Fünf Dörfer an der italienischen RivieraCinque Terre - ein Freilichtmuseum
Fünf kleine, abgelegene Orte zwischen Genua und La Spezia genießen den Ruf, "bella Italia" vom Feinsten zu bieten. Cinque Terre (wörtlich ins Deutsche übersetzt heißt das "fünf Länder", passender ist "fünf Orte") - ein Geheimtipp? In einigen Reiseführern wird er immer noch verraten. Vor langer Zeit mögen Monterosso, Vernazza, Corniglia, Manarola und Riomaggiore, die fünf Dörfer, in der Tat nur einer glücklichen Minderheit bekannt gewesen sein. Nun gilt nicht nur während der Hochsaison: Geheimtipp Cinque Terre - das war einmal.Als "erste" Touristen sollen in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts Schweizer, wenig später Deutsche in die Dörfer gekommen sein. Die Orte waren/sind zu Fuß, per Bahn oder Schiff zu erreichen. Mit dem Auto, dem Reisemittel Nummer 1, kommt man, da sie weit abseits der Hauptverkehrswege liegen, nur sehr mühsam über kurvenreiche Stichstraßen hin. Dennoch. Nachdem Mitte der 90er Jahre in der New York Times eine Cinque-Terre-Reportage erschienen war, folgten Berichte in anderen US-Medien. Wenig später zählten die fünf Dörfer genauso wie Paris und Heidelberg zum Pflichtprogramm, wenn Touristen von jenseits des Großen Teichs Europa in zehn Tagen erkundeten. Japaner und andere Nationalitäten folgten. Und so sollte jeder Cinque Terre-Urlauber, der nicht im November oder Februar dort unterwegs ist, auf Szenen wie diese gefasst sein:Szenen aus der HauptsaisonMonterosso, 11 Uhr. In Bikini oder Badehose, allenfalls noch ein T-Shirt übergestreift oder ein Handtuch um die Lenden gewickelt, schieben sich schwitzende Urlauber Hüfte an Hüfte durch die schmale Via Roma Richtung Strand - vorbei an der Kirche San Giovanni Battista, vor der ein paar alte, schwarz gekleidete Frauen aus dem Dorf stehen.Corniglia, 17 Uhr. Auf der Hauptgasse, der Via Fieschi, sollen in einem Regal ausgestellte Weinflaschen Käufer locken. Es ist kein Sciacchetrà, eine Trockenbeerenauslese und seit Jahrhunderten Spezialität unter den Cinque-Terre-Weinen. Die Etiketten zieren Duce-, Stalin-, Marx- und Che Guevara-Porträts.Vernazza, 23 Uhr. Am Bahnhof drängen sich mit ein paar hundert anderen Touristen ein Dutzend US-Amerikanerinnen (30 bis 40 Jahre alt) in den letzten Zug des Tages Richtung Genua. Was sie lauthals über ihre Männerbekanntschaften des Abends berichten, lässt die wenigen einheimischen Fahrgäste - und nicht nur die - den Kopf schütteln.Ballermann-Feeling am Stiefel statt bella Italia vom Feinsten!?Keine Panik - noch gibt's auch das, was die Cinque Terre mal zum Geheimtipp machte: kleine Piazzi, enge Gassen, elegant-geschwungene Torbögen und Laubengänge, ineinander verschachtelte, sich gegenseitig stützende Häuser mit warmen, erdfarben-gestrichenen Fassaden, vor denen Wäsche zum Trocknen flattert, winzige Häfen mit bunten Booten und Netze flickenden Fischern, Kirchen... Architektonisch strahlen die Dörfer noch immer eine Harmonie aus, die jeden in ihren Bann zieht - wenn einmal keine Urlauberscharen den Blick verstellen.Noch gibt es auch in der Hauptsaison, die aber immer länger währt, so manchen Eindruck jenseits des Massentourismus:Manarola, 18 bis 19 Uhr. Wenn die Tagestouristen den Ort verlassen haben und die, die ein Zimmer in Manarola selbst gefunden haben, unter der Dusche stehen, treffen sich Jungs des Dorfes auf dem Platz zwischen Pfarrkirche und Glockenturm - zum Fußballspiel.Riomaggiore, 8:30 Uhr. Bevor die ersten Wogen von Urlaubern durch die Via Colombo schwappen, bevor es laut wird in den Gassen, nutzen Einheimische die Zeit für ein Schwätzchen von Balkon zu Balkon, tratschen auf einer der hohen Treppenstufen sitzend.Wie die Dörfer, so fasziniert auch die Landschaft zwischen Monterosso und Riomaggiore. Manch Weitgereister hält den neun Kilometer langen Küstenabschnitt (Luftlinie) ohnehin für den schönsten Italiens, wenn nicht gar des gesamten Mittelmeerraumes. Über Jahrhunderte haben die Bewohner der Cinque Terre die steilen Hänge kultiviert, mühsam winzig-schmale Terrassen an den Hängen gebaut und so ein einmaliges Natur-Kunstwerk geschaffen.Entspannt genießenAm besten bestaunt man diese "Land-Art" auf zweierlei Weisen. Bei beiden kann man Urlaubermassen weitgehend aus dem Weg gehen. Zum einen lohnt sich die Fahrt aufs Meer. Während der Saison herrscht zwischen den Orten reger Schiffsverkehr. Wenn es der Seegang zulässt, fahren auch von Portofino oder Portovenere Ausflugsboote den gesamten Küstenabschnitt entlang. Über die Reling hinweg lässt sich der Anblick des blauen Meeres, der bunten, verschachtelten Dörfer, der grünen Weinbergterrassen und zerklüfteten Felsen ganz entspannt genießen.Anstrengender, aber auch intensiver, unmittelbarer ist die Erkundung der Region zu Fuß. Wohl keine Gegend in Italien ist durch Wanderwege so gut erschlossen wie die Cinque Terre. Auf unterschiedlichen Höhenniveaus verbinden alte, gut markierte Pfade die fünf Orte. Da die Berge entlang der Küste bis zu 800 Meter emporragen, sind - zumindest auf den höher gelegenen Strecken - einige Höhenmeter zu bewältigen. Doch die Anstrengung lohnt sich. Erstens sind die Höhenwege weniger überlaufen als die auf niedrigerem Niveau. Zweitens beeindruckt die Harmonie zwischen Landschaft und Architektur der oft so überlaufenen Orte aus der Höhe betrachtet in besonderem Maße. Die Sicht aus der Ferne weckt Träume von einer "heilen" Cinque-Terre-Welt.Doch sowohl die fünf Dörfer als auch die kunstvolle Terrassenlandschaft sind in Gefahr. Vielen, besonders den jungen Einheimischen wird das Leben in den ach so schön anzuschauenden Orten zu unbequem und - seit immer mehr reiche Fremde sich dort für viel Geld eine Ferienwohnung leisten, die Preise deshalb explodieren - zu teuer. In Vernazza und Manarola kostet der Quadratmeter Wohnraum bereits so viel wie in Florenz. Den Cinque Terre droht eine Entvölkerung wie sie in manch anderen Orten an der Ligurischen Küste schon herrscht. In Portofino ist beispielsweise bereits fast jedes Haus ein Zweitwohnsitz, der nur wenige Wochen im Jahr genutzt wird.Die Arbeit in den Weinbergen sowie die Obst- und Olivenernte auf den schmalen Terrassen ist den meisten Cinque-Terre-Bauern schon lange zu hart. In den letzten 40 Jahren wurden Zweidrittel der landwirtschaftlichen Fläche aufgegeben. Von 7000 Kilometern Trockenmauern, ohne die das Landschafts-Kunstwerk Cinque Terre ins Meer rutschen würde, brechen Jahr für Jahr ein Prozent zusammen. Ihr Erhalt kostet jährlich zwei Millionen Euro.Wichtige EinnahmequelleBewahrt werden die alten Terrassenmauern und damit die Cinque Terre insgesamt nur durch Einflussnahme von außen. Strengste Baubestimmungen erhalten die Ortsbilder. Vorschriften des im Jahr 2000 eingerichteten Nationalparks schützen die Landschaft. Der Tourismus, selbst wenn er zeitweise negative Formen annimmt, rechtfertigt den Schutz der Cinque Terre auch ökonomisch. Der Fremdenverkehr ist längst die wichtigste Einnahmequelle für viele Einheimische. Menschen aus aller Welt können brachliegendes Cinque-Terre-Land für 20 Jahre pachten - mit der Auflage, es zu bestellen oder bebauen zu lassen. Über den Ertrag, Olivenöl oder Wein, dürfen sie verfügen. Seit Herbst 2001 müssen Urlauber auf dem Wanderweg zwischen Monterosso und Riomaggiore drei Euro Eintrittsgeld zahlen. Die Einnahmen werden für die Restaurierung der Trockenmauern genutzt. Die Cinque Terre sind auf dem Weg, ein Freilichtmuseum zu werden, eine künstlich am Leben erhaltene, wunderschöne Kulturlandschaft - eine Alternative dazu scheint es nicht zu geben.