"11 Freunde"-Chef Philipp Köster „Im Fußball gibt es eine teils unerträgliche Kumpelei“

Düsseldorf · Kann ein Sport-Magazin Erfolg haben, wenn es völlig ohne Fußball auskommen will? "11 Freunde"-Herausgeber Philipp Köster hat es probiert – und ist gescheitert. Im Interview spricht er über Fehler und verlorene Freude an der Fußball-WM.

 11 Freunde-Chefredakteur Philipp Köster.

11 Freunde-Chefredakteur Philipp Köster.

Foto: 11 Freunde

Fußball, Fußball, Fußball. Gerade jetzt, zur WM, dominiert der Volkssport Nummer eins die deutsche Medienlandschaft. Philipp Köster (46) profitiert vom Fußball-Erfolg: Er ist Chefredakteur und Herausgeber des Fußball-Magazins "11 Freunde". Doch im Sommer 2016 versuchte sich Köster an einem zweiten Projekt.

Unter dem Titel "No Sports" erschien ein Magazin, das thematisch alle Sportarten behandelte – nur kein Fußball. Nach nur zehn Ausgaben war im Frühjahr 2018 schon wieder Schluss. Im Interview spricht Köster über Fehler bei der Umsetzung von "No Sports", die Zukunft von "11 Freunde" und verlorene Vorfreude auf die Fußball-WM.

Herr Köster, können Sie die Fußball-WM überhaupt genießen, nachdem Sie gerade Ihr zweites Magazin "No Sports" einstellen mussten?

Philipp Köster "No Sports" ist der Beweis dafür, wie mühsam sich inzwischen die Arbeit der Zeitungsverlage gestaltet. Früher war es einfacher, so ein Magazin auf den Markt zu bringen. Da sind die Leute auch zum Kiosk gegangen und haben sich angeschaut, was es da Neues gibt. Das gibt es so heute vielleicht noch am Bahnhofskiosk, ansonsten sind Zeitungen und Zeitschriften vielfach aus dem Sortiment verschwunden. Für uns war es eine ernüchternde Erfahrung, ein neues Magazin an den Start zu bringen und bei seiner Einstellung zu begreifen, dass die meisten Leute nicht mal mitbekommen haben, dass es "No Sports" überhaupt gab.

Sie haben über Curling oder Radsport berichtet – aber nicht über Fußball. War das schon der eine große Fehler?

Köster Die Sportler und Vereine fanden die Konzentration auf die anderen Sportarten super. Wo in Deutschland hast du sonst schon die Chance, als Breitensportler so opulent gewürdigt zu werden? Wir haben in Deutschland kaum solche übergreifenden Sport-Magazine. Das Klagen darüber gehört genauso dazu, wie nichts zu tun, damit es besser wird. Es gibt zwar viele Leute, die sich für American Football oder Tennis oder Radsport interessieren, aber es gibt kaum Leute, die sagen: Ich kaufe solch ein Magazin, das über den Tellerrand blickt. Und die werbende Industrie sieht das genauso.

Also sind die Leute selbst schuld?

Köster Gott bewahre! Das waren schon unsere eigenen Fehler. Den Titel und seine Ironie haben zu wenige verstanden. Dann war sicher auch der Preis von 6,80 Euro zu optimistisch kalkuliert. Und von Beginn an hätten wir das Magazin druckvoller bewerben müssen. Da haben wir uns zu sehr auf die Triebkraft von "11FREUNDE" verlassen.

Wie viel hat gefehlt, um nach zehn Ausgaben trotzdem weiterzumachen?

Köster Wir haben das Projekt komplett aus der 11 Freunde-Redaktion heraus produziert. Wenn wir da 20.000 Hefte pro Ausgabe verkauft hätten, wäre das ein Erfolg für uns gewesen. Aber die Lücke zwischen den gewünschten und verkauften Heften war am Ende zu groß. Das drückt insbesondere bei einem kleinen Verlag wie uns auf Dauer arg auf die Laune.

Ihr "No Sports"-Konkurrent war das Magazin "Socrates". Was machen die anders, dass es sie immer noch gibt?

Köster Vielleicht beuten die sich noch einmal entschiedener aus als wir uns (lacht). Nein, keine Ahnung.

"11 Freunde" verkauft aktuell über 60.000 Hefte pro Ausgabe. Also lautet die Erkenntnis doch: Es geht nur über Fußball.

Köster Zunächst mal sind wir mit "11 Freunde" gut dabei, weil wir einen starken Abo-Stamm haben. Fast die Hälfte unserer Leser sind Abonnenten. Was wir anbieten, also ausführliche Reportagen, lange Interviews, eine spezielle Form von Humor, außergewöhnliche Fotos, bekommt man so auch nicht mal eben im Netz hinterhergeworfen. Ich bin mir deshalb auch sicher, dass liebevoll und mit Sinn für Qualität gemachte Magazine und Zeitungen eine gute Zukunft vor sich haben.

Für "No Sports" hat dieses Konzept nicht funktioniert. Was würden Sie stattdessen probieren?

Köster Die Frage ist nicht was, sondern wie. Man muss die Leute am Entstehungsprozess teilhaben lassen. Vielleicht sucht man sich in Zukunft erstmal 5000 Interessenten und Abonnenten und startet im Dialog mit den Leuten solch ein Projekt. Letztlich haben wir das mit "11Freunde" ja genauso gemacht. Die erste Auflage betrug 800 Exemplare und wurde aus der Wohnküche versandt. Vielleicht haben wir bei "NoSports" zu professionell gedacht.

Wann haben Sie gemerkt: Das wird nichts mehr?

Köster Am Anfang ist immer Euphorie. Die Erstausgabe gefällt allen und man kann sich gar nicht anderes vorstellen, als dass die ganze Welt es gut findet. Aber bei "No Sports" war nach der ersten Kioskmeldung klar: Das Projekt wird es schwer haben. Dann braucht es einen langen Atem, um überhaupt weiter zu machen, denn besser als die erste Ausgabe wird in der Regel erstmal kein Heft verkauft. Wirtschaftlich hätten wir auch nach drei, fünf oder acht Ausgaben dicht machen können. Aber als wir dann zu Olympia eine tolle Eishockey-Titelgeschichte hatten, die Nationalmannschaft zeitgleich sensationell die Silber-Medaille geholt hat und sich das Heft trotzdem nicht allzu gut verkauft hat, da war klar: Es geht nicht weiter.

Ein teures Missverständnis.

Köster Nee, nicht allzu teuer. Unsere Produktionsbedingungen waren kostensparend, wir hatten die Auflage reduziert. Das Projekt hat uns nicht ruiniert. Und wenn ich mir anschaue, wie viele großartige Geschichten wir in den zehn Ausgaben produziert haben, bin ich wirklich stolz auf unser Team. Aber es drückt eben auf die Stimmung, wenn das ganze Zeug niemand liest. Die Entscheidung, das Magazin einzustellen, war im übrigen eine Entscheidung aus der Redaktion, von Gruner & Jahr gab es in der ganzen Zeit nur Ermutigung, keinen Druck.

Sie haben angekündigt, die freigewordenen Kapazitäten in "11 Freunde" stecken zu wollen. Was stellen Sie sich darunter vor?

Köster Wir planen einen digitalen Bereich, in dem wir deutlich mehr als bisher lange Reportagen und Features anbieten. Klar ist aber auch: Wenn wir die Qualität des Heftes auch ins Digitale übertragen wollen, dann können wir das nicht umsonst machen. Es gibt überall eine starke Tendenz dazu, alles schneller und einfacher konsumierbar zu machen, bis hin zur Angabe der Lesedauer bei Artikeln. Ich glaube aber: Die Existenzberechtigung von Journalismus ist es, Qualität anzubieten. In Reportagen, Interviews, Kommentaren, Bildern, überall.

Was verstehen Sie denn unter Qualität im Sportjournalismus?

Köster Besondere Themen, überraschende Zugänge, neue Blickwinkel, aber auch gründliche Arbeit und saubere Quellenarbeit. Um mal bei 11FREUNDE zu bleiben: Wir haben für die kommende Ausgabe ein Jahr die Regionalliga-Saison von 1860 München begleitet und lange mit Philipp Lahm über seine Karriere gesprochen. Das ist zeitintensiv und die Zugänge für solche Geschichten sind immer schwieriger zu bekommen.

Ist das ein Sport- oder ein Fußball-Problem?

Köster Vor allem ein Fußball-Problem. Von manchen Vereinen wird man als kritischer Journalist behandelt wie ein Wegelagerer. Natürlich müssen Anfragen selektiert werden, aber es werden oft Medien bevorzugt, die ein positives Umfeld schaffen. Und dann gibt es ja mittlerweile professionelle Klub-Medien, die mit vermeintlichen Exklusiv-Interviews mit den eigenen Spielern oder Trainern werben. Das ist absurd.

Was macht für Sie den Unterschied zwischen klassischen Medien und Vereinssendern aus?

Köster Ich erwarte von Journalisten keine emotionslose, monotone Wiedergabe der Geschehnisse. Aber ich muss mich beispielsweise als Fußball-Kommentator bei einer WM nicht als größter Fan der deutschen Mannschaft präsentieren. Wie willst du Spielern kritische Fragen stellen, die du vorher als "unsere Jungs" abgefeiert hast? Gerade im Fußball gibt eine teils unerträgliche Kumpelei zwischen Sportlern, Offiziellen und Journalisten. Damit kommen wir einfach nicht weiter.

Aber der Fußball ist doch weiterhin eine Melkkuh. Beispielsweise für die WM gerade fließen die Gelder, die Fans konsumieren alles.

Köster Ich beobachte eine nachlassende Begeisterung für die WM. Wenn wir unsere Leute befragen, dann sind die genervt von der pathetische Überhöhung der Nationalelf als "Die Mannschaft". Keine Sau nennt die so. Und ganz generell: 2014 gab es ein flirrendes Gefühl, die Leute hatten Lust auf das Turnier, auf Brasilien als Gastgeber. Heute wissen die Leute teilweise nicht mal, wann das dritte deutsche Gruppenspiel oder in welchen Städten gespielt wird. Die Vorfreude gab es dieses Mal nicht.

Also wird der Fußball überhöht?

Köster Ja. Fußball hat eine Resonanz in der Öffentlichkeit, die mit nichts anderem vergleichbar ist. Fußball ist mittlerweile nicht mehr nur Volkssport sondern eine Art Ersatzreligion. Über Politik unterhält man sich heute nur noch hasserfüllt, die religiösen Milieus haben sich weitestgehend aufgelöst – was bleibt da noch? Fußball. Das tut dem Sport nicht gut.

(cbo)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort