Irland Ein tiefer Schluck Irland

Was ein Bier mit Weltruf über die irische Seele aussagt. Das Guinness Storehouse in Dublin steht für 260 Jahre Brauereigeschichte und Identität des Landes auch in Abgrenzung zu Großbritannien.

 Das Guinness Storehouse in Dublin liegt am St. James’s Gate.

Das Guinness Storehouse in Dublin liegt am St. James’s Gate.

Foto: Rob Durston/Rob Durston Photographer

Gleich kommt das Mittagessen. Flüssig, schwarz, cremige Krone. Es dauert 119,5 Sekunden, bis es fertig ist. Trotzdem kein Fertigprodukt, sondern Qualität, die jeden Tag um zehn Uhr morgens von einem Expertenteam aufs Neue getestet wird. Sind das noch wir? Ist das wirklich unser Ding? 119,57 Sekunden würden noch präziser klingen. Aber der Standard im Haus ist gesetzt: 119,5 magische Sekunden. Und die sind heilig. Dann muss jenes Produkt gezapft sein, um das sich hier alles dreht: ein Pint Guinness. Ein Weltprodukt aus Irland. „Black and White“, hat Taxifahrer David Breen noch gesagt, als er von seinem Lieblingsbier geschwärmt hat. Kein Schnickschnack, kein Erdbeer-Aroma mit Kirsch-Abgang, wie es die smarten Jungs aus den Craft-Brauereien inzwischen brauen – natürlich ungefiltert. All dieses Zeugs… Nein, ein Pint „Schwarz und Weiß“ muss her.

An manchen Tagen braucht man es besonders. Zum Beispiel als auf der Nachbarinsel der britische Premierminister Boris Johnson – mit freundlicher Genehmigung der Queen – das Parlament in den Zwangsurlaub geschickt hatte. Der Ober-Brexitier wollte sich gern die Meinung der Opposition zu einem EU-Austritt ohne Vertrag („No deal“) vom Hals halten. Wer weiß, was noch alles kommt.

Na dann Prost oder „Sláinte“, wie die Iren sagen. Wieder eine harte Grenze mit Nordirland, die auch hier in Irland nun wirklich niemand will. Wieder Streit zwischen Protestanten und Katholiken, Ängste vor einem erneuten Einsatz von Waffen kommen wieder hoch. Wo sie doch gelernt haben: Offene Grenzen sind gut. Lieber ein Stout und guten Handel in Frieden.

Da wird es auch beim Bier ganz schnell politisch. Höhere Zölle, komplizierte Formulare, genervte Grenzer, Stunden im Stau. Ach, Johnson, soll er doch lieber Bier trinken, sagen sie hier am St. James‘s Gate. Sie würden ihm schon ein Deputat schicken, wenn es Frieden und freiem Handel dient. Oder einen Shitstorm als Flaschenpost. Eine Flaschenpost, wie sie sie 1959, zum 200. Jahrestag der Gründung des Hauses von Arthur Guinness, auf den Weg schickten, als die verrückten Iren auf allen Weltmeeren von Schiffen 150.000 Flaschen Guinness mit der in das Glas geprägten Weltkarte aussetzen ließen. Selbst viele Jahre später wurde ihre Botschaft noch 2017 in Nova Scotia, Kanada, an Land gespült wird. Die Welt soll sehen: Guinness vergeht nicht. Und wenn die Weltkrisen noch so groß sind. Aber wenn Ober-Brexitier Johnson überhaupt nicht verstehen will, dann: „No more
Guinness for England“, sagt einer von den Leuten, die jede Menge von diesem „black stuff“, diesem schwarzen Stoff verstehen. Und lacht dazu. Willkommen im Land enthusiastischer Biertrinker. Willkommen auf einer Insel, in deren Pubs das Glas nie halbleer, sondern immer halbvoll ist.

Denn auch wenn die Welt verrücktspielt, diese 119,5 Sekunden bleiben. Sie gelten als Standard für ein perfektes Pint, als Qualitätsversprechen in Schwarz und Weiß. Am
St. James‘s Gate in Dublin haben sie im Jahr 2000 eine Erlebniswelt eröffnet, ein architektonisches Meisterwerk, geformt als Pint-Glas-Konstruktion auf sieben Etagen, in das 14,3 Millionen echte Pints passen würden oder noch einmal umgerechnet: 6,5 Millionen Liter Guinness. Das reicht, um mehrere Austritte Großbritanniens aus der EU zu ertränken, macht die politische Lage aber auch nicht besser. Oben entschädigt die spektakuläre Aussicht in der Gravity-Bar mit einem 360 Grad Blick über die Dächer von Dublin. Wie es um die Erdanziehung steht, kann hier frisch gezapft getestet werden, auch, wie sich manchmal tatsächlich die Welt um einen dreht. An Brexit-Tagen ganz besonders. Sláinte! Dazu ein Guinness mit Austern, was als Spezialität gilt, wer Austern mag.

Etage sieben dieser Pint-Glaskonstruktion steht gewissermaßen für die cremige Schaumkrone, aber unten ist die Schatzkammer. Wenn man – im übertragenen Sinn – zwei oder drei tiefe Schlucke aus diesem übergroßen Pint-Glas genommen hat, steht man bei Eibhlin Roche im ersten Stock. Roche ist Archivarin im Guinness-Storehouse, das jedes Jahr 1,7 Millionen Besucher aus allen Erdteilen aufsuchen. Hier lagern 7,5 Kilometer Papier, 20.000 Personalakten und 5000 Kunstwerke aus dem weltweiten Guinness-Imperium. Denn der „Black Stuff“ aus Dublin wird auch auf anderen Kontinenten gebraut.

Guinness betreibt eine Brauerei in Malaysia für den asiatischen Markt. Einen Standort haben sie in Baltimore/USA, jener Stadt, die US-Präsident Donald Trump als ein „widerliches, von Ratten und Nagetieren befallenes Drecksloch“ bezeichnet hatte. Aber die Iren sind härter als Trump. Sie trinken lieber diesen schwarzen Stoff. Hier in Dublin – und in Baltimore. Who is Trump?  Vote for Guinness! Und schließlich brauen sie in Nigeria, Ghana und Kamerun – speziell für den afrikanischen Markt sind es 8,2 Prozent Alkohol und nicht 7,5 Prozent im Glas, wie es an deutschen Theken verkauft und getrunken wird.

Archivarin Roche legt eine Kopie jenes Mietvertrages auf den Tisch, mit dem sich Arthur Guinness 1759 für unglaubliche 9000 (!) Jahre den Standort am St. James‘s Gate in Dublin sicherte. 260 Jahre davon sind schon verbraucht. Es kann also noch ein Weilchen gebraut werden. Inzwischen gehört
Guinness zu einem weltweit aufgestellten Getränkekonzern Diageo mit rund 30.000 Mitarbeitern. Diageo klingt nach Neuzeit, ziemlich technisch, ein wenig auch nach Heuschrecke. Bei Guinness sagen sie lieber, sie seien bei Guinness. Und wer in Dublin sagt, er komme von Guinness, dem öffnen sich schnell unkompliziert Türen und Tore. Ob in der St. Patrick’s Kathedrale oder der ehrwürdigen Bücherei im Trinity-College, in dem man nicht überrascht wäre, wenn vor dem Hintergrund Hunderttausender Bücher und einer Deckenhöhe von fast 20 Metern Harry Potter gleich um die Ecke käme. Er zaubert, dass der Brexit ausfällt, dass Premier Johnson sein restliches Leben als Bierfahrer in Irland unterwegs ist und Präsident Trump in Baltimore Gläser spülen muss.

Wenn es doch ganz anders kommt, wenn die Welt sich wirklich immer schneller dreht, dann fährt man vielleicht doch in diesem 44 Meter hohen Pint-Glas des Guinness-Storehouse sieben Etagen hoch in die Gravity-Bar. Kevin Egan, der für Guinness Besucher durch die Stadt führt, ist überzeugt: „Guinness wird es immer geben. Guinness wird immer da sein.“ Man will das gerne glauben. Falls nicht, hilft ein Schluck. Stimmt, es ist immer noch da.

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