"FPV-Racing" Drohnen-Rennen: Dank 3D-Brille mittendrin statt nur dabei

Neuss/Geldern · Mit zivilen Drohnen kann man nicht nur Luftbilder machen, sondern auch Rennen fliegen. Ich-Perspektive, Bordkamera und 3D-Brille sei Dank. 5000 Deutsche üben sich bereits darin – ein Düsseldorfer tritt sogar als Profi in den USA an.

Mit zivilen Drohnen kann man nicht nur Luftbilder machen, sondern auch Rennen fliegen. Ich-Perspektive, Bordkamera und 3D-Brille sei Dank. 5000 Deutsche üben sich bereits darin — ein Düsseldorfer tritt sogar als Profi in den USA an.

Vor zwei, drei Sekunden noch saßen die Brüder Jean-Michel und René Kneisel entspannt am Boden, auf Campingstühlen am Rand einer Wiese neben dem Baumarkt in Neuss-Allerheiligen — aber zwei, drei Sekunden sind eine lange Zeit. Genug für einem Senkrechtstart, einen Looping quasi auf der Stelle und eine Rolle. Nun jagen sie einander mit Karacho um Fahnenmasten herum und durch kleine Torbögen.

Die Piloten verfolgen das nicht wie üblich aus der Ferne vom Boden. Sie sind mitten im Geschehen: Die Wolken rasen oben an ihnen vorbei, der Rasen unten (oder andersrum), ständig setzt sich einer vor den anderen und damit direkt in dessen Blickfeld. Der Horizont steht nie still wie in einem überdrehten Video-Rennspiel.

 Schneller, leichter, bunter: Stefan Stranz und Jean-Michel Kneisel vergleichen ihre Eigenbauten.

Schneller, leichter, bunter: Stefan Stranz und Jean-Michel Kneisel vergleichen ihre Eigenbauten.

Foto: Jochheim

Ihre Fluggeräte haben die Mittzwanziger selbst gebaut, mit winzigen Schräubchen und Schweiß auf der Stirn, den Spannungsmesser im Anschlag. An den vier Enden eines x-förmigen Rahmens aus Kohlefaser, kaum größer als ein Taschenbuch, sitzt je ein Elektromotor mit nach obem gerichteten, grellbuntem Plastikpropeller. Dazwischen ein Akku, Platinen, LED-Birnchen, Antennen und jede Menge Kabel — auf eigene Faust zusammengestellt aus verschiedenen Online-Shops.

Wie Alien-Raumschiffe, jenseits von Schwerkraft und Trägheit

Ganz offensichtlich war ihre Bastelei erfolgreich: Wie Alien-Raumschiffe jagen die Eigenbauten sirrend und piepend durch die Luft, ungleich agiler als ferngesteuerte "normale" Helikopter oder Flugzeuge, als würden die Gesetze von Schwerkraft und Trägheit für sie nicht gelten. Weil die Piloten das Risiko suchen, vergeht auch kaum ein Flug ohne Absturz — durch Kollision miteinander, mit einem der Torbögen aus Plastik-Abflussrohren und Klebeband oder schlicht mit dem Boden.

Wenn das passiert, verziehen die Brüder nur kurz das Gesicht, setzen ihre 3D-Brillen ab und erheben sich von ihren Campingstühlen. Streichen durch das fast hüfthohe Gras, bis sie ihre "Quadrocopter" gefunden haben, prüfen alle Steckverbindungen, tauschen vielleicht einen der Propeller aus und pulen sorgsam Grashalmreste von den Geräten. Vor allem von den Kameras, die nur zehn Gramm wiegen und ihr Bild in Echtzeit auf die 3D-Brillen übertragen — und so dafür sorgen, dass sich die Brüder fühlen, als säßen sie direkt an Bord der bis zu 100 km/h schnellen und weniger als ein Pfund leichten Geschosse.

 Das Wichtigste neben dem "Multicopter" selbst: 3D-Brille und Fernsteuerung. Beim "Pilotensessel" kommt es eher auf Bequemlichkeit an als aufs Design.

Das Wichtigste neben dem "Multicopter" selbst: 3D-Brille und Fernsteuerung. Beim "Pilotensessel" kommt es eher auf Bequemlichkeit an als aufs Design.

Foto: Jochheim

Jean-Michel, genannt Jonny, ist 25 Jahre alt und Azubi zum Elektroniker für Betriebstechnik. Er ist weniger Nerd und mehr Normal-Neusser, anzutreffen im Schützenvereinsheim und im Fitnessstudio wie so viele, doch nach seinem Lieblingshobby hat er 15 Jahre lang vergeblich gesucht, weil es schlicht noch nicht existierte. Als Schüler hatte er sich am Basteln von Plastikmodellen versucht und virtuelle Helikopter am Computer gesteuert, doch sein Interesse daran erlahmte schnell. Ferngesteuerte Modellflugzeuge mit Benzinmotoren faszinierten ihn, blieben aber finanziell unerreichbar. Auch motorisierte Modellautos sprengten sein Budget.

Zum FPV-Fliegen mit den Multicoptern brachte ihn schließlich sein Bruder René (23). "Ich liebe es draußen zu sein, aber auch Technik und zocke gern mal an der Konsole", sagt der. "FPV-Racing ist die perfekte Kombination aus allem!" Wenige Wochen nach René legte sich auch Jonny das nötige Material zu, seit Anfang des Jahres sind die beiden zusammen unterwegs, sobald sie das Wetter lässt. Noch vor zwei Jahren sei die Ausrüstung für Normalverdiener "unbezahlbar" gewesen, sagt das Duo, heute koste eine Einsteiger-Komplettausrüstung nur noch rund 500 Euro.

Wird das der erste neue, große Sport des 21. Jahrhunderts?

"Die Preisskala ist aber nach oben offen", ergänzt Franz Arians (51) lachend. Wie viel der Kaufmann aus Geldern selbst schon in das extravagante Hobby investiert hat, weiß er nicht. "Ich habe nie nachgezählt — und tue das auch besser nicht." Sechs Copter fliegt er regelmäßig, der siebte und achte sind im Bau. Sein Team "Knallkoppter" hat eine Pferdewiese in der Nähe zur Rennstrecke umfunktioniert, farbige Hütchen und Hindernisse inklusive. Regelmäßig fliegt er auch im noch meist menschenleeren Walbecker Freibad, zwischen den Fahnenmasten der Fußballgolf-Strecke und durch Windmuscheln, die sie als Tore zweckentfremdet haben. Die Verantwortlichen dort trauen den Piloten, die betonen, dass es doch in ihrem eigenen Interesse sei, niemanden zu erschrecken oder gar zu gefährden. Jedem Piloten mit 3D-Brille steht (oder sitzt) ein "Spotter" zur Seite, der das gesamte Geschehen im Blick hat, Passanten inklusive.

Ähnliches passiert gerade auf Wiesen und Äckern überall in Deutschland. Rund 4.600 FPV-Racer sind allein über die Facebook-Gruppe "FPV Racer Germany" verbunden, wo sie einander geduldig bei Fragen zu "Turnigy 9xr Pro mit FrSky XJT Module" und "Naze32 10DOF Rev5 MPU6050 FC" helfen. Sie kommen aus Sylt und Kempten im Allgäu, aus Lübben im Spreewald und eben auch vom Niederrhein, aus Geilenkirchen, Grefrath, Geldern, Goch. In Duisburg haben sich die Sportler im "FPV Modellrennsport Ruhrgebiet e.V." organisiert — Programmierer, aber auch Klempner und Wachmänner.

 Der Düsseldorfer Malte Lynen (29) alias "XY.FPV" ist so gut, dass er in der amerikanischen "Drone Racing League" mitfliegt — als einziger Europäer.

Der Düsseldorfer Malte Lynen (29) alias "XY.FPV" ist so gut, dass er in der amerikanischen "Drone Racing League" mitfliegt — als einziger Europäer.

Foto: DRL

"Drohne" nennen Laien diese Geschosse oft — nicht direkt falsch, weil das schlicht ein Oberbegriff für unbemannte Luftfahrzeuge ist. Weil viele dabei aber an Militärgerät denken, das mit Raketen Terroristen (und Zivilisten) tötet, kämpfen die Kneisels darum, dass sich für ihr Spielzeug der Begriff "Multicopter" durchsetzt. Ein sehr deutsches Bedenken, das arabischen Scheichs und US-Amerikanern fern liegt, die auf der Suche sind nach dem ersten echten großen Sport des 21. Jahrhunderts, bei dem die Grenzen zwischen Analog und Digital verwischen. "Drone Racing" heißt es international schlicht, und fertig. Der Sportsender-Gigant ESPN wird die nächsten großen Rennen in New York City und Hawaii übertragen.

 Kleine Fingerbewegung, große Wirkung: Eine Art Bordcomputer übersetzt die Bewegungen der Fernsteuerungs-Knüppel in unterschiedliche Geschwindigkeiten für die Rotoren.

Kleine Fingerbewegung, große Wirkung: Eine Art Bordcomputer übersetzt die Bewegungen der Fernsteuerungs-Knüppel in unterschiedliche Geschwindigkeiten für die Rotoren.

Foto: Jochheim

Ein Düsseldorfer unter amerikanischen Profis

 Selbst ist der Mann: Jean-Michel "Jonny" und René Kneisel basteln nicht nur ihre Copter selbst, sondern auch die "Gates", durch die sie fliegen — aus Abflussrohren und Klebeband.

Selbst ist der Mann: Jean-Michel "Jonny" und René Kneisel basteln nicht nur ihre Copter selbst, sondern auch die "Gates", durch die sie fliegen — aus Abflussrohren und Klebeband.

Foto: Jochheim

Malte Lynen (29) steht zwischen diesen beiden Welten. Der Apotheker aus Düsseldorf fliegt erst seit einem Jahr, aber ist schon so gut, dass er zu Profi-Rennen der "Drone Racing League" (DRL) eingeladen wird — als einziger Europäer. Die Organisatoren waren über die Bilder auf ihn aufmerksam geworden, die er als "XY.FPV" bei YouTube, Facebook und Instagram zeigt. Die wirken meist wie per Zeitraffer nachbearbeitet — sind es aber nicht.

"In einem Wort ausgedrückt, ist FPV-Racing für mich Freiheit", sagt Lynen. Dem alten Menschheitstraum vom Fliegen will er persönlich damit aber nicht näher kommen. "Mich reizt das Rennen an sich, der Wettkampf, der Nervenkitzel." Autorennsport hat ihn immer fasziniert, die Formel 1 vor allem. Selbst mitfahren? Unmöglich. Als FPV-Racer hat er die Chance, zu einem der ersten Menschen zu werden, die den Rennsport buchstäblich in eine neue Dimension katapultieren. "In den USA kann schon heute zumindest eine Handvoll Piloten ihren Lebensunterhalt damit bestreiten", sagt Lynen, der Superstar Charpu etwa, dessen YouTube-Videos bis zu 1,5 Millionen Mal abgerufen werden. "Wer weiß, was in einem oder zwei Jahren ist?"

In Los Angeles ist Lynen gegen elf Gegner in standardisierten Coptern durch die in Neonfarben beleuchteten Korridore und rostigen Rolltreppen eines verlassenen Einkaufszentrums gejagt: die einen Kilometer lange Strecke bezwangen sie in einer Minute. Sein Lieblingsabschnitt: "Ein Fall aus dem Ersten Stock ins Erdgeschoss, bei dem man sich um 180 Grad drehen muss — eine vertikale Haarnadelkurve!" Zu sehen war davon bislang noch nichts: Das Geschehen wird noch nachbearbeitet, geschnitten, mit Musik hinterlegt und dann häppchenweise ins Netz gestellt. Lynen glaubt, dass das funktionieren kann, weil er den Aufwand dahinter aus erster Hand kennt: "Da waren 60, 70 Leute unterwegs, darunter unzählige Kameraleute."

Über die Höhe des Preisgelds schweigt die DRL, aber dass es nicht nur um die Ehre gegangen sein kann, liegt auf der Hand. Mitte März waren bei einem Drohnen-Rennen in Dubai eine Million US-Dollar ausgelobt. Ein Viertel davon bekam der Sieger, ein 15-jähriger Engländer. "Wir ziehen eine ganze Generation von Piloten heran", sagt Nicholas Horbaczewski, der Erfinder der US-Liga DRL. Er ist ein Träumer — aber einer mit Harvard-Abschluss, der für die DRL bereits acht Millionen Dollar Risikokapital eingeworben hat. Zuletzt hatte er den Hindernislauf "Tough Mudder" verwandelt — von einer abseitigen Idee in eine Event-Serie mit Millionen Teilnehmern weltweit.

Es hat also schon mal geklappt.

(tojo)
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