Fleischkonsum 10 Gramm Fleisch am Tag – warum solche Werte nicht weiterhelfen

Analyse · Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung will ihre Empfehlung für den täglichen Fleischverzehr neu berechnen. Dabei könnten sehr geringe Mengen herauskommen. Warum das der falsche Weg ist.

Die Bratwurst schmeckt vielen und gehört zum deutschen Kulturgut - umweltverträglich wäre es, sie nur selten zu verzehren.

Die Bratwurst schmeckt vielen und gehört zum deutschen Kulturgut - umweltverträglich wäre es, sie nur selten zu verzehren.

Foto: dpa/Martin Schutt

Zehn Gramm Fleisch am Tag. Diese Zahl ist öffentlich geworden, weil die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) ihre Empfehlungen für den täglichen Verzehr einzelner Lebensmittel anpassen will und dafür gerade neue Berechnungsmethoden entwickelt. Künftig soll es bei den Ernährungsempfehlungen nicht mehr nur um die Frage gehen, was gut ist für den Körper, sondern auch darum, was gut ist für das Klima, für eine vielfältige Landwirtschaft, für die Zukunft des Planeten. Oder wie es bei der DGE heißt: Ein mathematisches Optimierungsmodell solle Aspekte aus Gesundheit, Umwelt und Soziales integrieren. Das bedeute, dass neben Ernährungs- und Gesundheitsaspekten Kriterien für Umwelt- und Klimaeffekte wie Treibhausgasemissionen berücksichtigt werden sollen. Die Empfehlung der DGE ist für niemanden zwingend, aber für Bürger und Experten wie Ernährungsberater und öffentliche Stellen ein maßgeblicher Orientierungswert. Bisher liegt er beim Fleischverzehr bei 300 bis 600 Gramm pro Woche, also vier bis acht Mal höher als der mögliche Wert, der gerade kursiert.

Zehn Gramm, das ist nicht mal die Scheibe Wurst, die in Metzgereien alten Schlags Kindern gratis über den Tresen gereicht wird. Auch hochgerechnet ergibt das nur etwas mehr als eine Currywurst pro Monat. Obwohl der neue Richtwert der DGE noch gar nicht festliegt und das Berechnungsmodell erst erprobt wird, klar ist schon jetzt: Wenn künftig Umwelt- und Sozialfaktoren in den Wert einfließen sollen, wird eine sehr viel geringere Fleischmenge dabei herauskommen. Doch beim neuen Berechnungsmodell beginnt das Problem.

Viel Fleisch zu essen, ist bedenklich. Aber man sollte die Dinge trennen und Menschen nicht als gesundheitliche Empfehlung verkaufen, was in Wahrheit eine ökologisch-gesellschaftspolitisch-gesundheitliche Empfehlung ist. Natürlich spielen alle diese Faktoren eine Rolle, und man sollte sie bei den eigenen Konsumentscheidungen bedenken. Die Zeiten des naiven, „hab ich halt Lust drauf“-Verzehrs sind vorbei. Aber die Abwägung zwischen Gesundheit, Umwelt, persönlichen Vorlieben, zwischen Kopf und Bauch also, sollte in einer freien Gesellschaft immer noch jeder selbst treffen. Und zwar bestmöglich informiert etwa durch Richtwerte angesehener Gesellschaften wie der DGE. Das setzt aber voraus, dass keine erzieherischen Werte ausgetüftelt werden, in denen das „schlechte Gewissen“ schon eingerechnet ist, damit sich die Leute möglichst schnell, möglichst radikal umorientieren. Das ist keine Aufklärung für mündige Menschen, sondern Pädagogik.

Fakt ist: Obwohl die Tendenz seit Jahren fallend ist, essen die Deutschen weiterhin zu viel Fleisch – auch allein unter Ernährungsgesichtspunkten. Mit 52 Kilogramm pro Person sank der Pro-Kopf-Verzehr von Fleisch 2022 im Vergleich zum Vorjahr um rund 4,2 Kilogramm und ist so niedrig wie noch nie. Doch 52 Kilo pro Jahr sind immer noch 142 Gramm pro Tag – und nicht 80 Gramm, wie derzeit empfohlen. Und schon gar nicht zehn Gramm, wie es womöglich empfehlenswert wäre, wenn man alle Umwelt- und Sozialfaktoren einrechnet.

Die gesundheitlichen Risiken sind bekannt: Vor allem stark erhitztes und gepökeltes Fleisch enthält Stoffe, die das Risiko für Darmentzündung und Krebs steigern. Überhöhter Fleischkonsum begünstigt zudem nachweislich Herz-Kreislauf-Krankheiten und Diabetes. Natürlich enthält Fleisch auch Substanzen, die für den Körper wichtig sind; darunter Vitamin B12, Eisen, Selen und Zink. Doch obwohl viele ihre Gewohnheiten bereits umgestellt haben, läppert sich der Verzehr. Am Wochenende wird dann doch Fleisch gegrillt – so ein Rippchen oder Spieß schmeckt halt anders als das vegane Würstchen, die Rouladen sind grad im Angebot und das Kind mag auf dem Brot nur Wurst. Die deutsche Küche ist überdies nun mal fleischlastig, wenn man es traditionell liebt. Es mag sein, dass nur drastische Werte bewusst machen, dass ein noch stärkerer Wandel dem Zustand des Planeten angemessener wäre. Aber es geht bei dem Thema nicht nur um Zahlen und Richtwerte, sondern auch um Tradition und Kultur, um Selbstbilder und sozialen Status.

In manchen gesellschaftlichen Schichten gehört es längst zum guten Ton, mindestens Vegetarier zu sein, besser noch Veganer und auch die Kinder entsprechend zu ernähren. Die oft teuren Ersatzprodukte sind auch ein Statussymbol, das auf den Elektrogrill gepackte gute Gewissen. Während es auch entlastend sein kann, bei allen Zumutungen durch den Wandel der Gegenwart, wenigstens beim Essen auf dem Gewohnten zu bestehen und sich Einmischung zu verbitten. Eine repräsentative Studie der AOK hat gerade ergeben, dass Kinder aus Mecklenburg-Vorpommern sich im bundesweiten Vergleich am seltensten flexitarisch und vegetarisch ernähren. Demnach essen 21 Prozent der Kinder in diesem Bundesland nach Angaben der Eltern selten oder gar kein Fleisch. Im bundesweiten Durchschnitt ernähren sich 33 Prozent der Kinder fleischreduziert – in Berlin 44 Prozent.

Der alte Brecht-Satz wonach erst das Fressen komme, dann die Moral, stimmt nicht mehr. Fressen ist Moral geworden. Und Lifestyle. Und Selbstauskunft. Wie sehr man um seine Ernährung kreist. Wie viel Aufwand man betreibt, um bestimmte Normen zu erfüllen, sagt viel darüber aus, wer man ist, was man sich leisten kann, was man mitbekommt von den Diskursen über Umwelt, Tierhaltung, Gesundheit. Es verrät, wie und wo man lebt. Darum ist das Thema so heikel. Darum verbietet sich der Gestus der Belehrung, der von Menschen immer als Herablassung – und Kritik an ihrer ganzen Person verstanden wird. Darum ist es auch politisch unklug, wenn der Bundeslandwirtschaftsminister richtige politische Ziele, wie behutsamere Landwirtschaft und gesündere Ernährung durch Umdeutung bereits eingeführter Werte erreichen will. Es liefert jenen eine Vorlage, die überall Gängelung wittern und sich die Wurst nicht vom Brot nehmen lassen wollen. Und koste es nach ihnen die Sintflut.

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