uns da mehr Erklärung oder Herleitung gewünscht. Was genau vertreten die Frostländer? Was meinen sie mit Anpassung? Warum gibt man ihnen keinen besseren Namen wie „Darwinisten“? Das hätte bereits für mehr Tiefgang gesorgt. Das Spiel hätte eine Basis schaffen können, zu der wir uns verhalten und positionieren können. Vielleicht sogar etwas, für das wir sein können. So aber reden wir über gesichtslose Fraktionen, die eben nur etwas verlangen. Und vor allem möchte jede Gruppe etwas anderes. Es muss eben einen Konflikt geben. Das will das Spiel so und dem hat sich alles unterzuordnen. Auch wenn es künstlich und erzwungen ist.

Bei den Gesetzen selbst gibt es nur die Wahl zwischen verschiedenen Optionen. Der Spieler kann keinen Kompromiss herstellen, indem er beispielsweise etwas aus Vorschlag A wählt und mit Vorschlag B verknüpft. Es zählt das absolute „Dafür“ oder „Dagegen“. Und das wird von einer Gruppe als „gut“ befunden. Und von der anderen für „schlecht“. So funktioniert aber Politik nicht. Zumindest nicht, wenn es einen Rat und eine Art von Demokratie gibt, die einen Ausgleich sucht. Das alles wurde als Spielmechanik eingeführt, aber nicht als Weiterentwicklung der Welt oder Geschichte. Und das macht es nicht sonderlich immersiv. Das Problem hat auch das Spiel erkannt. Manchmal kann man Gesetze ein wenig lockern. Das ist dann der Kompromiss, den man von Anfang hätte herstellen können. Wenn es „Frostpunk 2“ erlauben würde.

Und je mehr wir über das Spiel nachdenken, desto mehr fällt uns eins auf: Das Worldbuilding funktioniert nicht. Es gibt zunächst drei Fraktionen, dann später noch mehr über die extremeren Gruppen. Und deren Zustimmung in der Stadt diktiert die Sitzverteilung im Rat. Von Zauberhand. Wahlen gibt es nicht. Plötzlich ist da eine neue Partei mit vier Prozent Zustimmung und die hat dann auch vier Sitze im Rat. Sofort.

Und trotz der demokratischen Idee eines Rates wird eine Person nie gewählt: der Spieler als Vorsteher oder Stewart. Der wurde irgendwie auf Lebenszeit oder bis zur Absetzung ernannt. Es gibt zudem auch nach 30 Jahren keine Verfassung oder zumindest Grundregeln. Wie geht man mit Kindern um? Das entscheiden wir in „Frostpunk 2“. Wie geht man mit Leichen um? Das entscheiden wir jetzt. Ähnliches mussten wir im Vorgänger tun. In 30 Jahren aber wurden keine grundlegenden Artikel oder Gesetze formuliert? Das ist alles nicht sehr überzeugend. Aber es ist gut für das Spiel, weil man das selbst entscheiden kann.

Und warum wollen die Fraktionen, denen man vor den Kopf stößt, lieber alles niederbrennen und das Überleben aller gefährden, statt sich in einer der Kolonien niederzulassen? Mit dem Zugeständnis, dort eine Gesellschaft nach ihrer Vorstellung aufzubauen? Ganz einfach: Das Spiel sieht das nicht vor. Die Entwickler haben sich Mechaniken und Prinzipien für „Frostpunk 2“ überlegt. Und dann erst wurde eine Welt und eine Gesellschaft geschaffen, die irgendwie dazu passt. Damit aber ist nichts daran überzeugend oder tatsächlich organisch gewachsen. Es ist oberflächlich, ohne Tiefgang und führt zu Brüchen. Oder man ist erfüllt vom Kulturpessimismus und der Überzeugung, dass die Welt schlecht sei. Dann ergibt es Sinn, dass am Ende jeder gegen jeden steht. Sonderlich differenziert, tiefgründig oder historisch reflektiert ist das nicht.

Das Spiel will den Konflikt und zumindest im Kampagnen-Modus zwingt „Frostpunk 2“ uns den auch auf. Beim Wechsel zum zweiten Kapitel beispielsweise muss der Spieler ohne Not oder einen Grund eine Entscheidung treffen. Welche Gruppe will man unterstützen? Auch das entsteht nicht aus der Welt heraus oder der Story. Die Entwickler fordern es. Warum? Damit das Spiel passieren kann. Und damit entwertet man das eigene Konzept und die eigenen Ideen. Im ersten Teil war die Story simpel. Alles war vereist und wir wollten mit unserer kleinen Gruppe überleben. Nun aber sollte eine komplexere Welt geschaffen werden. Und das ist leider nicht gelungen. Nur die Mechaniken sind komplexer geworden.

Man sollte uns nicht falsch verstehen: „Frostpunk 2“ ist kein schlechtes Spiel. Im Gegenteil: Es ist tatsächlich sehr gut geworden. Und es ist motivierend, nach einer Lösung für die Probleme zu suchen, vor denen man gestellt wird. Aus der Story indes kommt die Motivation nicht. Wir haben uns im Laufe des Spiels viele Texte bei den Events darum gar nicht mehr ganz durchgelesen. Es war uns egal, weil uns die Welt buchstäblich kaltließ. Wichtig war nur noch, was wir erreichen oder lösen müssen. Und das ist schade. Ein Spiel mit einer so starken Grundidee hätte mehr verdient. Darum bleiben wir gespalten. Wir sehen ein großartiges „Frostpunk 2“ – und sind doch enttäuscht.