Nach Amokfahrt in Fußgängerzone Trier trauert

Trier · Am Tag nach der Amokfahrt des 51-Jährigen steht die Stadt unter Schock. Die Menschen trauern. Am Marktkreuz und am Petrusbrunnen leuchtet ein Kerzenmeer.

 Menschen zünden Kerzen vor der Porta Nigra und trauern um die Opfer der Amokfahrt vom 1. Dezember.

Menschen zünden Kerzen vor der Porta Nigra und trauern um die Opfer der Amokfahrt vom 1. Dezember.

Foto: dpa/Harald Tittel

In Trier steht die Zeit still. Die Menschen sind verstört. Es ist in ihren Gesichtern zu lesen, an ihrem Blick, in ihren Augen. Es hätte jeden von ihnen treffen können, das ist gewiss. Und in ihrem Kummer und ihrer Trauer halten viele inne. Mitten auf dem Hauptmarkt in der Innenstadt von Trier. Dort, wo sonst das Leben pulsiert. Dort, wo am Dienstag Menschen gestorben sind. Nach einer sinnlosen Tat.

Vor dem Marktkreuz steht am Mittwoch eine Frau, der Tränen über ihre Wangen laufen. Sie betet. Das Glockenspiel neben dem Roten Haus ertönt: „Süßer die Glocken nie klingen.“ Die Melodie wirkt seltsam deplatziert an diesem Tag. Viele Passanten verharren schweigend am Marktkreuz oder dem Petrusbrunnen. Sie zünden Kerzen an, legen Plüschtiere, Rosen und Briefe ab.

Die örtliche Staatsanwaltschaft teilte am Mittwoch mit, dass gegen einen 51-jährigen Deutschen Haftbefehl erlassen wurde. Sie stuft die Tat als mehrfachen Mord, Mordversuch und gefährliche Körperverletzung ein. Der dringend Tatverdächtige soll am Dienstag betrunken einen PS-starken Sportgeländewagen gezielt in Menschen in der Fußgängerzone gesteuert haben. Fünf Menschen starben, darunter ein neun Wochen altes Baby und sein Vater. 18 Menschen wurden verletzt, darunter sind sechs Schwerverletzte.

„Wir haben einen Schutzengel gehabt“, sagt Brigitte Thewalt, Inhaberin eines Fotoladens in der Innenstadt. „Ich wollte gerade aus dem Geschäft gehen, da rief mich eine Bekannte an. Und danach meine Tochter, die mir riet, bloß im Geschäft zu bleiben. Unsere Angestellten wären zu der Uhrzeit auch unterwegs gewesen. Da ihnen aber zu kalt war, blieben sie da.“ Sie seufzt und steht fassungslos vor dem Lichtermeer. „So etwas passiert in unserem schönen Trier. Das ist ein Albtraum.“

Patrick Sterzenbach, Vorsitzender der City-Initiative Trier und Inhaber eines Bekleidungsgeschäfts in der Brotstraße, steht unter Schock. „Ich habe das Auto vorbeifahren sehen mit einer Wahnsinnsgeschwindigkeit. Ich bin rausgerannt und habe nachgesehen, was los ist. Und da lagen die Opfer. Wir haben das Geschäft dann geschlossen. Auch meine Mitarbeiter sind traumatisiert.“ Trotzdem arbeiten er und seine Verkäufer am nächsten Tag wieder. „Das ist der beste Weg, wieder in die Normalität zurückzukehren. Unsere Gedanken sind bei den Familien.“

Mitgefühl empfindet Ralph Schenk (55) aus Merzig für seine Kollegen vom Rettungsdienst, die am Dienstag im Einsatz waren. Er ist erschüttert über die Amokfahrt in seiner Heimatstadt. „Ich bin froh, dass ich nicht hier war. Das war für meine Kollegen eine Herausforderung. Die vielen Verletzten. Dieses Szenario wird zwar immer geübt, aber so etwas wünscht man sich nicht. Gerade wenn man selbst Enkel in dem Alter der Opfer hat, trifft das einen richtig.“

Nur wenige Meter von dem Tatort entfernt, an der das Baby starb, schaukelt Steffen Wagner (38 Jahre) aus Saarburg seinen Sohn im Kinderwagen. „Das ist schwer in Worte zu fassen. Ich bin einfach traurig. Das ist Schicksal“, sinniert er. „Wir haben früher in Trier-Süd gewohnt, und das hier war unsere Kinderwagen-Strecke. Gestern habe ich gleich meine Mutter angerufen, die in Trier arbeitet, und gefragt, ob bei ihr alles in Ordnung ist.“ Der Mutter gehe es gut. Und dennoch bleibe ein mulmiges Gefühl.

Seit 7 Uhr morgens hat eine Einsatztruppe der Polizei ihren Posten auf dem Hauptmarkt bezogen. „Die Menschen haben Redebedarf. Viele kommen, um sich zu bedanken. Andere, um sich mitzuteilen“, berichtet eine Polizistin. „Die meisten von ihnen waren gestern auch schon da und haben das alles mitbekommen. Das ist eine sehr belastende Situation für die Menschen. Die Anteilnahme ist groß.“

Eugen Reichert wird sich dieser 1. Dezember für immer in sein Gedächtnis einbrennen. Der 31-jährige Verkäufer eines Bekleidungsgeschäfts neben der Stelle, an der sich die Amokfahrt ereignete, hilft sofort. „Ein Sanitäter kam rein und hat nach Decken und Helfern gefragt“, berichtet er. „Ein Arbeitskollege und ich sind dann mit ihm los. Durch die Stadt. Da konnten wir die Route sehen, die er gefahren ist. Immer im Zickzack. Es war wie im Krieg. Ich bin durch Blut gelaufen. Am Hauptmarkt habe ich einem zwölfjährigen Mädchen geholfen. Sie stand da und hat gezittert. Ich habe sie zugedeckt. Dann habe ich den umgeworfenen Kinderwagen gesehen und eine Decke daneben. Zehn bis 15 Meter weiter lag ein Mensch auf dem Boden. Zugedeckt. Er war tot.“ Zu den Todesopfern zählen neben dem Baby und dem 45-jährigen Vater drei Frauen im Alter von 25, 52 und 73 Jahren. Die Mutter des Babys hat überlebt und liegt den Behörden zufolge mit ihrem Sohn im Krankenhaus. Der Verdächtige war der Polizei zufolge vier Minuten nach der Alarmierung festgenommen worden.

 Zerstörungen in der Trierer Innenstadt nach der Amokfahrt.

Zerstörungen in der Trierer Innenstadt nach der Amokfahrt.

Foto: AFP/STEIL-TV
 Zwei Polizisten sichern am Dienstagabend die Innenstadt von Trier ab.

Zwei Polizisten sichern am Dienstagabend die Innenstadt von Trier ab.

Foto: AFP/JEAN-CHRISTOPHE VERHAEGEN

Ersthelfer Reichert sagt, er habe während seines Einsatzes jegliches Zeitgefühl verloren. Zu Hause habe er erst begriffen, was passiert war. Als er mit seiner Freundin und den Eltern sprach. Das habe ihm geholfen. „Die Bilder werde ich jedoch mein Leben lang im Kopf behalten.“ So geht es vielen Trierern. Sie werden lange brauchen, um dieses Trauma zu bewältigen. (mit dpa)

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