Rechtsextremismus Wie ein zweiter Anschlag

Düsseldorf · In Erinnerung an den rechtsextremistischen Nagelbombenanschlag auf der Kölner Keupstraße am 9. Juni 2004 organisierte das Café Eden am Montagabend ein Gespräch im Livestream. Abdulla Özkan, der bei dem Anschlag schwerverletzt und dann selbst wie ein Täter behandelt wurde, erzählte von den Schmerzen der Betroffenen, die bis heute andauern.

 Am 9. Juni 2004 explodierte in der Kölner Keupstraße eine Nagelbombe, die dort von einem Mitglied des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) platziert worden war. 22 Menschen wurden verletzt. Foto: Federico Gambarini/dpa

Am 9. Juni 2004 explodierte in der Kölner Keupstraße eine Nagelbombe, die dort von einem Mitglied des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) platziert worden war. 22 Menschen wurden verletzt. Foto: Federico Gambarini/dpa

Foto: dpa/Federico Gambarini

Es war nachmittags, und Abdulla Özkan wollte gerade den Friseursalon verlassen. Er ging noch einmal zum Spiegel, besserte den Haarschnitt nach und wandte sich dann zur Tür. Ein Bekannter rief noch „Tschüss“, und so drehte sich Özkan ein letztes Mal um in Richtung Salon, als es plötzlich zur Explosion kam und sich der Augenblick in ein Trauma aus Rauch, Flammen, Blut und Nägeln verwandelte. So erzählt Abdulla Özkan von dem Nagelbombenanschlag auf der Kölner Keupstraße, den er als Betroffener schwer verletzt überlebte.

Es sei indes nur der erste Anschlag in seinem Leben gewesen, sagt Özkan. Denn alles, was danach folgte, glich einem zweiten: Wie er noch mit frisch genähtem Hals stundelang von der Polizei wie ein Täter verhört worden sei. Wie er beim Zeitunglesen immer den Politikteil überspringen musste, weil er die dort beschriebenen Anschuldigungen gegen die Betroffenen selbst nicht mehr ertragen konnte. Und wie dann selbst zu seinen Kindern in der Schule gesagt worden sei: „Dein Vater ist gefährlich. Ich darf mit dir nicht mehr spielen.“

Am 9. Juni 2004 explodierte in Köln eine Nagelbombe, die dort von einem Mitglied des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) platziert worden war. 22 Menschen wurden verletzt, manche sehr schwer. Jahrelang wurde das Attentat den Betroffenen angelastet. Erst mit der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 wurden sie als Opfer des Anschlags anerkannt. In einem rechtsextremistischen und rassistischen Bekennervideo mit Paulchen Panther, der Zeichentrickfigur, bei der Abdulla Özkan als Kind immer alles stehen und liegen gelassen habe, wenn diese im Fernsehen zu sehen gewesen sei.

Wie sich sein Leben nach der Selbstenttarnung des sogenannten NSU dann noch einmal schlagartig veränderte, erzählte Özkan bei einem Gespräch im Livestream, das vom Café Eden in Erinnerung an den Anschlag und in Zusammenarbeit mit Birgül Demirtaş (Lehrbeauftrage im Bereich Gesellschaftliche Strukturen und Entwicklungen der Hochschule Düsseldorf) organisiert und von Özden Senarslan moderiert wurde. Plötzlich habe er zahlreiche Anrufe von Menschen bekommen, die danach fragten, wie es ihm gehe und die ihm am Telefon ihr Mitgefühl aussprachen. Und in seinem Briefkasten landeten auf einmal Einladungen für Gespräche mit der Bundeskanzlerin oder dem Bundespräsidenten nach Berlin. Damals, sagt er, habe er sich über die Einladungen gefreut. Heute aber denke er, dass man lieber ein paar weniger Veranstaltungen hätte machen und das Geld stattdessen für mehr direkte Hilfsangebote für die Betroffenen hätte ausgeben sollen.

Durch das Video der „NSU“ und die darauffolgende Berichterstattung in den Medien ist auch Karmen Frankl erneut auf den Nagelbombenanschlag aufmerksam geworden. Sie berichtete in dem Live-Gespräch von der Gründung der Initiative „Keupstraße ist überall“. Nebenklage-Anwalt Eberhard Reinecke gab außerdem Einblicke in den NSU-Prozess.

Abdulla Özkan kämpft weiter dafür, dass die Stimmen der Betroffenen gehört und endlich praktische Lösungen gefunden werden. Und appelliert auch an alle anderen, das Thema nicht wieder fallen zu lassen. „Es ist noch nicht zu spät“, sagt er. Bis heute leide er an Rückenschmerzen, Fußschmerzen, Kopfschmerzen und Schlafstörungen. Hinzu komme die posttraumatische Belastungsstörung, die bei ihm diagnostiziert wurde. Einen Brief von der Regierung habe er übrigens seit 2018 nicht mehr erhalten. In diesem Jahr ist auch der Prozess am Oberlandesgericht München zu Ende gegangen.

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