Wechsel an der EZB-Spitze Das schwierige Erbe des Mario Draghi

Frankfurt · Heute leitet der Italiener zum letzten Mal die Sitzung des EZB-Rates. Den einen gilt er als Retter des Euro, von anderen wird er scharf kritisiert. Seine Nachfolgerin Christine Lagarde will die Politik der Zentralbank verständlicher machen.

Heute leitet Mario Draghi zum letzten Mal die geldpolitische Sitzung des Rates der Europäischen Zentralbank (EZB). Entscheidungen werden nicht mehr erwartet. Doch vielleicht versucht Draghi zum Ausklang noch, ein wenig die Wogen zu glätten. Denn dass die EZB auf sein Drängen im September die Geldpolitik nochmals deutlich gelockert hatte, vor allem das Anleihekaufprogramm zum 1. November wieder auflegt, das kam nicht gut an, auch wenn letztlich eine Mehrheit dafür gestimmt hatte. Einige frühere Währungshüter kritisierten Draghi ebenfalls offen – unter Ex-Notenbankern ein ungewöhnlicher Schritt.

Der Italiener hat auf jeden Fall eine Grundsatz-Diskussion ausgelöst: Soll Preisstabilität, das wichtigste Ziel der Notenbank, auch weiter mit „unter, aber nahe zwei Prozent“ definiert werden? Und unter welchen Umständen gehören Staatsanleihekäufe zum Instrumentenkasten der EZB?

Draghi hinterlässt seiner Nachfolgerin Christine Lagarde, die am 1. November ihr Amt antritt, schwerwiegende Themen. Zudem binden die geldpolitischen Entscheidungen die Französin auf längere Zeit. Dabei hatte Draghi, als er vor acht Jahren antrat, als erstes die letzte Zinserhöhung seines Vorgängers Jean-Claude Trichet zurückgedreht und an seinem dritten Arbeitstag als EZB-Chef den wichtigsten Leitzins auf 1,25 Prozent gesenkt. In dieser Zeit waren die Finanzmärkte wegen der Staatsschuldenkrise in Unruhe, sie wetteten immer stärker auf einen Zerfall des Euroraums. Dieser Spekulation machte Draghi 2012 mit wenigen Worten ein Ende. Die EZB werde alles Notwendige tun, um den Euro zu erhalten. Das reichte, um die Märkte zu beruhigen.

„Mario Draghi und die EZB haben letztlich Europa vor einer tiefen wirtschaftlichen Depression bewahrt“, urteilt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Doch Draghi hat auch viel Kritik für die Folgen geerntet. Die EZB hat im Kampf gegen eine zu niedrige Inflation negative Einlagezinsen eingeführt. Inzwischen müssen Banken für Einlagen, die sie bei der EZB parken, eine Strafgebühr von 0,5 Prozent zahlen. Das waren Entscheidungen, die umstritten waren und die Nebenwirkungen hatten: Sparer verlieren real Geld, wenn sie in festverzinsliche Anlagen investieren. Aktien und Immobilien sind attraktiver. Das birgt das Risiko einer Blasenbildung.

Für diese Nebenwirkungen wird in Deutschland häufig Draghi persönlich verantwortlich gemacht. Das allerdings sei nicht gerechtfertigt, sagt Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts. Es gebe nicht nur hohe Ersparnisse, sondern umgekehrt investierten sowohl Staaten als auch Unternehmen wenig, deshalb sei die Kreditnachfrage gering. „Der Zins ist nun mal der Preis für Kredite. Deshalb hat es vor allem realwirtschaftliche Ursachen, dass die Zinsen so niedrig sind. Die EZB-Politik verstärkt das vielleicht noch.“

Ein Manko Draghis aber sei, darin stimmen viele überein, dass er die Geldpolitik den Bürgern nicht verständlich gemacht habe. „Es ist der Zentralbank nicht gelungen, den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland zu erklären, wieso die EZB das tut, was sie tut“, meint etwa DIW-Präsident Fratzscher, „also wieso die Zinsen so niedrig sind, wieso man so expansive Geldpolitik gemacht hat, wieso das schädlich für die kleinen Sparer, aber letztlich ein notwendiges Übel ist, weil es auch hilft, Beschäftigung zu sichern und zu schaffen.“ Das sei ein großes Problem. Dieses Problem will Christine Lagarde angehen. Die Menschen im Euroraum sollten die Handlungen der EZB verstehen, sagte Lagarde im Juli.

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