Kommt nach der Pandemie der Populismus? Pandemie und Populismus

Analyse · Corona ist die erste große Krise seit Längerem, von der die großen Vereinfacher in der Politik kaum profitieren. Populistische Regierungen versuchen, dies durch Machtausweitung zu kompensieren.

 Angesichts dramatisch steigender Corona-Fälle hat Donald Trump, nach langem verweigern, die US-Amerikaner zum Tragen von Nasen-Mund-Schutzmasken ermuntert.

Angesichts dramatisch steigender Corona-Fälle hat Donald Trump, nach langem verweigern, die US-Amerikaner zum Tragen von Nasen-Mund-Schutzmasken ermuntert.

Foto: dpa/Patrick Semansky

Covid 19 ist hartnäckig. Nicht nur, dass sich das Virus gegen die vielen Versuche seiner Eindämmung sträubt. Es widersetzt sich bislang erfolgreich den Bemühungen der medizinischen Forschung, seiner durch ein Serum Herr zu werden. Allerdings: Der Erreger erweist sich auch als erstaunlich resistent gegenüber politischer Manipulation. Donald Trump, Boris Johnson, Jair Bolsonaro, allesamt Populisten reinsten Wassers, haben versucht, Corona kleinzureden. Sie haben Experten, die anderer Meinung waren, lächerlich gemacht. Sie glaubten, Breitbeinigkeit werde es schon richten. Sie fühlten sich unverwundbar. Das ist schiefgegangen. Das Virus spricht eine andere Sprache. Die USA, Großbritannien und Brasilien zählen zur Spitzengruppe jener Staaten auf der Welt mit der höchsten Rate bei Todesfällen und Neuinfektionen durch die Seuche. Dem politischen Spitzenpersonal fällt das gerade auf die Füße. In den Vereinigten Staaten bröckelt die Unterstützung für den Präsidenten massiv, besonders in einer seiner wichtigsten Wählergruppe: den Ruheständlern. Im Vereinigten Königreich musste der Premierminister erst selbst auf der Intensivstation landen, bevor er vergangene Woche stolpernd gestand: „Wir haben Corona in den ersten Monaten nicht in der Art und Weise verstanden, wie wir das gerne getan hätten.“ Auch in Brasilien wächst die Wut auf den Regierungschef, der Schutzmaßnahmen ablehnt, obwohl er sich selbst infizierte. 49 Prozent der Brasilianer rechnen damit, dass der Rest seiner Amtszeit „schlecht oder schrecklich“ verlaufen wird.

Die Pandemie scheint die erste große Krise seit Längerem, von der die großen Vereinfacher wenig bis gar nicht profitieren. Die Bürger spüren: Es geht gerade ums Wesentliche. Die Mehrheit nimmt die Corona-Krise nicht als Ergebnis staatlich verschuldeten Kontrollverlusts wahr. Konstruktive Politikansätze treffen daher derzeit eher auf Zustimmung, destruktive weniger. Gefragt sind lernfähige Experten und besonnenes Handeln. Satte 87 Prozent der Deutschen beispielsweise finden es laut Politbarometer richtig, dass das Tragen von Mund-Nasen-Schutz beim Einkaufen obligatorisch bleibt.

In Deutschland hat es der AfD nicht geholfen, dass ihr stellvertretender Fraktionschef im Bundestag, Peter Felser, eine Software entwickeln ließ, die vor Smartphones mit aktiver Corona-Warn-App warnen soll, weil der Datenschutz angeblich nicht gewährleistet sei. Ebenso wenig verfing der Versuch des AfD-Abgeordneten Stephan Löw im bayerischen Landtag, die Maskenpflicht im Plenum lächerlich zu machen, indem er mit einer Gasmaske ans Rednerpult trat. Aktuell erreicht die AfD in den Umfragen keine zehn Prozent, während sich etwa die Union zu ungeahnten Höhen aufschwingt.

In diesen Tagen belegt eine Untersuchung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW): Nationalistische und populistische Regierungen verzeichnen in der Corona-Krise einen deutlich geringeren Anstieg ihrer Zustimmungsraten als Nichtpopulisten. Forschungsleiter Michael Bayerlein vermutet, dass die Schuld diesmal nicht so leicht vermeintlichen Eliten zugeschoben werden konnte, die Nationalisten und Populisten sonst gern dort suchen. Das übliche Feindbild funktioniert demzufolge momentan nicht.

Das hatte nach der Lehman-Pleite 2008 anders ausgesehen. Die finanzpolitischen Schockwellen spülten überall in Europa rechtspopulistische Parteien in die Parlamente. Eine frühere Studie des Münchner ifo Instituts kommt zu dem Schluss, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Finanzkrisen und dem Erstarken populistischer Parteien gibt, vor allem am rechten Rand. Dafür wurden die Daten von 800 Wahlen in 20 Industrieländern seit 1870 analysiert. So hat die norwegische Fortschrittspartei ihr Wahlergebnis nach der 1988er-Krise von 3,7 Prozent auf 13 Prozent steigern können. In Italien verhalf die Krise Anfang der 1990er-Jahre der Lega Nord zum Durchbruch. Und auch der Erfolg der AfD wurzelt in einer Krise – eben der von 2008.

Dass nach traditionellen Wirtschaftskrisen, wie etwa dem Ölpreisschock, ein solcher Rechtsruck weniger stark ausfällt als nach Bankenkrisen, ist ein weiteres wichtiges Detail der Ende 2017 veröffentlichten Studie. Die Forscher führen dies darauf zurück, dass es erheblich schwieriger ist, Sündenböcke für einen normalen Konjunkturabschwung zu finden. Oder wie jetzt für das Wüten eines Virus. Populistische und nationalistische Argumentationsmuster laufen da ins Leere.

Angeschlagen sind populistische und autokratische Regierungen deshalb noch lange nicht. Im Gegenteil. Nicht wenige haben die momentane Krise genutzt, um ihren Verlust an Zustimmung durch eine Machtausweitung zu kompensieren. China hat Honkong mit schärferen Sicherheitsgesetzen überzogen, Putin eine Verfassung durchgedrückt, die es ihm ermöglicht, bis zum Jahr 2036 weiterzuregieren. Notstandsgesetze, die anderswo erlassen wurden, unterscheiden sich wesentlich von den Beschränkungen, die seit Ausbruch der Pandemie in vielen demokratischen Ländern gelten: In Ungarn, Polen, den USA, Indien und Brasilien stellen sie laut IfW-Forscher Bayerlein ein mittleres bis hohes Risiko für demokratische Institutionen dar, weil dadurch politische Kontrollmechanismen und der demokratische Wettbewerb deutlich eingeschränkt wurden. Einzige positive Ausnahme unter den populistisch regierten Ländern: Großbritannien.

Dennoch offenbart die gegenwärtige Krise die Schwäche von Rechtspopulisten. Wenn es schwierig wird, mit dem Finger auf andere zu zeigen, erlahmt ihre Kraft. Das wird sie kaum entmutigen, ihre Ziele weiterzuverfolgen. Liberale Demokraten sollte es ermutigen, für die ihren umso stärker zu streiten.

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