„Hart aber fair“ über Sterbehilfe „Die meisten Menschen wollen bis zur letzten Minute leben“

Düsseldorf · Die eine Hälfte der Talkgäste befürwortet Sterbehilfe. Die andere Hälfte ist dagegen und bemängelt am vorher ausgestrahlten Film vor allem die Form. Das schützt sie aber nicht vor Sachargumenten.

 Die Talkrunde bei „Hart aber fair“ am 23.11..2020.

Die Talkrunde bei „Hart aber fair“ am 23.11..2020.

Foto: WDR

Der Film „Gott“ nach dem Theaterstück von Ferdinand von Schirach stellt die Frage, ob es ein Recht auf Selbstmord gibt. Im Anschluss diskutieren darüber die Gäste bei „Hart aber fair“.

Die Gäste:

  • Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz
  • Susanne Johna, Vorsitzende des Marburger Bundes
  • Bettina Schöne-Seifert, Professorin für Medizinethik
  • Olaf Sander, Altenpfleger

Darum ging’s:

70,8 Prozent der Zuschauer haben nach dem vorher ausgestrahlten Film eine fiktive Sterbehilfe für die Hauptfigur befürwortet. In der Talkrunde ist der Anteil der Gegner größer.

Der Talkverlauf:

„Die Tötung eines Patienten gehört nicht zu den ärztlichen Aufgaben“, sagt Susanne Johna. Die Vorsitzende der Ärzteverbandes „Marburger Bund“ findet, wenn ein Mensch lebe, sei das positiv und lebenswert. Ihr behagt nicht, wie der Film „Gott“ die Frage nach der Sterbehilfe stellt. Er mache diese Entscheidung zu einfach.

Das lässt Bettina Schöne-Seifert nicht gelten. Die Professorin für Medizinethik findet die Frage des Films schwieriger zu beantworten als bei realen Fällen, die sich überwiegend auf unter Schmerzen leidende, schwerkranke oder gebrechliche Menschen bezögen. Der Film dagegen zeige eine gesunde Hauptfigur.

Georg Bätzing kritisiert den Film für das, was er ist: Fiktion. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz bezeichnet das Kammerspiel über Sterbehilfe als eine „karikierte Darstellung“, eine „fingierte Situation“ und „ein Stück Suggestion“. Gefühle lenkt Bätzing lieber in eine andere Richtung: Er verweist auf die Last der Verantwortung derjenigen, die ein tödliches Medikament verabreichen müssen.

Ein solcher Mensch sitzt auch in der Talkrunde. Er kommt ohne hochtrabenden Titel, dafür aber mit einschlägiger Erfahrung: Olaf Sander hat seiner kranken Mutter beim Suizid assistiert, und damit lebt er ganz ohne schlechtes Gewissen. „Meine Mutter ist genau so gegangen, wie sie das wollte“, sagt er. Liebe heiße für ihn, man möchte, dass es dem anderen gutgehe. „Und wenn es ihm nicht mehr gutgehen kann und er darum bittet, gehen zu dürfen, dann ist das ein Akt der Gnade – auch wenn es schwerfällt“, sagt Sander. Wegen rechtlicher Hürden hatte er seiner Mutter ohne ärztliche Begleitung assistiert und sie in ihren letzten Minuten allein lassen müssen.

Diesen Rahmen hat das Bundesverfassungsgericht im Frühjahr geändert. In einer Entscheidung über Sterbehilfe räumte es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ein und auch die Freiheit, sich dabei Hilfe zu suchen. Das Urteil findet Bischof Bätzinger „ein starkes Stück“ und „unerhört“. Seine Begründung: Es sei den Argumenten einer Weltanschauung gefolgt. Die Wortwahl erweist sich als ungeschickt, schließlich vertritt Bätzinger die katholische Weltanschauung – die sich in diesem Fall allerdings nicht durchsetzen konnte.

Jene Argumente, die Bätzinger zuwiderlaufen, sind zudem gar nicht neu. Daran erinnert die Medizinethikerin Schöne-Seifert. 150 Jahre lang seien weder Suizid noch Beihilfe strafbar gewesen – unabhängig vom Motiv – bis 2015 ein neuer Paragraf eingeführt wurde, den das Verfassungsgericht nun kassiert hätte.

Ihr stimmt Johna in soweit zu, als dass das „Recht auf Selbstbestimmung“ den Grundrechten folge. Ein „Paukenschlag“ sei für Johna aber gewesen, dass dabei kein Unterschied zwischen Gesunden und Kranken gemacht werde. Nachdem sie eben erst Bätzings Kritik am Fiktionalen zugestimmt hat, fantasiert die Ärztin nun selbst: „Im Moment wäre es möglich, gegenüber vom Altenheim ein Plakat aufzuhängen: Wir werben für den assistierten Suizid“, sagt sie und fügt hinzu, dass sie so etwas nicht erwarte, es sei rein theoretisch aber möglich.

Abermals bleibt es an Schöne-Seifert hängen, das Gespräch auf den Boden der Realität zurückzuholen. Das Urteil des Verfassungsgerichts habe die Rechtfertigung für die Rechtslage ausbuchstabiert: „Niemals kann es darum gegen, Lebensschutz gegen den Träger dieses Lebens auszuspielen“, sagt sie. Zahlen über eine Zunahme assistierter Suizide in anderen Ländern zeigen nach Meinung der Medizinethikerin einen gesellschaftlichen Bedarf. Aber das heiße nicht, dass dadurch ein Anreiz geschaffen werde.

Auch Sander kann dem „Dammbruch-Argument“ nichts abgewinnen. Das habe man auch gegen das Frauenwahlrecht oder die Entkriminalisierung von Homosexualität vorgebracht. „Und was ist danach passiert? Unsere Gesellschaft ist offener geworden, freier, gerechter, vielfältiger.“ In puncto Sterbehilfe unterstreicht Sander sein Argument mit Erfahrungswerten. Drei Jahre lang habe seine Mutter die Medikamente für den Suizid im Schrank gehabt und nichts unternommen. „Man nimmt sich nicht einfach so das Leben“, sagt er.

Zum Schluss stellt Schöne-Seifert in Frage, warum überhaupt Palliativmedizin und assistierter Suizid als Entweder-oder-Gegensatz dastehen sollen. „Wir brauchen beides“, sagt sie und fordert zudem eine bessere Versorgung für Demente und Schwerkranke. „Die meisten Menschen wollen bis zur letzten Minute leben“, sagt Schöne Seifert. „Und wir müssen dieses Leben gut machen.“

Wenn Sie sich in einer scheinbar ausweglosen Situation befinden oder das auf einen Ihrer Angehörigen zutrifft, zögern Sie nicht, Hilfe anzunehmen bzw. anzubieten. Rund um die Uhr können Sie bei der Telefon-Seelsorge in Deutschland unter den gebührenfreien Nummern 0800 111 0 111 und 0800 111 0 222 anrufen.

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