Twitter unter Elon Musk Ein halbes Jahr im Krisenmodus

San Francisco · Twitter steckt seit der Übernahme durch Elon Musk in permanenten Turbulenzen. Zugleich drückt der Tech-Milliardär mit teils rechten politischen Ansichten dem Kurznachrichtendienst seinen Stempel auf. Eine Zwischenbilanz nach sechs Monaten.

 Twitter steckt seit der Übernahme durch Musk in permanenten Turbulenzen. Zugleich drückt der Tech-Milliardär mit teils rechten politischen Ansichten dem Kurznachrichtendienst seinen Stempel auf.

Twitter steckt seit der Übernahme durch Musk in permanenten Turbulenzen. Zugleich drückt der Tech-Milliardär mit teils rechten politischen Ansichten dem Kurznachrichtendienst seinen Stempel auf.

Foto: dpa/Jeff Chiu

Seit einem halben Jahr herrscht Tech-Milliardär Elon Musk über Twitter – und der Kurznachrichtendienst läuft seitdem in einem permanenten Krisen-Modus. Massenentlassungen, Abwanderung von Werbekunden, Streit mit Medien: Die Turbulenzen finden kein Ende. Für Musk war der 44 Milliarden Dollar schwere Twitter-Kauf bisher auch eine schlechte Investition.

Bei der jüngsten Ausgabe von Aktien an Mitarbeiter wurde der Firmenwert nur noch halb so hoch angesetzt, wie Musk in einem BBC-Interview bestätigte. Zugleich behauptete er in einer E-Mail an die Belegschaft, Twitter könne irgendwann 250 Millionen Dollar wert sein. Die Andeutungen, der Dienst könne die Basis für eine Super-App nach dem Vorbild etwa von WeChat in China werden, gingen bisher aber nicht über bloße Gedankenspiele hinaus. Aktuell hofft Musk nach dem Umsatzeinbruch durch den Abgang von Werbekunden auf mehr Abo-Erlöse. Zahlen muss Twitter seit Verlassen der Börse nicht mehr nennen.

Musk hat Twitter verändert. Eine große Umwälzung mit noch ungewissen Folgen für die Glaubwürdigkeit der Plattform lief gerade an: Die blauen Symbole, die einst einen von Twitter einwandfrei verifizierten Account auswiesen, wurden entfernt. Die genauso aussehenden Häkchen tragen jetzt stattdessen Profile, deren Besitzer 9,52 Euro Abo-Gebühr bezahlen. Eine echte Verifizierung gibt es nicht - außer, dass eine Telefon-Nummer angegeben und bestätigt werden muss.

Viele Prominente weigern sich, dafür Geld zu bezahlen. Deshalb verloren sie in der Nacht zum Freitag ihre alten Häkchen. Anders als etwa bei Facebook und Instagram sind ihre Twitter-Profile nicht mehr verifiziert, was zu Verwirrung bei Nutzer führen kann und den Weg für Fake-Accounts freimacht. Musk zahlte – warum auch immer – aus eigener Tasche die Abo-Gebühr für Basketball-Star LeBron James, Schriftsteller Stephen King und Schauspieler William Shatner. James und King ließen wissen, dass sie nichts damit zu tun haben, „Captain Kirk“ Shatner nahm dankend an.

Ausgerechnet Musk, der über Willkür bei der Vergabe der Häkchen im alten Verfahren schimpfte, das die Nutzer in „Lords und Bauern“ geteilt habe, entschied damit eigenmächtig, wer das Symbol entgegen einer angeblich für alle geltenden Regel behielt. Auch an anderer Stelle hielten seine Versprechen nur bedingt. So beschwor er stets eine „absolute Redefreiheit“, die es bei seinem Twitter geben solle. Mehrfach wurden jedoch Accounts von Journalisten für angebliche Verstöße gegen Twitter-Regeln gesperrt, weil sie Links zu ihren Artikeln posteten.

Unter der Fahne der Redefreiheit gibt es bei Twitter inzwischen aber mehr Raum für rechte Ansichten und Impf-Skeptiker - beides Überzeugungen, die Musk selbst vertritt. Zahlreiche Accounts, die wegen Hassrede oder der Verbreitung potenziell gefährlicher Unwahrheiten über das Coronavirus oder Impfstoffe blockiert waren, wurden wieder freigeschaltet. Auch den Account von Ex-Präsident Donald Trump, der nach Zuspruch für seine randalierenden Anhänger im Januar 2021 beim Sturm auf das Kapitol gesperrt wurde, ließ Musk nach einer knapp ausgegangenen Umfrage unter Twitter-Nutzern wieder freischalten. Trump blieb bisher aber lieber bei seiner hauseigenen Twitter-Kopie Truth Social.

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Foto: AFP/OLIVIER DOULIERY

Musk tritt als einflussreicher Verstärker rechter politischer Ansichten vor seinen rund 136 Millionen Followern auf, die sonst vielleicht viele dieser Tweets und Behauptungen nicht gesehen hätten. Er selbst warf zum Beispiel Medien vor, „rassistisch“ gegen Weiße zu sein und beschimpfte die Demokraten von US-Präsident Joe Biden als „Partei der Spaltung und des Hasses“. Einige Forscher kamen zu dem Schluss, dass Hassrede bei Twitter zugenommen habe. Musk wies dies im BBC-Interview vehement zurück. Die früheren Transparenz-Berichte veröffentlichte Twitter unter ihm aber nicht mehr.

Zugleich muss Twitter innerhalb rechtlicher Leitplanken agieren – und Regulierer haben Fragen. So ist der Dienst in den USA nach früheren Verstößen an Zusagen an die Verbraucherschutz-Aufsicht FTC gebunden. Laut US-Medienberichten gibt es Untersuchungen, ob Twitter sich daran hält. Musk habe versucht, Behördenchefin Lina Khan zu treffen, sei aber abgeblitzt, schrieb jüngst die „New York Times“.

In Deutschland löste ein Bericht, wonach Twitter die Reichweite von Musks Tweets zeitweise künstlich hochgeschraubt habe, Untersuchungen der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) aus. Musk bestritt zwar, dass es sich dabei um mehr als nur einen Software-Fehler handelte. Der von Twitter offengelegte Software-Code für einen Empfehlungs-Algorithmus zeigte aber, dass es für Musks Tweets eine eigene Kategorie gibt. In einem Livestream darauf angesprochen, sagte ein Twitter-Entwickler dazu, man wolle sichergehen, dass bei Änderungen niemand benachteiligt werde.

(grz/dpa)
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