TV-Nachlese Günther Jauch Jauch stellt di Lorenzo fünf Jahre Knast in Aussicht

Da war was los, bei der Wahlbesprechung mit Günther Jauch: Giovanni di Lorenzo redet sich um Kopf und Kragen, Peer Steinbrück geht auf einen Studiogast los, Schäuble verteidigt sich gegen den Vorwurf der Verlogenheit.

Günther Jauch: Giovanni di Lorenzo hat bei Europawahl zweimal gewählt
Foto: Screenshot ARD

Hätte er doch geschwiegen. Zeit-Chef-Redakteur Giovanni di Lorenzo versetzte gleich zu Beginn von "Günther Jauch" die Runde ins Staunen. Mit großer Gelassenheit plauderte er aus, er habe bei dieser Europawahl sogar zweimal gewählt. Einmal in einer Hamburger Grundschule in Deutschland, einmal im italienischen Konsulat.

Großes Staunen. Ungläubigkeit. Wie geht das? Darf er das? Wie hat er das gemacht. Ganz einfach: Di Lorenzo hat zwei Pässe. Und bekam zweimal die Aufforderung, seine Stimme abzugeben. Die Talkshow, die eigentlich das Thema "Die Denkzettelwahl — Abrechnung mit Europa?" hat, befasst sich stattdessen mit einer Lücke im System. Neben die Lorenzo diskutieren Ex-SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, Finanzminister Wolfgang Schäuble, Schriftstellerin Juli Zeh.

Es wird launig, aber auch ungemütlich

Schnell wird es unangenehm für den Deutsch-Italiener. Keiner kann sich vorstellen, dass das rechtens ist. Einigermaßen fassungslos ist Schäuble. Dass der Journalist zwei Stimmen bei einer Wahl abgeben konnte, stellt in seinen Augen das ganze System auf den Kopf. Das allein sei schon ein Argument gegen mehrere Pässe. "Da muss man nachbessern", sagt er. Sonst könne man ja auch mit zwei Wohnsitzen in Deutschland zwei Stimmen bei der Bundestagswahl abgeben. Steinbrück wirft ein, er wolle vier Pässe haben.

Die Stimmung ist ein Mix aus launigem Witz, aber irgendwie auch spürbar ungemütlich. Immer wieder spielt jemand im Lauf der Diskussion auf das Thema an. Zum Ende der Sendung auch noch einmal Jauch, dem ein Mitarbeiter aus der Redaktion weitere Infos zu dem Thema zugesteckt hat.

"Herr di Lorenzo, jetzt wird's eng für Sie", kündigt Jauch an.

Ergebnis der Schnell-Recherche im Europäischen Wahlgesetz: "Das Wahlrecht darf nur einmal und nur persönlich ausgeübt werden. Das gilt auch für Wahlberechtigte, die zugleich in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zum EU-Parlament wahlberechtigt sind." "Dann fechten wir jetzt mal die Wahl an", wirft Steinbrück ein. Di Lorenzo schaut schon nicht mehr so humorbereit drein.

Zurecht, wie sich anschließend zeigt. Denn Jauch geht jetzt noch auf das Schlagwort "Wahlfälschung" ein, Paragraf 107 a. Wer sich dieses Vergehens schuldig macht, kann mit Geldbuße oder einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft werden. Lachen im Saal. Jauch reicht dem Kollegen der "Zeit" die Unterlagen.

Letztlich eine Gewissenssache

Der setzt zu einer Verteidigungsrede an. Es gehe ihm nicht darum irgendwelche Privilegien zu verteidigen. Er habe nur Wahlunterlagen ins Haus bekommen und versucht, der "Wahlpflicht genüge zu tun." Selbst Schäuble nickt. Außerdem gehe es doch bei den Problemen in Europa nicht um die paar "Hanseln" wie ihn, das sei eine groteske Verzerrung.

Doch die Geschichte hat noch eine weit groteskere Pointe. Denn ausgerechnet die Lorenzos eigene Zeitung hat sich in ihrem Online-Auftritt mit genau diesem Problem im EU-Wahlrecht befasst, vier Tage vor dem Wahlwochenende. Der Text befasst sich eingehend mit den Mängeln im System. Allein in Deutschland leben demnach eine Million Wahlberechtigte mit nicht nur einem deutschen Pass, sondern auch aus einem anderen Land aus der EU. Auf europäischer Ebene werden die jedoch von den Behörden nicht erfasst.

Mythen über Regelungswut

Ausgerechnet ein italienischer Botschaftssprecher spricht in dem Bericht aus, was sich nun als Beweis für Nachlässigkeiten im europäischen Wahlsystem entpuppt: Letztlich trage jeder Wähler selbst die Verantwortung. "Wenn er redlich ist, wird er seine Stimme wie alle anderen nur einmal abgeben." Anders formuliert: Di Lorenzo war es nicht. Auf den Wahlbenachrichtigungen steht schließlich schwarz auf weiß, dass jeder Wähler nur einmal seine Stimme abgeben darf.

Die Aufregung um die Lorenzo überdeckte eine doch eigentlich unterhaltsame Talkshow mit weiteren Highlights. Juli Zeh etwa warf den großen deutschen Parteien einen verlogenen wie leidenschaftslosen Wahlkampf vor. Nur allzu oft spielen sie in ihren Augen Brüssel dankbar den schwarzen Peter zu, wenn es um unpopuläre Themen geht. Dabei habe die Regelungswut in Wahrheit ihren Ursprung bei den nationalen Regierungen.

Steinbrück geht hoch

Insbesondere Schäuble musste sich Kritik anhören, weil die Union mit Merkel und Seehofer plakatiert hatte und nicht mit europäischen Personen wie Spitzenkandidat Juncker oder gar Themen. Schäuble hielt cool dagegen. Im Wahlkampf plakatiere man am besten mit denen, die den größten Erfolg versprechen.

Kein Bekenntnis? Ob es denn nicht dieses Engagement sei, das die Bürger vermissten und in die Arme der Populisten triebe, wollte Jauch wissen. Keine Leidenschaft? Kein Engagement? Langweilig? Bei diesen Worten geht Steinbrück hoch wie ein Wutmännchen. "Es stimmt einfach nicht" ereifert er sich. Und lässt seinen Unmut an einem Studiogast ab, der zuvor die AfD verteidigt hatte.

Unter Hochdruck torpedierte er den Mann in der ersten Reihe mit einem volkswirtschaftlichem Proseminar im Schnelldurchlauf. 43 Prozent Exportquote in Deutschland, seine Abhängigkeit von den Nachbarn und deren wirtschaftlichem Leistungsvermögen, das Deutschland dazu zwinge, in schwierigen Zeiten solidarisch mit diesen Nachbarn zu sein.

Schäubles kluges Plädoyer gegen Leidenschaft

Unter dem Aspekt der Leidenschaft verwies Jauch auch noch einmal auf die so populäre Wutrede von Frank-Walter Steinmeier. Und ließ Schäuble damit milde aufseufzen. Das sei ja verständlich, dass soziale Netzwerke und Medien darauf anspringen. Aber nicht wirklich wünschenswert. Schäuble setzte an zu einem mittelleidenschaftlichen, aber durchaus klugem Plädoyer für Verstand, Besonnenheit und Verlässlichkeit in der Politik.

Seine durchaus diskussionswürdigen Hinweise gingen aber im Wirbel über den Doppelwähler di Lorenzo fast vollständig unter.

(pst)
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