Peinlich, peinlich Warum wir rot werden und was dagegen hilft

Düsseldorf/Neukirchen-Vluyn · Einen Witz zu reißen, über den kein anderer lacht oder bei der Fahrkartenkontrolle das Ticket vergessen zu haben - jeder kennt das Gefühl vor Scham im Boden versinken zu wollen. Sekunden später ist man in solchen Situationen farblich von einem Feuerwehrauto nicht mehr zu unterscheiden. Und dann? Gibt es eine Chance, die Röte aufzuhalten und der Scham eine Abfuhr zu erteilen?

Tipps gegen das Rotwerden
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Foto: Shutterstock/file404

Es kann überall passieren, im Supermarkt beim Bezahlen, wenn man nicht gleich das nötige Kleingeld beisammen hat, bei der Präsentation vor dem Kunden, wenn man sich verhaspelt oder beim Essen mit Kollegen, weil der Happen statt im Mund auf der Hose landet.

Was dann folgt, ist ein Automatismus: Die Hände werden kalt und schweißnass, das Herz pocht wie wild, der Blutdruck steigt, Hitze schießt durch den Körper bis ins Gesicht. Man fühlt sich schlapp, die Muskulatur scheint ihren Dienst zu versagen — fast wie bei einem Infekt.

Tatsächlich hat die amerikanische Psychologin Sally Dickerson im Experiment mit Tieren festgestellt, dass diese körperliche Reaktion ähnliche Symptome im Körper auslösen, wie eine Infektion: Der Körper schüttet entzündungsfördernde Botenstoffe aus. Diese kurbeln die Durchblutung an.

Einmal in Gang lässt sich diese Reaktion durch nichts mehr stoppen. "Der Fehler vieler Betroffener ist, die Röte stoppen zu wollen", sagt Körpertherapeut und Autor eines Buches über das übermächtige Gefühl. Damit erreiche man jedoch nur das Gegenteil: "Man wird noch roter."

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"Schamgefühle kommen oft sehr heftig und sind für die Betroffenen kaum auszuhalten", erklärt die Düsseldorfer Ärztin und Psychoanalytikerin Dr. Dunja Voos. Verantwortlich für dieses Gefühl ist nach Erkenntnis von Sally Dickerson das Immunsystem.

Die körperliche Reaktion auf ein beschämendes Ereignis sorgt für die Ausschüttung von Immunbotenstoffen, die dem Körper signalisieren krank zu sein. Sie konnte solche Stoffe im Speichel sich Schämender nachweisen. Diese sorgen für das elende Gefühl, die Muskelschlappheit und den Wunsch sich zu verkriechen.

Der Motor des Rotwerdens sitzt im Hirn. Über den Augenhöhlen befindet sich der orbifrontale Kortex. Menschen, die dort Verletzungen erleiden, verlieren ihr Schamempfinden. Bei Gesunden hingegen nimmt diese Hirnregion unter anderem auf das Belohnungssystem Einfluss.

Die Auswirkungen kennen wir alle: Während die geschlabberte Sauce über das weiße Hemd nach unten läuft, ist diese Hirnregion hoch aktiv und setzt in Gang, was als leuchtende Schamesröte nach außen sichtbar wird. Damit passiert genau das Gegenteil von dem, was man sich in einer solchen Situation wünschen würde, nämlich unsichtbar zu sein.

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In solchen Augenblicken werden dem Menschen seine sozialen Wesenszüge zum Nachteil. Ohne soziale Anerkennung kann er nicht existieren. In der Evolution spielte das nach wissenschaftlicher Annahme eine entscheidende Rolle: Wer sich nicht an Gruppenregeln hielt, wurde ausgeschlossen und musste damit um Leib und Leben fürchten. Diese Gefahrensituation ließ sich nur durch ständige Kontrolle des eigenen Verhaltens bannen.

Bei Regelverstoß setzt sich automatisch eine Kette körperlicher Reaktionen und Verhaltensveränderungen in Gang: "Bei Scham zieht es einen zu Boden. Der Kopf ist eingeduckt, man schaut nach unten, die Schultern sinken ein", so beschreibt Psychologin Voos die äußerlich sichtbaren Zeichen.

Schamesröte schießt ins Gesicht, der Blickkontakt wird vermieden. Damit gestehen die Betroffenen öffentlich einen Fehler ein. Genau umgekehrt ist es bei Menschen, die Stolz zeigen. Sie tragen den Kopf nach oben, gehen gerade und mit stolz geschwellter Brust. "Scham ist natürlich und sie ist wichtig, weil sie die Grenze der Intimität anzeigt", sagt Dr. Udo Baer.

Das Problem allerdings: Wer gerade zum Streichholz anläuft, hat nicht die Gelassenheit, es als natürlichen Vorgang anzusehen. Stattdessen ersinnen die Betroffenen seltsame Strategien, um den Blicken anderer zu entgehen: Manche tragen die Haare wie einen Vorhang bis weit ins Gesicht. Sie hoffen auf diese Weise plötzliche Schamanfälle zu verstecken.

Viele würden sich am liebsten unsichtbar machen. Sie möchten keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, um unangenehmen Situationen vorzubeugen. Darum ist eine häufige Strategie, sich möglichst unauffällig zu verhalten. Die Betroffenen sind extrem still und ziehen sich häufig zurück. Denn die Gefahr, zu erröten, lauert hinter jedem Wort, jede Aktion kann es nach sich ziehen.

Besonders empfindsame Personen werden oft grundlos rot. Nicht auf Anhieb die richtigen Münzen beim Bezahlen an der Supermarktkasse zu finden kann in ihnen extremes Schamempfinden auslösen. Wenn die Röte aufsteigt, ist das deutlich spürbar und für die Umwelt auf Anhieb sichtbar. Das macht es für die Betroffenen zusätzlich leidvoll.

Sprüche wie "Du musst jetzt nicht rot werden" oder Pseudofragen wie "Warum wird dein Gesicht rot?", belasten zusätzlich. Zu der Angst vor dem Rotwerden an sich kommt dann die Sorge hinzu, darauf auch noch aufmerksam gemacht zu werden.

Häufen sich solche Situationen, ist der Weg in den Teufelskreis aus Angst und Erröten vorprogrammiert. Die Sorge vor der Scham kann sich derart steigern, dass sie krankhaft wird. "Oft sind Menschen mit Angsterkrankungen, sozialer Phobie und einem geringen Selbstwertgefühl besonders betroffen", sagt Dr. Dunja Voos. "Doch auch Menschen mit einer narzisstischen Störung haben Probleme mit dem Schamempfinden. Sie haben eine Grundangst beschämt zu werden", so die Psychotherapeutin.

Unabhängig davon, was die Ursachen für ein übertriebenes Schamempfinden sind: den roten Kopf wird man so schnell meist nicht wieder los. "Man braucht dann viel Geduld. Manchmal gelingt das besser mit einem Therapeuten", sagt Dr. Dunja Voss. Denn viele bringen Schuld und Scham in Zusammenhang. "Je mehr ein Mensch in seiner Kindheit beschämt wurde, desto schlimmer ist sein Schamempfinden als Erwachsener, sagt Baer.

Häufig könne man dies bei Menschen beobachten, die strenge und rigide Eltern hätten. "Die Betroffenen schämen sich dann auch in Abwesenheit der Eltern Sie reflektieren ständig, was Vater und Mutter in dieser Situation sagen würden und schämen sich dann vor sich selbst", sagt Voos. Manchmal so sehr, dass das auf den Magen schlägt. "Besonders sexuell beschämende Erfahrungen zeigen sich oft in Übelkeit. Das ganze vegetative Nervensystem kann betroffen sein."

Helfen können eine Verhaltenstherapie, eine tiefenpsychologische oder psychoanalytische Behandlung. Deren Ziel ist es den Betroffenen den Blick dafür zu öffnen, wie menschlich es ist rot zu werden. Eine wichtige Erkenntnis ist die, nicht krank zu sein, weil man zeitweise einem Streichholzkopf Konkurrenz machen könnte.

"Man sollte nicht so streng zu sich selber sein", so die Psychoanalytikerin. Schamexperte Dr. Udo Baer empfiehlt, die Angst vor dem Erröten offen anzusprechen. "Wer in einem Vortrag einräumt, Angst vor Fehlern zu haben, die er bestimmt machen wird, erntet meist viele Sympathien. Denn jeder kennt das Gefühl."

(wat)
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