Internationaler Tag des Kusses Lippenbekenntnisse

Der Kuss ist ein geheimnisvoller, ein magischer Vorgang. Der Schriftsteller Joseph Conrad nannte ihn das, „was von der Sprache des Paradieses übriggeblieben ist”. Zum internationalen Tag des Kusses spüren wir der Frage nach: Wie kam der Mensch auf den Mund?

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Foto: dpa/Danny Lawson

Der längste bekannte Kuss dauerte 58 Stunden, 35 Minuten und 58 Sekunden. Romantisch ging es dabei nicht zu. Das Guinnessbuch der Rekorde hält fest: Das siegreiche Ehepaar Ekkachai und Laksana Tiranarat aus Thailand musste vom 12. bis 14. Februar 2013 nicht nur die ganze Zeit wach bleiben, sondern auch stehen, beim Trinken einen Strohhalm benutzen und den anderen zur Toilette begleiten, damit der Lippenkontakt nicht abriss.

Dagegen waren die Amerikaner Paul Fremeau und Alina Evans schon nach exakt einer Minute Kuss-Weltmeister: 258 Mal gelang es ihnen im Jahre 2012, sich innerhalb von 60 Sekunden zu küssen. Die Anzahl der meisten gleichzeitig küssenden Menschen beläuft sich indes auf 39.879. Sie trafen sich allein zu diesem Zweck 2009 auf dem Zocalo-Platz in Mexico City.

Auch abseits solch alberner Rekorde: Der Kuss ist ein Vorgang der Superlative. Lippen sind nicht umsonst der Körperbereich mit der dünnsten Haut. Eine außergewöhnlich hohe Dichte an sensorischen Nervenzellen macht sie 100 Mal so empfindlich wie Fingerspitzen. Neben dem Musculus orbicularis oris, der die Lippen spitzt, werden - je nachdem, wie leidenschaftlich man zu Werke geht - weitere 140 Muskeln im Kopfbereich aktiv. Das liegt auch daran, dass Küssende ordentlich Druck machen: bis zu 15 Kilogramm Gewicht lasten dann auf einem orbicularis oris. Manch einen beflügelt der Kuss gar zu größerem Kräfteeinsatz: „Ein Kuss ist eine Sache, für die man beide Hände braucht“, verriet uns einst der amerikanische Schriftsteller Mark Twain. Geht es stürmisch zu, verbrennen 20 Kalorien pro Minute leicht. Das ist nicht wenig, doch nichts im Vergleich zu folgender Zahl: 80 Millionen. So viele Bakterien werden bei intensivem Knutschen übertragen. A kiss is just a kiss? Immerhin: Die wenigsten dieser Mikroorganismen können dem neuen Besitzer gefährlich werden. Enge Partner weisen nach einer Weile sogar eine sehr ähnliche Mundflora auf.

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Foto: AP/Joel C Ryan

Nüchtern betrachtet ist Küssen eine ausgesprochen bizarre Aktion. Was eigentlich der Nahrungsaufnahme dient, wird zweckentfremdet: Zähne knabbern an Lippen, die nicht die eigenen sind, Zungen sind in ungewohnter Richtung unterwegs, wir riechen und schmecken – jemand anderen. Aber weshalb? Warum tun die Leute sowas (übrigens bis zu 100.000 Mal im Leben)? Wieso macht diese orale Mischung aus Spannung und Spucke Spaß?

Das hat sich die Wissenschaft natürlich auch gefragt. Das Ergebnis: Küssen führt zu einer Art Silvester im Gehirn. Philematologen – so heißen die Kussforscher – haben herausgefunden, dass ein heißer Kuss die Lunte an ein Feuerwerk von Hormonen legt. Oxytocin, ein starkes Bindungshormon, der Muntermacher Serotonin und der Glücklichmacher Dopamin schießen nach oben. Nicht zu vergessen Testosteron, das ein Mann beim intensiven Knutschen übrigens über den Speichel weitergibt. Das zentrale Nervensystem sendet eine klare Ansage aus: Bremsen lockern.

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Foto: dpa/Nick Ansell

Damit kann ein Kuss zur Eintrittskarte für mehr werden. Oder, wie es der Fernsehmoderator Robert Lembke einmal elegant umschrieb: „Ein Kuss ist eine Anfrage im ersten Stock, ob das Parterre frei ist.“ Jedenfalls sehen das nicht wenige Männer so. Frauen hingegen schauen sich erst einmal genau die Visitenkarte an, die ein Mann beim Küssen unbewusst zückt. Aus zahlreichen geheimen chemischen Botenstoffen, die in der Mund-zu-Mund-Propaganda ihres Gegenübers enthalten sind, filtern sie mit feinem Gespür das Wesentliche heraus: ob er biologisch zu ihr passt und theoretisch als Vater taugt. Quasi ein Abschmecken, ob die Hauptspeise auch mundet. Falls nicht, ist der erste Kuss auch schnell der letzte. Dass sich Frauen beim Küssen stärker konzentrieren, zeigt sich auch daran, dass 92 Prozent die Augen schließen, während etwa die Hälfte der Männer lieber sieht, was im Gesicht der Geküssten vorgeht.

Ein wenig gleicht der Kuss dem Tanz. Ob man miteinander harmoniert, sich aufeinander einstimmen kann, zeigt sich erst, wenn man es ausprobiert. Ohnehin ist Küssen viel intimer als Sex. Letzterer kann lieblos sein, ein intensiver Kuss ist es in der Regel nicht. Kein Zufall, dass Küssen bei käuflicher Liebe eine untergeordnete Rolle spielt. Der Psychologe Rafael Wlodarski hat durch eine breit angelegte Kuss-Studie an der Universität Oxford entdeckt, dass Personen, denen lange Liebesbeziehungen besonders wichtig waren, Küsse viel wichtiger fanden als Personen, die weniger Wert auf eine lange Partnerschaft legten. Im Umkehrschluss bedeutet das: Wer wenig küsst, verliert sich schneller.

„Die Häufigkeit, mit der sich Paare küssen, stand in direktem Zusammenhang zu der Zufriedenheit mit der eigenen Beziehung“, berichtete Wlodarski 2013 in der „Welt“. Das gelte spannenderweise nur fürs Küssen. „Die Häufigkeit, mit der ein Paar Sex hat, hatte mit der Zufriedenheit nichts zu tun.“

Somit wären dem Kuss bereits etliche seiner Geheimnisse entrissen – freilich ohne dass er dadurch etwas von seiner Magie eingebüßt hätte. Im Dunkeln bleibt wohl, wann die Menschheit auf den Mund kam. Weithin bekannt ist die Theorie, wonach Mütter Kleinkindern, die noch keine Zähne hatten, in grauer Vorzeit die Nahrung vorkauten und von Mund zu Mund weitergaben – so wie es Schimpansen heute noch tun.

Eine weitere Hypothese besagt, die ersten Hominiden hätten sich noch recht tierisch beschnüffelt – und nach Erfindung des aufrechten Ganges diese intime Annäherung der Einfachheit halber in höhere Regionen verlegt. Klingt interessant, ebenso wie die Beobachtung, dass die meisten Menschen zum Küssen den Kopf nach rechts neigen. Forscher schließen daraus, dass es einen Zusammenhang mit dem Stillen geben könnte: 80 Prozent der Mütter legen ihre Babys zuerst links an. Die Kleinen müssen ihren Kopf nach rechts drehen, um an die Brust zu gelangen.

In der Antike beschreibt der Philosoph Platon den Kuss als „Austausch der Seelen“. Die Römer sind da weniger romantisch: Bei ihnen wird die Verbindlichkeit von Verlöbnissen mit einem Mundkuss besiegelt. Bis in unsere Tage heißt es nach Hochzeitszeremonien: „Sie dürfen die Braut jetzt küssen.“ Im Mittelalter konnten des Lesens und Schreibens Unkundige Verträge unterzeichnen, indem sie ein geschriebenes „X“ auf dem Papier mit dem Mund berührten. Der Buchstabe symbolisiert bis heute einen Kuss.

Der Kuss in der Öffentlichkeit ist lange Zeit tabu. Die Prüderie fordert sogar Menschenleben, die man hätte retten können: So hatte der englische Arzt John Fothergill bereits 1745 in der Royal Society of London eine Praktik zur Wiederbelebung Ertrunkener vorgestellt: den „kiss of life“ – die Mund-zu-Mund-Beatmung. Doch sie gerät für etliche Jahrzehnte wieder in Vergessenheit, weil die Methode im sittenstrengen England als unschicklich gilt.

 Noch 1886 sorgt Auguste Rodins Marmor-Skulptur „Der Kuss“ für einen Skandal. Das Paar aus Dantes „Göttlicher Komödie“ durfte damals in Paris nur hinter Vorhängen ausgestellt und allein von Männern betrachtet werden. Dann aber zog der Kuss mit Macht in die Kunst ein. 1908 widmete ihm Gustav Klimt sein wohl berühmtestes Bild.

Mit der sexuellen Revolution Ende der 60er Jahre wird der Umgang mit dem Kuss ungezwungener – zumal immer mehr von seinen positiven Eigenschaften bekannt werden: Küssen baut Stress ab und stärkt das Immunsystem. Wer gerne küsst, lebt angeblich bis zu fünf Jahre länger. Aber das, was wir heute wissen, ahnte der gute alte Johann Wolfgang von Goethe schon vor 200 Jahren: „Ein Mädchen und ein Gläschen Wein kurieren alle Not / und wer nicht trinkt, und wer nicht küsst, der ist so gut wie tot.“

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde am 6. Juli 2019 erstmalig veröffentlicht. Anlässlich des Internationalen Tages des Kusses bieten wir ihn erneut zum Lesen an.

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