Nachruf auf Wolfgang Clement Macher und Rebell

Düsseldorf · Schöpferische Ungelduld war das Markenzeichen von Wolfgang Clement. Doch als Ministerpräsident und Superminister im Kabinett Schröder scheiterte er oft an politischen Blockaden und Hindernissen. Nun ist der ehemalige SPD-Politiker im Alter von 80 Jahren gestorben.

Wolfgang Clement: Ex-NRW-Ministerpräsident ist tot - Fotos seines Lebens
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Das Leben von Wolfgang Clement in Bildern

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Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Wolfgang Clement konnte es nie schnell genug gehen. Als der Kronprinz des Dauer-Ministerpräsidenten Johannes Rau im Jahr 1998 endlich ins höchste Amt des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen gelangte, las sich sein Programm wie ein „Great Deal“ für die einst wichtigste Industrieregion Deutschlands: Auflösung der schwerfälligen Landschaftsverbände, Umwandlung von NRW in eine Medien- und Dienstleistungsregion, die Zusammenlegung von Justiz- und Innenministerium als Reform der Bürokratie sowie die Sicherung des Energiestandorts durch den Ausbau des Braunkohlereviers im geplanten Tagebau Garzweiler II.

Eine gewaltige Aufgabe lag vor der rot-grünen Landesregierung. Nach den Jahren der Stagnation unter Rau (“Versöhnen statt spalten“) verkörperte Clement den Aufbruch. Sein Ziel: das unter Innovations-Druck geratene wichtigste Bundesland wieder zur Nummer eins in Deutschland zu machen – politisch und wirtschaftlich.

Doch der mit viel Vorschusslorbeeren angetretene SPD-Politiker lernte bald die Mühen der Ebene kennen, die auf dem ungeduldigen Macher in einer auf Ausgleich bedachten Demokratie lasteten Gegen die Zusammenlegung von Justiz- und Innenministerium liefen alle führenden Juristen des Landes Sturm, sogar Verfassungsbruch wurde dem Ministerpräsidenten vorgeworfen. Am Ende musste Clement einlenken und weiterhin die Trennung der beiden Ministerien akzeptieren. Die Auflösung der überbesetzten Landschaftsverbände, die für den Denkmalschutz, die Rehabilitation und Integration von Behinderten und psychisch Kranken wie für die Landesplanung zuständig sind, verlief im Sande. Und die von ihm so geliebten Leuchtturmprojekte wie das Trickfilmstudio in Oberhausen oder der Mediapark in Köln waren entweder wie im Ruhrgebiet nicht wirtschaftlich oder entwickelten sich nicht wie in der Domstadt zu dem Magnet eines neuen Wirtschaftszweigs.

Was aber die Amtszeit Clements besonders belastete, war der Dauerkonflikt mit den Grünen über die Ausbaggerung des Tagebaus in Garzweiler. Immer wieder verhakten sich die SPD und die Öko-Partei in Grabenkriegen, statt einen Ausgleich zu suchen. Am Ende war das Verhältnis zwischen Clement und der grünen Umweltministerin Bärbel Höhn so zerrüttet, dass keiner dem anderen traute und das Projekt auf Jahre blockiert war.

Doch den wirtschaftsaffinen Sozialdemokraten als einen Gescheiterten hinzustellen, trifft die Sache keinesfalls. Schließlich siedelten sich in seiner Amtszeit und auch davor wichtige Medienunternehmen im Lande an, entstand eine Internet-Gründerszene und wurde die Schnellbahnstrecke zwischen Köln und Frankfurt, die wichtigsten Schienenverbindung in Deutschland, rasch verwirklicht.

Wer war dieser Wolfgang Clement, in dessen Amtszeit Erfolge und Niederlagen so eng beieinander lagen? Er war auf jeden Fall ein Mann der Brüche, der zuletzt sogar seiner politischen Heimat, der SPD, den Rücken kehrte. Der Sohn eines Baumeisters, also eines Vertreters des Bürgertums, wurde noch im Krieg 1940 in Bochum geboren. Das Ruhrgebiet prägte den jungen Mann, der dort seine Schulausbildung absolvierte, bevor er ein Zeitungsvolontariat bei der inzwischen nicht mehr existierenden Westfälischen Rundschau machte und später in Münster Rechtswissenschaft studierte. Jura und Publizistik begleiteten den weiteren Werdegang des ehrgeizigen Westfalen. Zunächst arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum, dann als politischer Redakteur bei der Westfälischen Rundschau und von 1986 bis 1989 als Chefredakteur des SPD-nahen Boulevardblatts „Hamburger Morgenpost“.

Als Jurist und Journalist stieg Clement schließlich in die Politik ein. Seine ersten Meriten verdiente er sich als Sprecher der SPD, die schon seit 1970 seine politische Heimat war. Bundesweit bekannt wurde er allerdings als Chef der Staatskanzlei unter Johannes Rau, als der er zum Treiber des Strukturwandels in Nordrhein-Westfalen wurde. Hier begründete sich auch sein Ruf als Macher und vor allem als Medienpolitiker. Dass Köln heute noch vor Berlin die TV-Metropole Deutschlands ist, hat die Stadt am Rhein dem SPD-Politiker zu verdanken. Er holte maßgeblich den Privatsender RTL in die Domstadt und mit ihm unzählige Produktionsfirmen und Studiobetreiber. Zusammen mit dem WDR, der größten öffentlich-rechtlichen Anstalt, ist Köln damit die Stadt, die die meisten Fernsehminuten in Deutschland produziert.

Aber auch in der Verkehrs- und Energiepolitik setzte Clement Akzente. Als NRW-Wirtschaftsminister und später als Landeschef unterstützte er die Bildung des Düsseldorfer Energieriesen Eon aus den Stromkonzernen Veba und Viag sowie die Fusion der RWE mit der Dortmunder VEW. Nordrhein-Westfalen war somit das Energieland Nummer eins in Deutschland. Eine Position, die das Land allerdings mit der Energie- und Klimawende wieder verlor.

Große Projekte waren eben das Markenzeichen des schnellredenden Politikers. Schließlich holte ihn Gerhard Schröder als Bundesminister für Wirtschaft und Soziales ins Kabinett nach Berlin, als er 2002 mit einer denkbar knappen Mehrheit die Wiederwahl schaffte. Clement musste die Hartz-IV-Reform durchsetzen, das größte Sozialprojekt seit der Wiedervereinigung. Auch hier ist die Bilanz des Machers ambivalent. Mit viel Mühe und politischer Kärrnerarbeit erreichte es die damalige rot-grüne Bundesregierung, bis 2005 Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzulegen, was in späteren Jahren fast zur Vollbeschäftigung führte. Zugleich geriet das Projekt so kompliziert, dass Zehntausende von Einsprüchen der Betroffenen über Jahre die Gerichte lahmlegten. Außerdem erholte sich die SPD nie vom Vorwurf, sie habe bedenkenlos Arbeitnehmerrechte geopfert.

Seine Wirtschaftsnähe brachte Clement ständig in Widerspruch zu seiner Partei. Gerne las er den Genossen die Leviten. „Reformen sind nie schmerzfrei“, beschied er den Sozialdemokraten. Sein Konflikt mit der Partei seiner politischen Heimat ging so weit, dass er 2008 vor einer Wahl der SPD im Bundesland Hessen warnte. Die dortige Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti befürwortete den gleichzeitigen Ausstieg aus Atom- und Kohlekraftwerken.

 Der frühere NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement 2008 als Schlichter im Tarifstreit der Bauindustrie.

Der frühere NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement 2008 als Schlichter im Tarifstreit der Bauindustrie.

Foto: dpa

Ein darauf folgendes Parteiausschlussverfahren endete mit einer Rüge. Aber 2010 war es Clement selbst, der aus der SPD austrat und mit der FDP liebäugelte. In den vergangenen Jahren wurde es stiller um den Wirtschaftsrebellen. Das lag sicher auch an der schweren Krankheit, an der Clement litt und der er jetzt mit 80 Jahren erlag. Der einstige Kettenraucher bekam im hohen Alter Lungenkrebs, nachdem seine Frau Karin bereits diese heimtückische Krankheit überwunden hatte. Aus der Familie schöpfte Clement seine Kraft, seine Frau hatte er schon als Jugendlicher kennen und lieben gelernt, mit jeder seiner fünf Töchter telefonierte er fast täglich. Der „Bunten“ sagte Wolfgang Clement 2004: „Das Schicksal meinte es bisher gut mit uns. Aber wir hatten natürlich auch sehr ernste Situationen zu bestehen, etwa die schwere Erkrankung einer unserer Töchter. Da kommt man Gott wieder näher." Am Sonntag ist Wolfgang Clement gestorben.

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