Landrat Stephan Pusch bei „Maybrit Illner“ „Die 50er-Inzidenz war im Grunde ein Kuhhandel“

Düsseldorf · Der Landrat von Heinsberg hatte erst kürzlich Schlagzeilen mit seiner Meinung zum Impfprogramm gemacht. In der Talkshow geht es nun auch um Stephan Puschs Blick in die Zukunft.

 Stephan Pusch war am Donnerstagabend bei Maybrit Illner zu Gast.

Stephan Pusch war am Donnerstagabend bei Maybrit Illner zu Gast.

Foto: dpa/Henning Kaiser

Die Talkshow „Maybrit Illner“ nahm sich am Donnerstagabend das Thema „Keine Impfung, keine Lockerung – planlos in den Frühling?“ vor. Wir haben dabei im Auge behalten, was der Heinsberger Landrat Stephan Pusch zur Diskussion beitrug.

Die Gäste:

  • Stephan Pusch (CDU), Landrat Kreis Heinsberg
  • Markus Söder (CSU), bayerischer Ministerpräsident
  • Peter Tschentscher (SPD), Erster Bürgermeister Hamburg
  • Kristina Schröder (CDU), Ex-Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
  • Jana Schroeder, Fachärztin für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie

 Darum ging’s:

Mit einem Video hatte der Heinsberger Landrat Stephan Pusch seinem Ärger über Mängel bei der Impfstoffverteilung Luft gemacht. In der Talkshow diskutiert er seine Beweggründe – und seine Meinung zur zukünftigen Strategie für den Umgang mit dem Coronavirus.

Der Talkverlauf: 

Lange ist es noch nicht her, da war der Impfstoff die große Hoffnung. Auch der Heinsberger Landrat Stephan Pusch bekam den Auftrag, ein Impfzentrum „aus dem Boden zu stampfen“, um Mitte Dezember bereit zu sein für 700 bis 800 Menschen pro Tag. Was zum Start fehlte, war der Impfstoff. Der Suche nach Ursachen für die Probleme beim Impfprogramm fügt Illner in der Talkshow ein Einspieler ein weiteres Schlagwort zu: Erwartungsmangement. Es entstammt einer Äußerung von Gesundheitsminister Jens Spahn, der erst kürzlich auf Puschs Kritik mit Gegenkritik reagiert hatte. Nun hatte Spahn geäußert, die Politik hätte hohe Erwartungen dämpfen müssen. Eben jene träfen diejenigen, „die am Ort bei den Menschen sind – und ein offenes Bürgertelefon haben“, erwidert Pusch in der Talkshow.

Die Bürger seien gleich dreifach enttäuscht worden: Es sei eine zu hohe Erwartungshaltung geweckt worden und es habe mit Blick auf die Impfstoffvergabe eine Hiobsbotschaft nach der anderen gegeben. „Was dann den Ausschlag gegeben hat, war die Organisation der Impftermine plus die Erklärung von allen Stellen: Ist doch eigentlich ganz gut gelaufen“, sagte Pusch. Das hätte nicht zu dem gepasst, was die Bürger erlebten, so Pusch. Das „berühmte Video“ habe er deshalb gemacht, weil das alles „über uns hereinbrach“.

Mit dem Mangel an Impfstoff und dem dazugehörigen Verdruss in der Bevölkerung umzugehen sei in der Tat ein Problem vor Ort, pflichtet der bayerische Ministerpräsident Markus Söder dem Landrat bei – und bringt ihn zum Schmunzeln, als er über Fehler der EU-Politik sagt: „Ich glaube, dass das Verfahren einmal von europäischen Rechnungsprüfern als hervorragend beschrieben wird, aber es entspricht natürlich nicht dieser außerordentlichen Notsituation.“

Der Landrat erklärt bei Illner, dass von den bislang 274 Corona-Toten im Kreis Heinsberg mit 125 fast die Hälfte in Alten- und Pflegeheimen gestorben sind. „Das ist natürlich etwas, was einem zu denken gibt.“ Rückblickend warf er die Frage auf, ob man die Anstrengungen „nach dem Prinzip 80 zu 20“ nicht mehr hätte in Richtung der vulnerablen Einrichtungen kanalisieren sollen. Zwar habe man im Kreis Heinsberg bereits in der ersten Welle Reihentestungen in den Alten- und Pflegeheimen gemacht. „Da haben wir aber versäumt, glaube ich, durch entsprechende Teststrategien früher für mehr Sicherheit zu sorgen.“ Dies sei nur ansatzweise gelungen, jetzt sei man in diesem Bereich deutlich weiter.

Pusch ist erneut gefragt bei der Diskussion um Impfstoffe aus Ländern, denen Deutschland nicht recht traut. Schließlich hatte er sich im vergangenen Frühjahr bereits einmal mit einem Brief an die chinesische Regierung gewandt. Das habe er aus Verzweiflung getan, „auch auf die Gefahr hin, mich da lächerlich zu machen“, sagt Pusch. Damals, bei der Suche nach Schutzausrüstung für das Klinikpersonal in seinem Landkreis, sei es um Leben und Tod gegangen, und die Antwort aus China möge eine „Propagandanummer“ gewesen sein.

Nun bringt Pusch Ungarn als Beispiel dafür ins Spiel, wie sich die Hinzunahme von Impfstoffen wie des russischen Sputnik und des chinesischen Sinopharm auswirken kann: Die Menschen dort hätten die Impfstoffwahl. „Konkurrenz belebt das Geschäft“, sagt Pusch. Noch vor wenigen Tagen seien einige Hersteller Europa schließlich auf der Nase herumgetanzt. „Je mehr Impfstoffe auf dem Markt sind, desto mehr Druck gibt es, seinen Impfstoff in ausreichender Menge zu produzieren.“ Von einem staatlichen Impfstoffhersteller hält Pusch dagegen nichts.

Auch für die Zero Covid-Strategie mag sich der CDU-Politiker nicht erwärmen. „Null Covid ist für die Leute eine abstrakte Größe“, sagt er. Damit ließe sich die Bevölkerung nicht motivieren. Zwar teilt er die Ansicht, dass angesichts der Virusmutationen großer Respekt angebracht sei, aber die Politik müsse die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen und ihre Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft im Blick behalten.

Auch andere Fallzahlen kritisiert Pusch: „Die 50er-Inzidenz war im Grunde ein Kuhhandel.“ Sie sei zwar mit den Kapazitäten der Gesundheitsämter bei der Kontaktnachverfolgung erklärt worden. Aber dabei komme es vor allem darauf an, wie stark die Bevölkerung bereit sei, mitzumachen. Und ob es nun eine Inzidenz von 50 oder 35 sei: Es mache einen Unterschied, wer sich angesteckt habe – 80-Jährige oder 20-Jährige. „Wenn Krankenhaus- und Pflegepersonal sowie die Bewohner von Altenheimen durchgeimpft sind, haben wir eine andere Ausgangslage in Sichtweite“, sagt Pusch. Und das bringt ihn zu seiner Kernforderung: Mit ihrer Corona-Strategie müssten Politiker den Menschen eine klare Perspektive bieten, „wie und wann wir gedenken, vorsichtig zu lockern.“

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