Corona-Leugner, Impfgegner, Querdenker Warum Telegram bei Verschwörungstheoretikern so beliebt ist
Die Mordpläne gegen Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer wurden via Telegram ausgetauscht, die Organisation lokaler „Querdenker“-Demonstrationen läuft fast nur darüber. Was steckt hinter dem Messengerdienst, der Verschwörungstheoretiker so anzieht?
Als Darknet für die Hosentasche wird die App inzwischen gehandelt, in Expertenkreisen sogar Terrorgram genannt: Der Messengerdienst Telegram, eine von einem russischen Start-up-Milliardär gegründete Handy-App erlangt derzeit zweifelhaften Ruhm. Zwar wird sie schon seit Aufkommen der „Querdenker“-Bewegung zu Beginn der Pandemie zum öffentlichen Austausch mithilfe von diversen Chatgruppen benutzt, doch mit der Verschärfung der Lage verschärft sich auch dort der Ton. Und zwar so, dass bereits die Innenministerkonferenz auf den Plan gerufen ist, der App juristisch beizukommen. Denn ganz offensichtlich werden via Telegram nicht mehr nur öffentliche Demos organisiert und koordiniert, sondern auch Straftaten begangen und geplant, Hasskommentare geteilt und Gewaltaufrufe gegen Politiker verbreitet – teils auch Anleitungen zum Waffenbau. Was macht Telegram für diese Kreise so attraktiv?
Was ist Telegram?
Telegram ist eine Messaging-App mit weltweit über 500 Millionen Nutzern, 100 Millionen mehr als noch vor einem Jahr. Seit 2013 können Verbraucher sie auf ihren Smartphones, Tablets oder dem PC installieren, Chatnachrichten austauschen, Anrufe starten und eine unbegrenzte Anzahl an Fotos, Videos und anderen Dateien senden und empfangen. Außerdem haben sie die Möglichkeit, Gruppen zu gründen und dort bis zu 200.000 Mitglieder aufzunehmen oder Kanäle zu erstellen, denen unbegrenzt viele Menschen folgen können. Telegram selbst bezeichnet das als eine Mischung aus „SMS und E-Mail schreiben zusammen“.
Was ist der Unterschied zwischen Whatsapp und Telegram?
Telegram ist – anders als Whatsapp – ein synchronisierter Cloud Messenger. Das heißt, die Nutzer können auf die App von verschiedenen Geräten aus zugreifen und unbegrenzt Dateien verschicken. Wenn sie von einem neuen Handy auf ihre alten Telegramchats zugreifen wollen, müssen sie nicht extra ein Backup machen – die Daten sind in der Cloud gespeichert. Außerdem sind die Gruppen größer: Während bei Whatsapp einer Gruppe nur 256 Leute beitreten können, sind es bei Telegram 200.000. Zudem bezeichnet sich das Chatprogramm auf seiner Webseite als „schneller und sicherer“ als Whatsapp. Das stimmt aber nur bedingt, denn der Messenger nutzt – im Gegensatz zu seinem Konkurrenten – keine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Das bedeutet: Dritte könnten auf die Telegram-Chats zugreifen, da sie nicht zwischen den Geräten der Kommunikationspartner ver- und wieder entschlüsselt werden.
Warum ist Telegram so beliebt bei Verschwörungstheoretikern?
Im Gegensatz zu Youtube oder Facebook löscht Telegram Falschmeldungen nicht und sorgt so dafür, dass sich Verschwörungstheorien ungehindert verbreiten können. Es gibt kein Team, das regelmäßig problematische Inhalte aussortiert. Das führt dazu, dass die Nutzer selbst entscheiden können, welche Inhalte im Chatprogramm bestehen bleiben. So kann Attila Hildmann ungestört Fake News verbreiten – über „Zwangsimpfungen“, über die „Firma BRD“ und die „Lügenpresse“. Er hat keine Konsequenzen durch die Chatplattform zu befürchten. Das gilt natürlich nicht nur für prominente Nutzer.
Wie können Nutzer mit Telegram Geld verdienen?
Über den Messengerdienst ist es auch möglich, Profit aus Falschmeldungen zu schlagen. Verschwörungstheoretiker können leicht Premium-Kanäle erstellen, die nur über ein Abonnement angeschaut werden können. Darüber können sie dann Shirts mit beliebten Sprüchen von Verschwörungstheoretikern vermarkten oder Bücher, die sie selbst geschrieben haben.
Was sagt die Verbraucherzentrale zu Telegram?
Die Verbraucherzentrale kritisiert, dass der Messengerdienst keine Datenschutzerklärung auf Deutsch verfasst habe. Auf ihrer Webseite vergleichen die Verbraucherschützer alle gängigen Messengerdienste miteinander. Bei Telegram sei aufgefallen, dass die App zwar die Angabe eines Vornamens fordere, aber nicht überprüft werde, ob dieser korrekt sei. Die Cloudfunktion sei zwar praktisch für Nutzer, die die App auf mehreren Geräten anwenden wollen, doch die Inhalte müssten verschlüsselt auf Servern gespeichert werden. Auch die fehlende Ende-zu-Ende-Verschlüsselung kreidet die Verbraucherzentrale Telegram an.
Was kann der Staat in Sachen Telegram tun?
Nicht viel, zumindest scheiterte bereits der Versuch des Bundesamtes für Justiz, das Unternehmen auf Grundlage des Netzwerkdurchsetzungsgesetz zum Löschen strafrechtlich relevanter Inhalte zu zwingen. Es ist schwer, an die Verantwortlichen ranzukommen: Seinen Sitz hat Telegram in Dubai. Das Unternehmen hat bislang nicht reagiert und bleibt damit der Linie treu, die sein russischer Gründer und Geschäftsführer Pavel Durov seit Jahren verfolgt. Auf eine Auseinandersetzung mit der iranischen Regierung angesprochen, schrieb er 2015 auf Twitter, Telegram habe bislang keine Vereinbarungen mit irgendwelchen Regierungen getroffen und plane auch nicht, dies in Zukunft zu tun.
In letzter Konsequenz bliebe damit theoretisch nur ein drastisches Mittel übrig: Apple und Google zu überzeugen, die Telegram-App nicht mehr zum Download anzubieten. Wer sie schon installiert hat, könnte darüber aber weiter kommunizieren.